Die hübsche Frau aus dem Kapitol war wieder die selbe. Sie betreute die Ernte in Prims Distrikt nun schon zum Fünften Mal in Folge. Solange hatte sich bisher noch niemand gehalten. Sie sah außergewöhnlich aus, mit den bunten, ausgefallenen Kleidern die sie trug, der knallpinken Perücke auf dem Kopf und der verrückten Schminke im Gesicht. Im Kapitol war dies in Mode, dort sah jeder so ausgefallen aus. Prim hatte sich schon oft vorgestellt wie es wohl wäre diesen Ort zu sehen, dort zu leben und so auszusehen, wie Effie Trinket. Diese trat nun, mit einem Lächeln auf den Lippen, vor und rief mit lauter Stimme: „Ladies First!“
Ein zittern machte sich in Prims Körper Breit. Wie lähmendes Gift breitete es sich rasend schnell in ihrem kleinen Körper aus. Es begann in den Beinen, die weicher wurden als die kuriosen Vorspeisen die man im Kapitol servierte, dann kroch es weiter durch ihren schmerzenden Bauch, bis in ihre zarten Fingerspitzen. Sie ballte die Hände zu Fäusten und versuchte ihre Zähne vom klappern abzuhalten, vergeblich.
Was würde geschehen wenn man sie ziehen würde? Sie würde sterben, so viel war klar, doch wie würde sie sterben? Durch eine Axt, die ihr den Kopf von den Schultern hacken würde, ein Messer das man ihr mitten ins Herz rammte oder doch ein Schwert das ihren kleinen Körper in zwei Hälften teilte. Vielleicht aber auch durch einen Bogen. Ein sauber geschossener Pfeil konnte sie schnell töten. Hoffentlich würde es schnell gehen.
Zum Glück war es noch nicht so weit. Schließlich waren so viele Zettel in diesem Bottich. Die Wahrscheinlichkeit das ausgerechnet ihr Name gezogen werden würde war wahnsinnig gering, doch sie war trotzdem da. Ihr Name war bloß einmal drin, Katniss Name war bestimmt mindestens zwanzig Mal darin. Prim wusste nicht was ihr mehr Angst machte, der Gedanke selbst zu den Spielen zu müssen oder der Gedanke Katniss dort sterben zu sehen.
Prim sagte sich nun zum tausendsten Mal, dass sie nicht gezogen werden würde, dass sie sicher war, dass ihr Name schließlich nur ein Mal in dem Bottich war und das alles gut werden würde. Doch schon im nächsten Moment bemerkte sie was für ein Blödsinn das doch war. In Panem war nichts gut und sie würde vermutlich auch nicht miterleben wie es besser werden würde, sollte dies jemals geschehen.
Nun steckte die Frau aus dem Kapitol ihre Hand in die Glaskugel und ließ sie eine Weile über den Zetteln umherwandern. Dann erwählte sie einen Zettel und zog ihn hervor. Während vor einigen Sekunden noch leises Getuschel zu vernehmen war, konnte man nun keinen Laut mehr vernehmen. Niemand wagte zu Atmen, während Effies Augen über den Namen auf dem Zettel huschten. Sie holte einmal tief Luft und öffnete den Mund:
„Primrose Everdeen:“
Prim hörte erleichtertes Aufatmen von allen Seiten. Natürlich atmeten sie auf. Der Name der gezogen würde gehörte nicht zu dem braunhaarigen Mädchen mit den geflochtenen Zöpfen, welches links von Prim stand. Oder dem schwarzhaarigen Mädchen rechts von ihr. Er gehörte auch keinem der anderen um sie herum, denn er gehörte einzig und allein ihr.
Sie selbst konnte nicht ausatmen, sie hielt weiter stur die Luft an. Die gesamte Welt schien für sie still zu stehen. Das zittern, das ihren Körper übernommen hatte, war verschwunden. Eine seltsame Stille erfüllte sie nun. Sie hatte Angst gehabt das dies geschah, doch tief im Herzen war sie sicher gewesen das es nicht passieren würde. Nun war es doch soweit gekommen.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals, während sie sich langsam in Richtung Mittelgang drehte. Die Menschen um sie herum nahmen nun endlich war was geschehen war. Sie hörte erschrockenes Aufatmen und entsetztes Fluchen. Trotzdem traten sie alle bereitwillig zur Seite, damit sie an ihnen vorbei laufen konnte. Alle heuchelten Mitgefühl, doch Prim wusste es besser. In Wahrheit waren sie froh, dass es nicht sie erwischt hatte.
Katniss Gesicht konnte sie in der Menschenmenge nicht ausmachen, stattdessen erinnerte sie sich daran, was ihre Schwester heute morgen zu ihr gesagt hatte: „Dein Schwänzchen guckt raus, kleine Ente.“ Sie spürte, dass es wieder so war und steckte sich den hinteren Teil ihrer Bluse wieder in den Rock. Eigentlich wollte sie weinen oder schreien. Vielleicht auch weglaufen, aber stattdessen hob sie den Kopf und ging mit erhobenem Haupt weiter.
Vor ihr und hinter ihr versammelten sich Wachen und eskortierten sie nach vorne. Die Angst breitete sich in Prims kleinem Körper aus wie ein schnell wirkendes Gift und so langsam hatte sie Mühe sich auf den Beinen zu halten. Sie brach fast zusammen, doch irgendwie blieb sie stark. Sie musste stark sein, denn alle beobachteten sie, auch ihre Gegner.
„Prim!“ erklang plötzlich hinter ihr die Stimme, auf die sie gewartet hatte. Katniss. Die Verzweiflung in ihrer Stimme war kaum zu ertragen, doch Prim drehte sich nicht um. Sie ging stocksteif weiter nach vorne und ignorierte auch die folgenden Schreie ihrer Schwester.
Sie war fast an der Bühne angekommen, da packte Katniss sie plötzlich von hinten und zog sie an sich. Prim wollte protestieren, doch die Wachen kamen ihr zuvor. Sie versuchten Katniss wegzuzerren, doch sie schlug ihre Arme zur Seite und rief etwas, dass Prims Blut in ihren Adern gefrieren ließ.
„Ich gehe freiwillig!“ keuchte sie. „Ich gehe freiwillig als Tribut!“
Nun wusste Prim eine Antwort auf ihre Frage. Zusehen zu müssen, wie Katniss in den Tod geht? Ja, das war viel schlimmer als selbst an den Spielen teilnehmen zu müssen. Trotzdem konnte sie nichts tun. Die Regeln erlaubten, das ein Mädchen für ein anderes vortreten und ihre Platz einnehmen konnte und dies dann unwiderruflich galt. Prim konnte es nicht verhindern, konnte sie nicht davon abhalten sie mal wieder zu retten.
„Nein!“ schrie sie verzweifelt und wollte weiter protestieren, doch von hinten legten sich zwei starke Arme um ihre zarte Hüfte und zerrten sie von Katniss und den Wachen fort. Ohne nachzusehen wusste Prim das es sich um Gales Arme handelte. Sie schrie, versuchte ihn zu treten, strampelte mit Armen und Beinen und versuchte auf jede erdenkliche Art sich loszureißen. Leider war es zwecklos.
"Katniss!" schrie Prim verzweifelt und versuchte mit allen Kräften die ihr zur Verfügung standen sich zu befreien. Doch Gale hielt ihr Beine eisern umklammert. Egal wie sehr sie trampelte, um sich schlug, an seinen Haaren zog oder ihn kniff, er trug sie immer weiter nach hinten, während ihre Schwester nach vorne gebracht wurde.
Gale trug sie immer weiter fort, während Effie Trinket, die das ganze natürlich wahnsinnig amüsant fand, irgendetwas zu Katniss sagte. Prim verstand die Menschen im Kapitol einfach nicht. Wie konnten sie anderen Menschen so etwas antun und es auch noch lustig finden? Für sie waren wir bloß Charaktere in einer guten Show. Einige von uns mochten sie, um deren Tod weinten sie vielleicht sogar einige Minuten, doch dann widmeten sie sich wieder ihrem verwöhnten Leben, das aus Essen und Unterhaltungsprogramm bestand. Ekelhaft.
Endlich ließ Gale sie runter und stellte sie neben ihrer Mutter auf den Boden. Obwohl sie nun nach vorne laufen könnte, ließ sie es bleiben. Sie wusste das sie keine Chance hatte, denn vorne waren nun Hunderte von Friesenswächtern, die sie vermutlich erschießen würden sobald sie bei Katniss angekommen war. Außerdem hatte Gale seine Hände auf ihre Schultern gelegt. Wenn sie wirklich los rennen würde, dann würde er sie packen und von hier wegbringen und sie würde ihr geliebte große Schwester nie wieder sehen.
Also blieb Prim brav vor den beiden stehen und beobachtete Katniss. Sie schien das ganze Ausmaß des ganzen noch nicht mal realisiert zu haben. Ohne nachzudenken hatte sie sich freiwillig gemeldet um ihre Schwester zu retten, so wie sie es immer tat.
Eine einzelne Träne löste sich aus Prims Augenwinkel. Zum ersten Mal in ihrem Leben bedauerte sie sich selbst. Etwas, das Katniss ihr immer verboten hatte. „In Selbstmitleid versinken kannst du, wenn du Tod bist.“ Das hatte schon ihr Vater gesagt bevor er starb. Nun würde Prim auch Katniss verlieren. Das ertrug sie einfach nicht. Sie konnte sich nicht zusammenreißen, es tat einfach zu sehr weh.
Auf einmal kam Prim ein neuer Gedanke. Ein rettender Gedanke, der sie davon abhielt in ein schwarzes Loch der Verzweiflung abzurutschen. Was wenn Katniss gewann? Zwölf hatte schon so lange keinen Gewinner mehr gehabt, das Prim automatisch vom grauenvollen Tod ihrer Schwester ausgegangen war. Doch was wenn es doch möglich war?
Ihre Schwester war anders als ihre Vorgänger. Sie war stark, mutig und schlau. Sie konnte jagen. Mit Pfeil und Bogen umgehen und Fallen auslegen. Sie wusste wie man im Wald überlebte. Es kam alles auf die Arena an. Vielleicht musste sie nur lange genug durchhalten, damit die anderen verhungerten.
Prim bekam den Rest der Ernte nicht mehr mit, sie war viel zu sehr damit beschäftigt im Kopf Pläne für Katniss zu erstellen. So bekam sie auch nicht mit wer der männliche Tribut war. Das lähmende Gefühl, welches nach Katniss Worten Prims Körper bemächtigt hatte war nun verpufft. Zum ersten Mal in ihrem Leben erlebte Prim Hoffnung, etwas das in Panem eigentlich schon lange nicht mehr existierte.
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Fantasie Splitter {Kurzgeschichten}
Cerita PendekMein Kopf ist so voll von vielen Ideen für fanfictions und eigene Geschichten, dass ich sie einfach nicht zurückhalten kann. Da ich nicht jede einzelne Geschichte als Buch hochladen kann, werden nur Kurzgeschichten, Splitter des eigentlichen Werkes...