3: Dienstag, 03. September

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~ TELEFONAT MIT FOLGEN ~


"Ms. Pearson!", Letitzia stürmt in mein Zimmer und bleibt gleich wieder stehen, als sie mich sieht.

Ich sitze schulfertig auf meinem Bett. Ich bin angezogen und habe meine Haare gemacht, sogar gegessen habe ich schon, bevor die beiden Hausmädchen überhaupt hier aufgetaucht sind. Ich hab mich in mein Zimmer zurückgezogen und jetzt wollte Letitzia mir wohl bescheid geben, dass es Zeit ist, in die Schule zu gehen.

Totmüde stehe ich von meinem Bett auf und schlurfe zum Spiegel. Erschrocken starre ich das Mädchen im Spiegel an. Ich habe leuchtend blaue Augenringe, weil ich die ganze Nacht über kein Auge zugemacht habe. Dazu kommen knallrote Augen und leicht verlaufener Maskara. Wieso?

Als Letitzia ins Zimmer kam, saß ich zusammengekauert auf meinem Bett und habe über einem Bild von mir und meinem Onkel geweint. Ich dachte schon, ich hätte dieses Foto verloren, aber gerade jetzt musste ich es wiederfinden. Jetzt wo sein Verlust noch so frisch und schmerzhaft ist.

"Was ist los?", fragt Letitzia sanft nach.

"Lange Geschichte", seufze ich, da mir gerade klar wird, dass noch keiner weiß, dass mein Onkel tot ist und ich das Vergnügen habe, ihnen dies noch mitzuteilen. Mit den Worten "Erzähl ich euch alles nach der Schule" verschwinde ich mit meinen Geschwistern aus dem Haus. Mein gespieltes Lächeln wird zu einem Echten, als ich höre wie sich Jackson und Abigail darüber streiten, welches Fach sie in der ersten Stunde haben.

Die Schule verläuft ereignislos. Das Kennenlernen der neuen Lehrer und Kurskameraden hat nach wie vor Priorität vor dem regulären Unterricht. In der vorletzten Stunde des Tages haben wir wieder unseren Klassenlehrer.

Die Stunde fängt an und noch während Herr Grug überprüft, wer anwesend ist, klingelt mein Handy.

Ich zucke zusammen und sofort liegen sämtliche Blicke auf mir. Schnell krame ich mein Handy hervor und sehe, dass Letitzia mich anruft.

Mit ungutem Gefühl nehme ich den Anruf entgegen und übergehe dabei geflissentlich Herrn Grug, welcher eigentlich verlangt, dass ich mein Handy ausschalte und ihm auf das Pult lege.

"Freya?", Letitzia klingt komplett aufgewühlt.

"Ja?", ich ahne übles.

"Gott sei Dank erreiche ich dich! Bei Paul springt immer sofort die Mailbox an."

"Ich weiß, ich weiß. Was ist los? Warum rufst du an?"

Verdutzt fragt sie nach: "Du weißt wieso Paul nicht ran geht?"

"Ja, ich erzähle dir später warum er nicht rangehen kann. Aber jetzt sag schon, warum du anrufst. Ich sitze gerade mitten im Unterricht!" Die Tränen kann ich gerade so unterdrücken als ich über meinen Onkel Paul reden muss.

"Du hast ja Recht. Ist wahrscheinlich nur eine einmalige Sache. Aber weil ich ihn nicht erreichen kann, musst du jetzt schnell hierher kommen!"

"Warum, Letitzia?", meine Nerven sind langsam am Zerreißen.

"Magna hat angerufen.", beginnt Letitzia. Damit hat sich meine üble Vorahnung bestätigt.

"Patrick hatte gerade wieder einen Anfall. Sie haben ihn ins Krankenhaus gebracht, aber er ist noch nicht wieder ansprechbar. Ein Angehöriger soll sich um seinen Papierkram kümmern. Also musst du her kommen.", berichtet Letitzia weiter.

