„Herzlichen Glückwunsch, Lilly." Fröhlich grinsend und lachend streckt mir Clara ein kleines Geschenk entgegen. „Na los! Nimm es schon!" Sie ist eindeutig aufgeregt, während ich mich am liebsten alleine in eine Ecke gekauert und dort stumm vor mich hin getrauert hätte.
Wortlos nehme ich das kleine Päckchen meiner Schwester entgegen. Es ist mit blauem Geschenkpapier umwickelt und Clara hat eine Schleife mit weißem Geschenkband um die Schachtel gebunden. Mithilfe einer Schere zertrenne ich das Geschenkband und reiße dann das Papier ab. Eine kleine, unbeschriftete Pappschachtel kommt zum Vorschein. Sie ist unglaublich leicht, ich kann mir nicht vorstellen, was darin sein soll. Als ich sie schüttele, höre ich bloß ein leises, gedämpftes Klappern.
Es ist ein Zettel, der zu einem winzigen Würfel zusammengefaltet wurde. Mit gehobenen Augenbrauen sehe ich zu meiner kleinen Schwester hinüber, die mir bloß bedeutet, den Zettel auseinanderzufalten. Ich zucke mit den Schultern und mache mich daran, das zu einem winzigen Knäuel zusammengefaltete Papier wieder aufzufalten und überfliege den gedruckten Text. „Nein! Nein, das kann nicht dein Ernst sein!"
Aufgebracht knalle ich den Zettel auf den Tisch und funkele meine Schwester wutentbrannt an. „Willst du mich verarschen? Was soll das, Clara?!" Wütend schlage ich mit der Faust auf den Tisch. Es tut weh, aber das bekomme ich vor Zorn gar nicht mehr mit.
„Lilly, bitte beruhige dich wieder", versucht sie mich zu beschwichtigen, doch ich höre ihr gar nicht zu. Zu lesen, was auf dem Blatt Papier gedruckt steht, hatte sich angefühlt, als ob mir jemand eine brennende Klinge ins Herz gestochen hätte. Ich kann mich unmöglich beruhigen.
„Bitte sag mir, dass das nur ein beschissener Scherz sein soll!" Tränen brennen in meinen Augenwinkeln und im Hals habe ich einen riesigen Kloß. Ich fühlte mich hintergangen von Clara, von meiner eigenen Schwester. Hintergangen von einer der wenigen Personen, die mir im vergangenen Jahr Mitgefühl gezeigt und mir geholfen hatten. So enttäuscht von ihr war ich noch nie.
„Bitte, Lilly, es ist doch nur zu deinem Besten. Ich will nicht, dass du hier so alleine herumhockst, das ist nicht gut für dich!" Sie senkt die Stimme etwas und sieht mir direkt in die Augen. „Maya würde nicht wollen, dass du so unglücklich bist."
Ihre Worte sollen, ihrem Tonfall nach zu urteilen, beruhigend wirken, doch stattdessen steigere ich mich noch mehr in meine Wut und Trauer hinein. Die Tränen kann ich nicht mehr halten, heiß und brennend laufen sie meine Wangen hinab. „Du wagst es auch noch, über Maya zu reden?! Jetzt?" Ich hasse sie dafür, dass sie ausgerechnet in dieser Situation Maya als Entschuldigung vorschiebt.
„Du weißt genau, dass es stimmt." Clara kann sich eindeutig besser beherrschen als ich. Ihre Stimme klingt noch immer ruhig, aber in ihren Augen sehe ich, dass sie langsam mit ihrer Geduld am Ende ist. Es liegt nicht nur an meiner Reaktion auf ihr Geschenk, sondern an dem ganzen vergangenen Jahr, in dem sie mir immer wieder helfen wollte und ich ihre Hilfe zurückgewiesen habe. Irgendwie kann ich sie sogar verstehen, ich war wirklich undankbar in dieser Zeit.
„Raus hier", sage ich mit belegter Stimme und wische verzweifelt mit beiden Händen die Tränen fort. Ich will nicht weinen, Clara ist es nicht wert. Ich werde nicht wegen ihrer bescheuerten Überraschung weinen, die Genugtuung will ich ihr nicht gönnen.
„Lilly, alles ist gut. Aber bitte, nimm das Geschenk an. Ich habe es nicht böse gemeint. Ich will dich bloß wieder glücklich sehen, Schwesterherz. Genau wie Maya es wollen würde."
„Raus!", kreische ich, meine Stimme überschlägt sich. Ich halte das alles nicht mehr aus, wenn sie Mayas Namen noch einmal sagt, werde ich für nichts mehr garantieren können. Zornig schiebe ich Clara weg von mir, als sie mich umarmen will. Berührungen konnte ich noch nie gut ausstehen, ich will sie nicht umarmen. Vor allem jetzt nicht mehr.
„Tschüss", knurre ich, als sie endlich meine Wohnung verlässt. Der Schmerz in meinem Herzen lässt nach, während ich zurück in die Küche gehe und noch einmal auf den Zettel hinab sehe. Clara war schon immer etwas unberechenbar und meiner Meinung nach ziemlich durchgeknallt, aber so etwas hätte ich ihr nie zugetraut. Noch einmal lese ich den Text auf dem Zettel durch, dort steht es schwarz auf weiß.
Meine Schwester hat mich zu einem Speed-Dating angemeldet.
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Speed Dating
RandomLilly hat sich damit abgefunden, vermutlich den Rest ihres Lebens in Einsamkeit zu verbringen, doch ihre Schwester sieht das anders. Sie meldet Lilly zu einem Speed-Dating an.