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Drei Stunden, zwei leere Geldbörsen und einen Zuckerrausch später, verließen Matt und ich den Jahrmarkt. Mit einem Arm hatte ich mich bei ihm eingehackt, unter dem Anderen trug ich ein riesiges Stoffschwein. Hin und wieder biss ich ein Stück der Zuckerwatte ab, die Matt mir beim Laufen unter die Nase hielt.

Die Sonne war schon lange untergegangen und Dunkelheit hüllte uns mehr und mehr ein, desto weiter wir die bunten Lichter des Jahrmarktes hinter uns ließen. Bald erhellten nur noch die schwachen Lichter der Straßenlaternen unseren Weg und eine sanfte Brise wehte uns um die Beine.

Nachts liebte ich diese Stadt fast noch mehr als bei Tag.

Dann war sie meist ruhig und friedlich.

„Wie fühlst du dich", fragte Matt und warf mir über die riesige Zuckerwatte hinweg einen Seitenblick zu.

„Dem Zuckerkoma nahe, aber glücklich", antwortete ich und musste dabei lachen. Er hatte es tatsächlich geschafft, mich von meinen Sorgen abzulenken.

„Wie kommst du mit dem Schreiben voran? Willst du mir nicht endlich verraten, worum es in deiner Geschichte geht?"

Ich überlegte lange, bevor ich antwortete. Zwar wussten meine engsten Freunde und meine Familie von meinem Wunsch Schriftstellerin zu werden, doch mit keinem hatte ich über den Inhalt des Buches geredet.

„Ich möchte gerne ein Buch schreiben, ohne wirklich eine richtige Geschichte zu erzählen", begann ich schließlich.

„Es soll Leben von der Macht der Worte und der Schönheit des Alltäglichen. Es soll die Leser fesseln, in seinen Bann ziehen und nicht wieder loslassen. Und am Ende sollen sie feststellen, dass ich über nichts geschrieben habe und doch über alles."

Ich wusste selber nicht genau, ob meine Worte einen Sinn ergaben. Die Angst, die Menschen würden meine Idee nicht verstehen oder gar belächeln, war zu groß. Doch Matthew verstand es.

„Eine Hommage an die Kraft der Worte also."

Abrupt blieb ich stehen und sah ihn erstaunt an.

„Genau. Eine Hommage an die Kraft der Worte."

Ein leichtes Lächeln legte sich über seine vollen Lippen und für einen kurzen Augenblick konnte ich den Blick nicht von ihnen wenden. Als ich das nächste Mal aufsah, war Matt plötzlich näher an mich herangetreten. Unsere Körper berührten sich, doch dieses Mal jagte die Berührung heftige Funkenschauer durch mich hindurch. Alles an mir stand unter Spannung und schien auf Matthews nächsten Zug zu warten. Als ich seinen Blick suchte, sah ich, dass dieser fest auf meinen Mund geheftet war. Unbewusst befeuchtete ich meine Lippen und öffnete sie leicht für ihn.

Was passierte hier? Wieso reagierte mein Körper so auf ihn?

Ein leises Stöhnen entwich ihm und jagte ein Beben durch mich hindurch. Sein starker Arm umfasste mich an der Taille, während seine andere Hand zu meinem Gesicht hinauf glitt und es festhielt.

„Du hast da etwas Zuckerwatte", flüsterte er und als er näherkam, merkte ich, dass ich die ganze Zeit den Atem angehalten hatte.

Mein Kopf hatte sich abgeschaltet und überließ jegliches Handeln meinem Körper.

Als Matthew sich zu mir vorbeugte und sanft die Stelle links von meinem Mund küsste, streiften seine Lippen die Meinen und für einen kurzen Augenblick entwich mir jegliche Luft.

Nun war es an mir, zu Stöhnen.

Als wäre es ein Zeichen, auf das er gewartet hatte, zog Matthew mich enger an sich, umfasste mit einer Hand fest meinen Nacken und setzte zu einem richtigen Kuss an.

Das war der Moment, in dem ich wie aus einer Trance erwachte und ihn erschrocken von mir stieß.

Sein Gesicht war meinem so nahe, dass sich sein kitzelnder Atem auf meine Lippen legte.

„Ich... Es... es tut mir leid", murmelte ich und wandte mich von ihm ab, auch damit ich den verletzen Ausdruck in seinen Augen nicht länger sehen musste.

„Ewa." Matt war von hinten an mich herangetreten und griff zögerlich nach meiner Hand.

„Ich wollte dich nicht in eine unangenehme Situation bringen. Das war... dumm von mir."

„Nein, es ist alles in Ordnung. Es war mein Fehler. Matt du bist mein bester Freund. Aber..."

Doch er erstickte meine Worte mit einer einzigen Handbewegung.

„Schon gut. Du musst mir nichts erklären."

Wieso hatte ich dann das Gefühl, dass ich es doch musste?

Schweigend gingen wir nebeneinander her zu seinem Wagen, den er in der Nähe des Cafés geparkt hatte. Zum ersten Mal seit ich ihn kannte, war mir unser Schweigen unangenehm.

Er schien es zu spüren und nach den richtigen Worten zu suchen.

„Musst du morgen eine Schicht im Café einlegen?", versuchte er, die peinliche Stimmung zu kippen.

„Nein", antwortete ich knapp. Insgeheim war ich froh, denn einen freien Tag konnte ich jetzt gut gebrauchen.

Ich spürte seinen verzweifelten Blick auf mir.

Wie er, wollte auch ich, dass zwischen uns alles in Ordnung war. Ich wollte nicht, dass sich etwas veränderte.

Doch der Drang, Abstand zu ihm zu suchen, war in diesem Moment unermesslich stark.

Als wir vor meiner Haustür anhielten, setzte er noch einmal zum Sprechen an, doch ich war bereits ausgestiegen. Bevor ich die Wagentür zuschlug, drehte ich mich noch einmal um.

„Fahr vorsichtig."

„Schlaf gut", war alles, was ich ihn noch sagen hörte.

Dann ging ich. Doch ich spürte seine Blicke in meinem Rücken solange, bis ich durch die Haustür geschritten war. Als ich durch den Hausflur nach oben ging, wusste ich, dass Matt noch immer draußen in seinem Wagen stand und wartete, bis er mich durch die Fenster hindurch in meine Wohnungstür gehen sah.

Erst dann fuhr er los. Das machte er immer so.

Er wartete, bis ich wirklich sicher Zuhause angekommen war.

Falling For EwaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt