6: Mittwoch, 04. September

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~ ZUKUNFTSPLÄNE AUF DEM FRIEDHOF ~


Während des Wartens auf den Arztbrief, um endlich wieder nach Hause zu können, bekommt Grace einen Anruf von ihrer Mutter. Nachdem sie wieder aufgelegt hat, erzählt sie uns, dass ihre Mutter möchte, dass sie schnell nach Hause kommt. Also verabschiedet sie sich direkt vor dem Krankenhaus von uns und geht dann in die entgegengesetzte Richtung. 

Da Patrick nicht mit auf mein Motorrad kann, nimmt er sich ein Taxi, und ich fahre auf dem Motorrad hinterher. Zuhause angekommen, helfe ich Patrick ins Haus und dann weiter ins Wohnzimmer. Natürlich entgeht unsere Ankuft Letitzia nicht und da es sehr ungewöhnlich ist, dass Patrick bei uns zu Hause ist, versammelt sie schnellstmöglich alle im Wohnzimmer. 

"Was wollt ihr denn so dringend? Ich war mitten im Telefonat... Oh!", Abigail kommt genervt durch die Tür, da Letitzia sie förmlich gezwungen hat zu kommen. Aber sie merkt sofort, was für eine angespannt Stimmung herrscht und das etwas ganz sicher nicht normal ist. Schnell lässt sie sich aufs Sofa fallen und sieht von Patrick zu mir und wieder zurück. "Okay, was geht hier vor?" 

"Ich denke, da jetzt alle hier sind, ist wohl der Moment gekommen, in dem ich auspacken muss.", ich seufze. "Okay, zu erst mal habt ihr sicherlich bemerkt, dass es mir in den letzten Tagen nicht sonderlich gut ging und ich bin euch allen sehr dankbar, dass ihr mich in Ruhe gelassen und nicht mit Fragen gelöchert habt. Aber dennoch ist das Thema, so ungerne ich darüber auch spreche, eines das euch alle auch betrifft und deshalb darf ich das nicht länger verschweigen. Ihr habt die Wahrheit verdient und es ist mir auch sehr peinlich, dass ich es euch so lange verheimlicht habe. Das war echt nicht richtig von mir, aber leider kann ich das nicht mehr ändern, so gerne ich auch möchte.", ich stoppe meinen Redeschwall, um nochmal tief Luft zu holen. 

"Okay, jetzt machst du mir echt Angst, Frey. Spuck's aus.", Jackson schien sichtlich besorgt. 

"Also gut... Paul ist tot.", ich hole zitternd Luft. "Jetzt ist es raus..." Ich spüre wie mir die Tränen schon wieder über die Wangen kullern, bevor die Aussage überhaupt erst in den Köpfen der anderen angekommen ist. Patrick greift nach meiner Hand, um mir Halt und Kraft zu geben. Alle Anderen im Raum gucken mich immer noch total entgeistert an. Nach einem weiteren, tiefen Atemzug wiederhole ich noch einmal meine ganze Gesichte, die ich Patrick bereits im Krakenhaus erzählt hatte. 

Als ich geendet habe, kehrt Stille ein. Alle versuchen für sich, die Wörter, die noch im Raum schweben zu verarbeiten und zu begreifen. "Es tut mir wirklich Leid, dass hätte ich euch gleich sagen sollen, nein sagen müssen.", murmele ich mit gebrochener Stimme und unter Tränen in die Stille hinein.

Francesca fängt sich als erste einigermaßen wieder. Sie kommt um den Wohnzimmertisch herum auf mich zu und nimmt mich in den Arm. Sie streichelt mir über den Kopf und Rücken und drückt mir einen Kuss auf den Scheitel. Dann sieht sie mir in die Augen und ich kann jede einzelne Träne erkennen, die ihr aus den Augen fällt. In ihrer Mimik liegt eindeutig Betroffenheit und Trauer aber auch Mitgefühl und Verständnis. 

Francesca ist eine Frau mit großen Menschenkenntnissen und viel Lebenserfahrung. Als stummes Mädchen auf die Welt zu kommen und seinen ganz eigenen Weg zu gehen, unmittelbar nach der Schule, dass Heimatland Italien zu verlassen und ganz alleine eine Tochter großzuziehen und überall ihren verdienten Respekt einzufordern, ohne jemals einen einzigen Ton von sich zu geben, sind nur wenige Beispiele ihrer unfassbaren Stärke. Sie versucht so viel wie möglich an ihre Tochter Letitzia weiterzugeben und hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich um mich und meine Geschwister zu kümmern.

Das ist auch der Grund, warum sie als nächstes direkt zu Jackson und Abigail geht, um diese in den Arm zu nehmen. Letitzia sitzt immer noch auf dem Sofa und vergräbt ihr Gesicht in den Händen. Nach einer Ewigkeit nimmt sie die Hände wieder runter und holt rasselnd Luft. "Scheiße!", stößt sie aus. Francesca lässt meine Geschwister los, um ihre Tochter in die Arme zu nehmen. In der Zwischenzeit kommen die Zwillinge auf mich und Patrick zu und wir drücken uns so fest aneinander, dass alle weiteren Worte überflüssig sind. Es ist das stumme Versprechen von jetzt an noch mehr auf einander aufzupassen und für einander da zu sein. Francesca und Letitzia schließen sich unserem Kuschelhaufen an und die nächsten 10 Minuten bleiben wir einfach reglos so stehen. 

Irgendwann macht Patrick den vorsichtigen Vorschlag Paul besuchen zu gehen und natürlich willigen alle sofort ein. Also steigen wir ins Auto und fahren zum Friedhof. Ich zeige ihnen, wo das Denkmal steht und wir machen so etwas wie unsere eigene kleine, improvisierte Beerdigung. Jeder spricht aus, was ihm gerade durch den Kopf geistert und alle lassen diese ehrlichen Worte einfach auf sich wirken. Anschließend setzen wir uns alle im Halbkreis vor dem Denkmal auf den Rasen und jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach. 

"Wie geht das jetzt eigentlich alles weiter?", Patrick spricht mal wieder genau das aus, was wir uns wohl im Moment alle denken. 

"Ich sehe das so, dass wir Magna auf keinen Fall aufgeben und verlieren dürfen. Wir müssen ja irgendwovon leben können und etwas anderes haben wir nicht.", ich bin über mich selbst überrascht, dass ich so klare Gedanken fassen kann. 

"Den Gedankengang kann ich zwar nachvollziehen aber wie schaffen wir das? Oder hattest du da schon eine Idee?", fragt Letitzia nach. 

"Ich bin in einem Jahr aus der Schule raus, dann kann ich Magna offiziell übernehmen. Ich habe von Paul schon sehr viel gelernt und weiß eigentlich alles über das Geschäft. Aber mit einer Schülerin als CEO wäre der Ruf sofort im Keller.", spinne ich unseren Gedanken weiter. 

"Aber kann Patrick nicht erstmal der Vorsitzende sein?", fragt Abigail nach. 

"Abs, denk doch mal nach. Mit seiner Krankheit ist das ein sehr gewagtes Unternehmen.", mal wieder verhält sich Jackson reifer als er eigentlich ist. 

"Naja, im Moment wäre das wohl die einzige Chance, die uns bleibt. Ich muss ja nur ein Jahr durchhalten. Dannach kann Freya übernehmen. Und bis dahin muss sie sich auf die Schule konzentrieren."

"Ich muss euch noch etwas erzählen.", setze ich an. "Ich habe mich für ein Schnell-Studium beworben. Das ist das erste Mal, dass dieses Konzept ausprobiert wird und ich würde dabei innerhalb von einem Jahr rein schulisch alles erlernen, was ich als Führungskraft bräuchte. Dann wäre ich nicht nur aus der Schule, sondern auch noch studiert. Das wären die besten Voraussetzungen, die ich mitbringen könnte. Natürlich wird das ein hartes Stück Arbeit. Morgens Schule und abends Studium, aber ich glaube ich könnte das schaffen. Vorausgesetzt sie nehmen mich an."

"Und Patrick übernimmt solange die Firma. Wir versuchen die Krankheit unbeachtet zu lassen, solange wie es geht. Und dann können wir immer noch alles aufklären. Die Krankheit öffentlich machen und die Firma in gute, qualifizierte Hände übergeben. Und wenn Freya schon vorher häufiger mal mit Magna in der Öffentlichkeit steht, würde das Ansehen sicher steigen, wenn Freya den Vorsitz übernimmt. Außerdem würden die Menschen euch beziehungsweise Freya dann unterstützen wollen, wenn sie eure Story kennen.", Letitzia ist Feuer und Flamme von der Idee.

"Du musst das tun? Oder Freya?", Abigail scheint besorgt.
"Mach dir keinen Kopf. Ich krieg das schon hin. Und außerdem habe ich ja euch alle. Ich weiß, dass ihr mich unterstützen werdet."

"Also schön. Wir werden es so versuchen.", willigt auch Patrick in den Plan mit ein.
Auch Francesca nickt zuversichtlich.
"Paul, du wirst uns auch helfen, nicht wahr?", ich schaue zum Denkmal hoch.
"Mit Sicherheit", kommt es von meinen Geschwistern, wie aus einem Mund.
Und zum ersten Mal an diesem Tag, lächle ich, vollkommen ehrlich. Ich bin echt dankbar, dass ich so tolle Menschen um mich habe, die mich bei allem unterstützen, was ich mir vornehme.

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