Veränderungen und son Scheiß

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Lukas' P.O.V.:

Ich sitze mit meinem Vater beim Abendessen.
Beide von uns schweigen. Das ist eigentlich nichts Neues für uns. Seit einem halben Jahr rede ich nicht mehr so viel und er hat eigentlich nie viel geredet. Vielleicht liegt das aber auch am Tod meiner Mutter, die bei meiner Geburt gestorben ist. Noch ein Tod für den ich verantwortlich bin.

Aber irgendetwas an diesem Schweigen ist merkwürdig. Er guckt die ganze Zeit immer mal wieder zu mir. Ganz unauffällig, blöd nur, dass ich alles merke. Nichts kann um mich herum passieren, was ich nicht bemerke. Irgendwann räuspert er sich dann.

"Also, Lukas", fängt er an. Ist eigentlich klar, dass jetzt irgendetwas ernstes kommt. Denn erstens guckt er ziemlich angestrengt und konzentriert und zweitens fängt er selbst so gut wie nie Gespräche an, er steigt nur ein.

Ich hebe meinen Kopf von dem Essen, das ich kaum angerührt hatte. Ich habe heute irgendwie keinen Hunger.

"Ja?"

"Ehm, also. Bald sind ja die Ferien und eventuell könnte sich da etwas für uns beide ändern."

Ändern? Ich hasse Änderungen, bis jetzt haben sie für mich nur Scheiße bedeutet. Der Umzug nach Amerika, die Veganerphase meines Vaters, ihr Tod...

Ich ziehe meine Augenbrauen hoch ist und sehe meinen Vater fragend an.

"Ja. Ich habe nämlich jemanden im Internet kennengelernt. Und der zieht kurz vor den Ferien hierher. Natürlich zieht sie nicht direkt bei uns ein. Wir wollen uns ja erst richtig kennenlernen, aber es sieht schon ziemlich gut aus."

Wie kann er nur?, ist das Erste, das mir in den Kopf schießt. Wie kann er mich und meine Mutter bloß so enttäuschen? Früher hatte ich nie verstanden, warum er sich keine neue Frau gesucht hatte, aber nach ihrem Tod konnte ich das perfekt nachvollziehen. Und wie kann er mich so im Stich lassen? Die letzte Änderung liegt erst ein halbes Jahr zurück. Und jetzt schon wieder?
Ich kann das nicht. Ich kann das einfach nicht!

Ich sehe meinen Vater eiskalt an, bevor ich genau das ausspreche, das ich gerade gedacht habe.

"Wie kannst du nur?"

Die Worte kommen kalt und scharf rüber und ich sehe wie sein erst nur angespannter Gesichtsausdruck entgleitet und er nun fast traurig aussieht, wenn nicht sogar verängstigt, aussieht.

"Aber du hast dir doch immer gewünscht, dass ich jemand neuen finde", flüstert er verzweifelt, "außerdem steht doch noch gar nichts fest. Vielleicht mag ich sie ja gar nicht!"

"Wie kannst du Mom einfach so aufgeben?"

"Deine Mutter ist tot!", schreit er, "Und Isabelle ist es auch!"

Direkt nachdem er den letzten Satz ausgesprochen hat, schlägt er sich die Hand vor den Mund. Das hätte er nicht sagen dürfen!

"Nein, Lukas. Es tut mir leid, ok?"

Doch nichts ist ok. Tränen steigen mir in die Augen und mit ihnen Wut in meinen Kopf. Aufgebraust stehe ich auf. Ich hätte sowieso nichts mehr essen können.

"Sag das nie wieder!", meine Stimme klingt kontrollierter als ich mich fühle. Ich merke wie mein Arm zuckt. Ich muss auf etwas einschlagen! Ich sehe meinen Vater.

Schon wieder zuckt meine Oberarmmuskulatur. Meine Faust ist geballt.

Doch ich drehe mich nur um und renne aus dem Raum. Raus aus dem Haus. Raus aus der Stadt!

Wir wohnen relativ am Rande der Stadt oder eher Dorf und so kann ich direkt in den Wald laufen. Dort schlage ich auf hilflos herumstehende Bäume ein, die wahrscheinlich mehr in ihrem Leben nicht erleben werden. Sie sollten mir dankbar sein!

Und ich schreie. Ich schreie alles aus mir heraus. Es ist mir egal, wer mich hören könnte. Ich lasse es einfach raus. Das hätte ich schon vor Monaten tun sollen!!!

Ich kann einfach nicht fassen, was mein Vater da gemacht hat! Ich will keine Scheißtusse bei uns im Haus haben! Ich will nicht, dass Dad über Mom hinwegkommt. Es kommt mir vor wie ein Verrat. Selbst wenn meine Mom schon seit siebzehn Jahren tot ist. Er hat es doch auch so ohne sie überlebt.

Er war mein Vorbild. Ich wollte mich, wie er, ohne Frau bis an mein Lebensende durchschlagen. Ich wollte nicht über Isabelle hinwegkommen und ich wollte auch nicht, dass es mein Dad mit meiner Mom tat. Es hat uns verbunden.

Und diese Verbundenheit ist jetzt weg...

After You - Mein Leben Nach DirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt