Engelsgleich

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An den Tod meiner Eltern erinnere ich mich nur noch bruchstückhaft, schließlich war ich damals noch sehr jung. Wenn Sie allerdings darauf bestehen, kann ich an dem Punkt beginnen, an dem meine Erinnerungen wieder deutlich werden. Es ist keine schöne Geschichte, aber wenn es eine wäre, hätte ich keinen Grund, Sie aufzusuchen, nicht wahr? Haha. Geben Sie mir nur eine Sekunde, um mich wieder zu erinnern...

Es war in unserem Keller. Ich saß bitterlich weinend zwischen den blutigen Fetzen am Boden, die einmal meine Eltern gewesen waren. Ihr Blut lief die Wände herunter, sammelte sich in riesigen Lachen am Boden und war... einfach überall. „Mama, Papa, bitte sagt mir, dass das nur ein Albtraum ist!", flehte ich, doch mit jeder Sekunde, die ich regungslos auf dem Fußboden hockte, wurde mir klarer, dass es die grausame Wirklichkeit war. Mama und Papa waren tot, umgebracht von diesen Monstern. Vielleicht waren sie immer noch im Haus und lauerten auf mich – oder auf meine Brüder. Mein armer kleiner Bruder... Seine Schreie hallten immer noch in meinem Kopf wieder. Was war bloß mit ihm geschehen? Obwohl ich schon damals wusste, dass es naiv war, klammerte ich mich an den Gedanken, dass er noch am Leben sein könnte. Nachschauen durfte ich nicht – mein großer Bruder hatte mir befohlen, hier zu bleiben, bis er sicher war, dass wir allein im Haus waren; was hätte ich auch tun können? Ich hatte doch nicht einmal meinen Eltern helfen können, stattdessen hatte ich nur zitternd dagesessen und gebetet, dass mein großer Bruder und ich nicht auch gefunden und umgebracht würden.

