Herzstillstand

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Da stand ich also. Vor der alten Holztür, des mir so vertrauten Hauses. Doch irgendwie konnte ich noch nicht klopfen. Mein Herz schlug so schnell, dass ich fast schon Angst hatte einfach zu kollabieren. Mein Blick war starr auf die Tür gerichtet, gegen die ich schon einige Male in meinem Leben geklopft hatte, jedoch ging es diesmal alles andere als mit Leichtigkeit. Heute stand ich hier und war mir nicht einmal mehr sicher, ob es eine gute Idee war hier zu sein.

Ich atmete noch einfach tief durch, bevor ich schließlich sehr zaghaft an der Tür klopfte und mit jeder Sekunde merkte, wie mich die Gedanken innerlich immer mehr zerfraßen.

Ich hatte mir zu Hause bereits eine Liste an Dingen in meinem Kopf zusammen gestellt, die ich sagen konnte, ohne unangenehme Situationen entstehen zu lassen.

Es dauerte nicht lange, bis ich Schritte hörte, die sich der Tür näherten und diese schließlich geöffnet wurde. Vor mir stand Hermine. Ich hatte sie schon ewig nicht mehr gesehen. Sie schien sehr überrascht mich zu sehen und versuchte mich anzulächeln, was ihr misslang. Ich wusste nicht so ganz ob sie sauer war und einfach nur aus Verwirrung nicht lächeln konnte.

Es dauerte noch einige Momente, in welchen keiner von uns ein Wort herausbrachte, bis wir beide schließlich ein mehr oder weniger echtes Lächeln auf dem Gesicht hatten. Jeden anderen wäre diese Situation wahrscheinlich unglaublich unangenehm gewesen, mir jedoch keinesfalls. Es schien uns beide nicht sonderlich zu stören uns einfach anzusehen, ohne etwas zu sagen.

Ginny, die ich anfangs gar nicht bemerkt hatte, drängte sich schließlich an Hermine vorbei, um mich in den Arm zu nehmen.

Die Gefühle und das Schuldbewusstsein überwältigten mich so sehr, dass ich es nicht einmal übers Herzen brachte die Umarmung zu erwidern.

„Mary, du weißt gar nicht, wie sehr ich mich freue dich endlich wieder zu sehen. Wo warst du denn die ganze Zeit? Wie geht es dir? Hast du eine schöne Arbeit gefund-... Mary?", sie stoppte, als sie merkte, dass ihre Bluse von meinen Tränen angefeuchtet wurde.

Ich wusste ganz genau, dass es nicht nur Tränen der Freude und des Schuldbewusstseins über das Wiedersehen waren. Ich weinte auch aus Angst. Die Angst, mich George stellen zu müssen. Schließlich gab es nun endgültig keinen Ausweg mehr.

Ich hatte mir immer eingeredet, dass wir beide Schuld an dieser Situation waren, jedoch wusste ich ganz genau, dass ich das Monster war, was ihn in der Zeit, in welcher er mich dringend braucht hätte, im Stich gelassen hatte. Ich hatte ihn allein gelassen, als seine bessere Hälfte starb. Ich sah seiner besseren Hälfte beim Sterben zu und traute mich deswegen nicht mehr in seine Augen zu blicken. Ich ging, als er mich am meisten gebraucht hätte. Ich war furchtbar.

„Ja Ginny, mir geht es ganz gut, ich war die ganze Zeit in meiner Wohnung in Mitten von London und ich arbeite momentan als Sekretärin in einer ziemlich kleinen aber erfolgreichen Druckerei.", stotterte ich, als ich mich wieder etwas gefangen hatte und hoffte, dass meine damalige beste Freundin meine Lüge nicht erahnen konnte. Jedoch war sie nicht umsonst meine beste Freundin gewesen, denn sie musterte mich mitleidig.

„Oh, na dann. Komm mit, die anderen sind alle schon da...", murmelte sie und ich war mir sicher, dass sie meine Lüge bereits bemerkt hatte, als die ersten Worte über meine Lippen geglitten waren.

Natürlich wusste sie, dass ich gelogen hatte. Sie wusste einfach, dass etwas überhaupt nicht stimmte und dieses „Etwas" war die Tatsache, dass ich mich vor allen schämte wegen der Sache, die ich ihrem Bruder angetan hatte und die Tatsache, dass ich niemanden der anwesenden Personen in den letzten Jahren einmal zu Gesicht bekommen hatte.

Umso näher wir dem Wohnzimmer kamen, umso größer wurde das mulmige Gefühl in meinem Magen. Es warteten bereits fast alle. Mein Bruder Lee, Mom, Arthur, Molly, Charlie, Percy und seine Frau, Ginny, Harry, Hermine, Ron, sogar Bill und Fleur, deren Babybauch mittlerweile kaum noch zu übersehen war. Alle lächelten mich an, so wie sie es sonst immer taten, als ich noch fast täglich hier war.

Doch einer fehlte:

George.

Die Erste, die sich traute mich, nach der Gruppenumarmung mit Lee und Mom, richtig zu begrüßen war Fleur. Sie nahm mich in den Arm und sagte mit ihrem nicht zu überhörenden französischen Akzent: „Ich habe dich sehr vermisst."

Ich lächelte über diese Tatsache. Das letzte Mal wirklich gesehen hatten wir uns an ihrer Hochzeit.

"Ich dich auch, Fleur.", flüsterte ich, als ich mich wieder von ihr löste.

Die Nächsten, die mich umarmten, waren Arthur und Molly. Molly nuschelte in meine, nun kürzeren, Haare: "Schätzchen, ich hab dich so sehr vermisst."

"Ich dich auch, Molly."

Schließlich setzte ich mich zu Fleur und Bill und alle begannen wieder mit ihren Gesprächen. Größtenteils ging es um alte Zeiten, wobei alle darauf bedacht waren Fred nicht zu erwähnen, da der Schmerz bei allen noch sehr tief saß. Auch mich plagte es so sehr. Fred fehlte. Er fehlte so sehr, dass meine Brust zu schmerzen begann, wenn ich den Blick auch nur länger als fünf Sekunden anhob und in die Runde blickte.

Doch obwohl ich mich langsam wohl fühlte in der Runde, war da noch immer dieses beklemmende Gefühl. Ich dachte ununterbrochen an ihn. Umso länger die Gesprächsrunde ging, umso mehr pflanzte sich der Gedanke an ihn erneut in mein Gehirn und ließ mir absolut keine Ruhe mehr. Ich schien mich gerade jetzt an jedes Gefühl, welches ich mit ihm verbunden hatte zu erinnern. Selbst an das angenehme Kribbeln in meinem Magen, welches jedes Mal unbewusst auftauchte, wenn ich in seiner Nähe gewesen war.

Ein Klopfen an der Tür ließ die Gespräche verstummen und Molly lächelte.

„Das muss er sein!", rief sie begeistert, war bereits aufgesprungen und hatte die Tür aufgemacht, bevor ich überhaupt alles verarbeiten konnte.

„George!", rief sie.

Mein Herz setzte für einen kurzen Moment aus.

„Hey Mom.", murmelte die mir nur allzu bekannte Stimme und ließ meinen Hals trocken werden.

Seine sanfte Stimme ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.

Ich hörte Schritte den Flur entlang laufen und als Molly dicht gefolgt von George das Wohnzimmer betrat, dachte ich für einen Moment, mir würde das Herz endgültig stehen bleiben.

Dusk Till Dawn|| George WeasleyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt