>Part 1<

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Zitternd mit aufgerissenen Augen stand ich da. Ein lautes Piepen hatte mein Gehör vollkommen lahm gelegt. Immer wieder sah ich auf meine Hände, sie waren voller Blut, Scherben und Dreck. Als das Pfeifen in den Ohren verschwand war es unglaublich still, das gesamte, eben noch so edle, Restaurant war zerstört und brannte an einigen Stellen. Überall Trümmer und Menschen, teils verletzt teils Tod. Panik kroch in mir hoch. Wo sind Sie?

Immer noch unter Schock sah ich mich hektisch um. Auf wackeligen Beinen versuchte ich über Trümmer und Menschen hinweg durch das zerstörte Gebäude, vorran zu kommen. Dann sah ich sie. Meine Schwiegermutter hatte ihren Enkel im Arm und schrie. Sie selbst war nur leicht verletzt, neben Ihr saß ihr Mann über seinen Sohn gebeugt. Wie ihn Zeitlupe trat ich näher und erkannte:

Sie sind tot, mein Mann und mein Sohn.

Von nun an bekam ich alles nur noch sehr verschwommen mit, es kam hektik auf und im ganzen Umkreis waren Schreie und weinen zu hören. Verzweifelte Menschen die alles verloren hatten oder schwer Verletzt nach Hilfe riefen. Dann kamen die Sirenen, Krankenwagen, Notärzte und Polizei auch die Feuerwehr konnte man heraus hören. Ich selbst stand wie angewurzelt an Ort und Stelle und sah einfach weiter geschockt auf meine Schwiegereltern, in ihrer unendlichen Trauer versunken.

Es wurde allmählich hektisch, verletzte wurden erst versorgt und weg gebracht, Tote abgedeckt. Als sich Männer meiner Schwiegermutter näherten und den Kopf schüttelten schrie sie noch lauter auf, dann fiel ihr Blick auf mich. Doch ich konnte ihrem Blick nicht standhalten und drehte mich weg. Was hätte ich auch sagen oder tun sollen?

Eine Hand wurde auf meine Schulter gelegt und ich schrie erschrocken auf. Ein Mann, offensichtlich Sanitäter sprach auf mich ein, doch ich verstand kein Wort, ich wollte nur das er von mir weg ging. Erst versuchte ich etwas zu sagen, doch es kam kein Ton aus meinem Mund, er kam mir immer näher also begann ich um mich zu schlagen. Er sollte doch einfach nur weg gehen, mich in Ruhe lassen.

Dann wurde der Mann von mir weg gezogen und zwei Männer sprachen auf ihn ein. Er drehte sich schliesslich weg um nach anderen zu sehen. Die zwei Männer hatten schwarze Kleidung an und Schutzwesten um, sie waren bewaffnet, es war wohl die Polizei. Der eine wollte direkt auf mich zu kommen, doch ich wich weiter zurück und stolperte über irgend etwas. Ohne auch nur den Versuch zu starten, mich abzufangen, stürzte ich zu boden und blieb dort sitzen.

Langsam aber sicher kam die Wahrheit bei mir an, dass alles war kein Traum. Ich würde nicht gleich erwachen und meinen Mann neben mir liegen sehen. Er lag dort vor mir, tot genau wie unser einziges Kind. Der eine Polizist, sprach mit seinem Kollegen und schickte ihn dann scheinbar weg. Er nahm seinen Helm ab und strich sich einmal mit der Hand durch seine schwarzen kurzen Haare. Dann sah er mir mit seinen grün-goldenen Augen auf mich runter.

"Bist du schwer verletzt?" Es dauerte einen Moment bis ich realisierte, dass er mit mir sprach. Dann schüttelte ich langsam den Kopf. "Warst du allein hier?" Wieder verneinte ich stumm und zeigte dann auf meine Schwiegereltern. Er stand auf und ging zu Ihnen, kurz sprach er mit meinem Schwiegervater, dann kehrte er zu mir zurück. "Komm, du musst hier raus." Aber egal wie sehr ich es auch wollte, mein Körper weigerte sich.

Nach meinem zweiten halbherzigen Versuch aufzustehen, griff der Polizist nach mir und zog mich auf die Beine. Ohne auch nur einmal anzuhalten zog er mich raus und auf der Straße angekommen sofort um die Ecke, weit weg vom Geschehen. Alles ging schnell aber dennoch hatte ich genug gesehen. Die vielen Verletzten, das Blut, die Leichenwagen.....

Mein zittern wurde immer schlimmer, sodass ich mich gar nicht mehr auf den Beinen halten konnte und an einer Hauswand zu Boden sank. "Hier, trink das." Mein Blick wanderte zu seiner Hand, nahm die Flasche Wasser jedoch nicht entgegen. Ich wollte nichts trinken, ich wollte gar nichts. Der Mann seufzte einmal leise und kniete sich dann vor mich. "Komm trink, das ist wichtig." Er nahm mit der einen Hand mein Kinn und hielt es fest, die andere Hand streckte mir die Flasche Wasser entgegen. Widerwillig trank ich einen Schluck, erst jetzt bemerkte ich wie trocken mein Hals war.