Plötzlich legten sich zwei Arme um mich und zogen mich wieder auf die Beine. Für eine Sekunde erstarrte ich, wagte dann aber einen Blick nach oben und sah in das Gesicht eines Soldaten. Er lächelte mich an, wobei er eine Reihe gelblicher Zähne enthüllte, und zog mich die Treppe hinauf ins Wohnzimmer. Der Geruch von Leichen und Tod war hier oben so stark, dass ich kaum atmen konnte und mich fast auf den Fußboden erbrach. Fast schon behutsam setzte der Mann mich ab, blickte mich aus dunklen Augen an und öffnete die ersten Knöpfe meines Schlafanzugs, was mich jedoch nicht viel freier atmen ließ. Im Gegenteil, mir blieb kurz die Luft weg, als ich aus den Augenwinkeln eine geflügelte, menschliche Gestalt die Treppe zum Obergeschoss hinunterkommen sah. Kalter Angstschweiß bedeckte mich und ich hätte am liebsten um Hilfe geschrien. Der Soldat bemerkte den Engel erst, als dessen Federn ein wenig raschelten, und drehte sich ruckartig herum. Der Engel stand direkt vor ihm, blutverschmiert und mit glühend roten Augen, die zuerst den Soldaten, dann mich fixierten. Er streckte seine bleichen, knochigen Gliedmaßen aus, schaffte es jedoch nicht, mich zu berühren, da der Mann mich wieder auf die Beine zog und langsam rückwärts Richtung Haustür ging. Sein Arm legte sich so feste um meinen Hals, dass es mir beinahe die Luft abschnürte; mit der anderen Hand zückte er eine Pistole und zielte auf den Engel. Ich spürte, dass er zitterte und es kaum schaffte, seinen Verfolger zu fixieren, welcher trotz Waffe unbeirrt auf mich zuschritt. Was der Mann hinter mir brüllte, verstand ich nicht, doch als der Engel nahe genug war, schoss er ihm in die Schulter. Dunkles Blut spritzte hervor und ich hielt für eine Sekunde entsetzt den Atem an - er zog die Kugel einfach aus seiner Schulter heraus und grinste, wobei er seine langen, blutigen Fangzähne enthüllte. Es war kein freundliches Grinsen, sondern ein gehässiges, als wolle er sagen: Du kannst mich nicht töten. Auch ein zweiter Schuss in die Bauchgegend zeigte keine Wirkung; der Soldat ließ entsetzt die Waffe fallen und aus seinem Brüllen wurden Angstschreie. Ich versuchte panisch, mich aus seinem Griff zu winden und zur Tür zur laufen, doch mein Körper war wie gelähmt; hilflos sah ich zu, wie der Engel die Waffe außer Reichweite kickte und sich mit bedrohlich langsamen Schritten weiter näherte. Mit jedem seiner Schritte zog der Soldat mich ein Stück weiter rückwärts, bis er mit dem Rücken zur Tür stand. Inzwischen drückte er meine Kehle so fest zu, dass ich das Gefühl hatte, meine Augen würden gleich aus ihren Höhlen gepresst werden. Der Engel kam zum Stehen und blickte dem zitternden Mann in die Augen, immer noch das verzerrte Grinsen im Gesicht. Plötzlich stürzte er sich auf ihn, riss ihn von der Wand weg und biss ihm ins Gesicht. Schreiend ließ der Mann mich fallen und versuchte, sich zu befreien – doch es war zwecklos. Die Zähne des Engels durchdrangen seinen Unterkiefer, als wäre er aus Papier, ich hörte, wie seine Knochen zersplitterten und mitsamt Fleisch herausgerissen wurden. Entsetzt legte ich meine Hände auf die Augen – zu mehr Bewegung war ich nicht fähig. Die Schreie des Mannes gingen im Krachen brechender Knochen und dem Reißen von Haut und Fleisch unter. Blut und Fleischstücke spritzten durch den Raum und trafen auch mich, sodass ich nach wenigen Sekunden komplett bedeckt war. Auch als der Soldat verstummte, hörten die Geräusche nicht auf und es dauerte noch eine ganze Weile, bis es still wurde. Obwohl ich immer noch schreckliche Angst hatte, riskierte ich einen Blick durch meine Fingerschlitze: ein blutiger Sack aus Haut lag auf dem Boden, Knochen und Gedärme nach außen gerissen und im gesamten Wohnzimmer verteilt. Der Rest des Schädels lag direkt neben mir und starrte mich aus einem Auge entsetzt an. Der Engel hockte neben diesem entsetzenden Bild – und biss einen Finger mitsamt Knochen ab, um ihn langsam zwischen den Kiefern zu zermahlen. Obwohl ich kein Geräusch machte, hob er plötzlich den Kopf, warf die Hand weg und kroch langsam auf allen Vieren auf mich zu. Am liebsten hätte ich geschrien, brachte aber nur ein jämmerliches Winseln zustande und kniff die Augen fest zusammen.

Seine blutbeschmierten Hände legten sich auf meine Schultern und zogen mich nach vorne. „Keine Angst.", hörte ich ein Flüstern, bevor der Engel mich fest an seine Brust drückte. „Er wird Dir nicht wehtun. Er kann es gar nicht mehr." Ich krallte mich in sein Hemd und weinte wieder, dieses Mal allerdings vor Erleichterung. Für einige Sekunden hatte ich befürchtet, genau wie meine Eltern von den Soldaten ermordet zu werden – doch ich hätte wissen müssen, dass mein großer Bruder mich retten würde. „Schhh." Er streichelte mich sanft am Rücken und pflückte einen Augapfel von meinem Schulterblatt, um ihn mir vorsichtig in den Mund zu stecken. „Alles wird gut, kleiner Bruder." Ich musste sogar ein wenig lächeln, bevor ich den Augapfel langsam zerkaute. Das noch warme Blut des Soldaten fühlte sich gut in meinem ausgetrockneten Mund an – und die festen Bestandteile schmeckten gar nicht so schlecht.

Ich weiß, was sie jetzt denken. Ja, meine Spezies ernährt sich eigentlich nur von Blut, aber hin und wieder will man auch mal etwas festes zwischen den Kiefer bekommen. Oh, schon so spät? Es tut mir leid, Sie so lange aufgehalten zu haben, wo doch viele Patienten auf Ihre Hilfe warten. Wir können doch nächstes Mal über die dargelegten Ereignisse reden, oder? Ich muss wirklich dringend heim – ich habe meinem Bruder versprochen, dass wir heute gemeinsam zum Abendessen ausfliegen...

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