"Scheiße!", fluche ich. "Bin schon unterwegs!", rufe ich Letitzia noch zu, ehe ich auflege.

Ich springe von meinem Stuhl auf und greife nach meiner Jacke. Das immer noch sämtliche Blicke auf mir liegen, ignoriere ich völlig.

"Grace, bring meine Schulsachen bitte in meinen Spind. Herr Grug, Ihnen erkläre ich morgen alles.", und schon bin ich aus dem Klassenzimmer verschwunden und lasse eine verdutzte Klasse zurück.

Doch alles in meinem Kopf dreht sich darum, wie ich schnellst möglich ins Krankenhaus gelange. Doch diese Frage klärt sich, als ich auf den Parkplatz der Schule laufe. Dort steht nämlich Francesca und neben ihr entdecke ich mein Motorrad.

Freudig laufe ich auf sie zu und nehme den Helm entgegen.

"Was würde ich bloß ohne euch zwei machen! Ihr seit wirklich die Besten.", sage ich zu Francesca, welche breit zu lächeln beginnt und mit den Schultern zuckt. Dann steige ich auf und fahre mit quitschenden Reifen zum Krankenhaus.

An der Information erklärt man mir, dass Patrick auf der Intensivstation liegt und wie ich am Besten dorthin finde.

Doch ehe ich das Zimmer betreten kann, werde ich von einer jungen Ärztin aufgehalten.

"Sind sie die Angehörige von Patrick Pearson?"

"Ja, stimmt"

"Und mit wem habe ich das Vergnügen?"

"Oh natürlich, entschuldigen Sie bitte. Ich bin Freya Pearson. Patrick ist mein Stiefvater."

"Gut und wie kommt es, dass Sie hier sind und nicht ihre Mutter oder Geschwister von Herrn Pearson? Bitte verstehen sie mich nicht falsch, aber ich hätte mit jemand Erwachsenem gerechnet."

"Das liegt wohl daran, dass meine Mutter, seine Ehefrau, nichts mehr mit ihm zu tun haben will und zudem bin ich 18!", langsam werde ich echt eingeschnappt.

Das Thema das Patricks Geschwister betrifft, vermeide ich bewusst.

"Oh, aber natürlich. Dann kommen Sie mal mit." Damit dreht sich die Ärztin wieder um und läuft zu dem Infotmationstresen der Station.

Noch verärgerter als zuvor, weil sie es offensichtlich noch nicht mal für nötig hält, sich zu entschuldigen, folge ich ihr.

Da ich diese Formulare nicht zum ersten Mal sehe, dauert auch das Ausfüllen nicht besonders lange. 

Während ich die letzte Seite überfliege, kommt eine Schwester und teilt der Ärztin mit, dass Patrick gerade aufgewacht ist und mit seinem Angehörigen reden wolle.

Das ist mein Stichwort, schnell die letzte Unterschrift zu setzen und in Patricks Zimmer zu verschwinden.

Ich höre noch, wie die Schwester versucht mich aufzuhalten, was ich aber ignoriere.

Wie erwartet sitzt Patrick in seinem Bett und sieht mich an, als ich die Tür hinter mir schließe.

Er wirkt ziemlich überrascht, mich, anstatt meines Onkels, zu sehen.

"Was machst du denn hier? Du hast doch Schule?"
Seine Stimme jagt mir einen kalten Schauer über den Rücken. Sie ist so kratzig, klingt so schwach, so zerbrochen, so emotionslos.

"Es muss sich doch jemand um dich kümmern."

"Aber du hast das doch noch nie gemacht. Immer kam Paul und hat sich um sämtliche Papiere gekümmert. Also, warum bist du hier und nicht in der Schule? Wo ist Paul?"

"Wenn du wüsstest..."

"Wenn ich was wüsste? Sag's mir! Wo ist mein Bruder? "

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