Eine ganze Zeitlang saß ich so da, der Mann blieb bei mir. Dann kam wohl ein Funkspruch, er sollte sofort zum Einsatzleiter kommen. Doch egal wie sehr er auf mich einredete ich konnte und wollte jetzt nicht aufstehen, irgend wann verlor er die Geduld und zog mich auf seine Arme. Vor einem großen Polizeifahrzeug blieb er stehen und setzte mich vorsichtig auf die Kante des Kofferaumes.

Mehrere Polizisten tauchten auf und sprachen mit ihm, dann zeigte er auf mich. "Sie steht unter Schock aber die Seelsorger sind vollkommen überlastet, was soll ich mit ihr machen?" Der ältere grauhaarige Mann neben ihm, musterte mich kurz. "Wir sind angewiesen nur Schwerverletzte in die Krankenhäuser weiter zu leiten, bring sie auf die Wache und kümmer dich um sie bis ich mehr weiß."

Ich wurde wieder hochgehoben und zu einem schwarzen Kombi getragen, dort schob er mich sachte auf den Beifahrersitz und schnallte mich an. Noch immer erschien alles so verschwommen, ich fühlte mich schwach und leer. Es war mir einfach alles egal. Während der Fahrt sprach der fremde kein Wort mit mir. Nach einiger Zeit stoppte er dann vor einem schlichten Betongebäude mit der großen Aufschrift Polizei.

Wieder hatte er mich getragen bis zu einem Raum mit einem Sofa, dort setzte er mich ab und verschwand kurz durch eine Tür. Ich ließ mich einfach tiefer in das Sofa sinken und starrte auf meine Hände. "Zeig her, ich mach sie sauber." Wieder traf mein Blick seinen aber ich schwieg weiter. Vorsichtig nahm er meine Hände und fuhr immer wieder mit einem Lappen über sie, bis das Blut und der Dreck verschwanden.

Allerdings waren meine Arme, Beine und auch die Hände noch voller winziger Splitter. "Verdammt, ich hol eine Pinzette, ich weiss das wird weh tun aber sie müssen raus." Ich spürte nichts, nicht als er sie raus zog und auch nicht als er Plaster und Verbände benutzte um die entstandenen Wunden zu versorgen. Dann drückte er mich an den Schultern zur Seite, sodass ich lag und deckte mich zu.

Erst starrte ich weiter nur auf den Schreibtisch gegenüber, doch irgend wann schloss ich die Augen und schlief ein. Leise Stimmen weckten mich schliesslich wieder auf. Der alte Mann von vorher und der Polizist, der mich versorgt hatte, standen vor mir und unterhielten sich. "Haruyo, wie gehts ihr?" Der jüngere sah kurz auf mich, doch ich hatte die Augen wieder geschlossen und bemühte mich, schlafend zu wirken. "Sie spricht nicht, laut Ihrer Schwiegereltern hat Sie Mann und Kind verloren. Ich fürchte sie wird noch lange unter Schock stehen." Vorsichtig öffnete ich wieder die Augen einen Spalt weit und sah wie der grauhaarige sich durchs Gesicht fuhr.

"Immer noch sind alle völlig überlastet, die halbe Stadt liegt in Trümmern, Telefone funktionieren noch nicht, wir können niemanden benachrichtigen, ich hab schlicht weg keine Ahnung wohin mit all den Menschen. Lass dir für sie was einfallen." Was meinte er denn damit? Die halbe Stadt? War das im Restaurant etwa kein Einzelfall, nun schreckte ich auf. Die beiden sahen erstaunt zu mir.

"Was ist denn passiert?" Meine Stimme war leise und kratzig aber sie hatten mich verstanden. "Es gab Anschläge in ganz Japan und überall zeitgleich." Man sah mich abwartend an doch ich nickte nur verstehend. "Kümmern Sie sich nicht um mich, sie haben jetzt wichtigeres zu tun." Zum Ende hin war ich immer leiser geworden, aber ich meinte was ich sagte, sie mussten die Menschen die noch eine Chance hatten, retten.

Der Abteilungsleiter sah seinen jüngeren Kollegen fragend an und dieser Nickte. "Ja ist gut ich kümmer mich drum, sie haben sie gehört kümmern sie sich um die anderen." Dann waren wir wieder allein. "Du kannst nicht hier bleiben, ich denke wir brauchen beide Ruhe. Du wirst erst mal mit zu mir kommen, dann sehen wir weiter, einwände?" Ich sah ihn kurz an um gleich darauf wieder auf den Boden zu starren. "Kann ich versuchen jemanden zu erreichen?"

Sofort hielt er mir sein Handy hin. "Klar, ich hol eben das Auto vor die Tür, warte hier." Ich wählte zig verschiedene Nummern, aber entweder war besetzt oder aber es sagte mir eine Ansage, dass die Netze völlig überlastet waren. Ich konnte also wirklich erst mal niemanden erreichen, mein eigenes Handy war irgend wo in den Trümmern zurück geblieben. Bevor ich weiter nach denken konnte, kam der Polizist zurück.

Ich hielt ihm sein Telefon entgegen. "Hier Ihr Handy, ich konnte niemanden erreichen." Er nahm es und steckte es in eine seiner Taschen. "Wir werden nachher noch mal versuchen jemanden zu erreichen, aber jetzt komm mit mir." Ich nickte und folgte ihm auf zitternden Beinen.

Einmal Abgrund und zurückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt