Der Raum

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Stille. Nichts als Stille. Ich klopfte gegen die Tür.
"Lasst mich hier raus", brüllte ich. Mein Herz pochte und meine Mund wurde trocken. Meine Hand, die immer noch gegen die Tür schlug, zitterte, wie verrückt.
Ich schwitze und mir stiegen Tränen in die Augen.
"Bitte! Lasst mich hier raus!", schluchzte ich und sank langsam auf den Boden.
Es war ein kleiner Raum. Ein winziger Raum, wenn nicht sogar ein minimalistischer Raum.
Sie hatten mich eingesperrt. Sie wollten mich bestrafen. Sie wußten, dass ich Klaustrophobie habe. Sie wollten mich leiden sehen. Sie wollten, dass ich Angst habe.
Ich hatte Angst, aber nicht vor ihnen.
Erneut schlug ich gegen die Tür. Aber es nützte nichts. Es waren alle weg.
Alle haben mich alleine gelassen. In der Stille, und dass nicht nur heute.
Schon immer haben sie die nervige Taya im Stich gelassen. Keiner wollte etwas mit ihr zu tun haben. Sie war anders. Ich war anders. Und das passte keinem.
In den Pausen allein, den Sprüchen der Bestien ausgesetzt, die sich meine Mitschüler nannten. Auf Toilette in die Enge gedrängt und geschlagen. Auf dem Schulhof ausgelacht und beschimpft. Zu Hause missachtet und missverstanden. Egal wo ich war, ich hatte nie meine Ruhe.
Alle behandelten mich, als wäre ich ein Nichts. Abschaum. Nichts besonderes und so fühlte ich mich auch. Wie ein Häufchen Elend, ausgestoßen von seinesgleichen.
Ich zitterte am ganzen Körper und mein Magen kniff sich zusammen. Womit hatte ich das verdient? Warum werde ich mein Leben lang gequält, nur weil ich einen Fehler gemacht habe?
Schluchzend saß ich auf dem kalten Boden und hämmerte nun mit beiden Fäusten gegen die Tür.
"Bitte!", machte ich erneut den Versuch. "Bitte lasst mich hier raus".
Wie erwartet nichts. Nichts außer das Brummen der Heizung und das Tröpfeln eines Wasserhahns.
Weinend setzte ich mich auf den Boden und lehnte meinen Rücken, sowohl meinen Kopf gegen die Stahltür.
Ich kniff meine Augen zusammen und versuchte die Tränen zu unterdrücken.
Panik. Ich bekam Panik. Mein Atem wurde schwerer. Mein Herz pochte. Immer schneller und schneller.
"Eins, zwei, drei...", sprach ich zu mir.
Schnell zog ich meine Beine an meinen Körper und verschränkte meine Arme.
"Ein, zwei, drei...", sagte ich weiter und konzentrierte mich einzig alleine auf meine Atmung. So gut wie es ging, versuchte ich mich auf andere Gedanken zu bringen.
"Ein, zwei, drei...". Es klappte. Ich dachte. Ich dachte an alles Schöne, was es gab. Frei von allen Sorgen. Niemand war da, nur ich. Allein. Auf einer Insel. Keine Geräusche, nur das Rauschen der Wellen, die auf den Sand schwappten. Ich war frei. Zufrieden. Glücklich. Alles Begriffe, an die ich in meinem Alltag gar nicht hätte denken können. Ich atmete tief ein und aus. Ein und aus.
"Eins, zwei, drei...", sagte ich ein letztes Mal. Mein Herz beruhigte sich und meine verkrampften Hände entspannten sich.

-Ruhig bleiben und bis drei zählen- sagte meine Mutter früher immer. Damals litt ich oft an Angstzuständen. Der einzige Ausweg waren meine Gedanken und Träume. Sie gaben mir ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Es war ein Ort, frei von allem Unheil und Bösen. Dort konnte ich den Monstern und Geschehnissen, die in der Welt vorkamen entfliehen.
Meine Mutter hat immer gesagt, ich sei eine Träumerin und Denkerin. Anders als andere. Ich war still, leise und schüchtern. Wenn man mich etwas fragte, nickte ich lediglich mit dem Kopf. Ich beklagte mich nie und sprach wenig.
Ich träumte, war abwesend, nie bei der Sache.
Meine Eltern hatten die Hoffnung schon aufgegeben. Oft habe ich mich geweigert mit anderen Kindern zu spielen. Wollte lieber alleine sein. Bei mir. Bei meinen Gedanken und Träumen. Ich wollte niemanden bei mir. Nur ich. Nur die Stille. Ich genoss die Stille immer, nur in diesem Moment hätte ich mir auch nur das leiseste Geräusch eines menschlichen Wesens erhofft.
Es waren vielleicht 20 Minuten. Vielleicht auch 30 oder sogar 40 Minuten, die ich einfach nur auf dem Boden saß und dachte. Denken, das war meine Stärke. Alles ließ sich lösen mit reiner Gedankenkraft.
Ich hatte mich wieder beruhigt und öffnete meine Augen.
Schwarz. Alles was ich sah, war schwarz.
Langsam tastete ich mich die Wand nach oben und suchte dann einen Lichtschalter. Nach gefühlten zehn Minuten fand ich auch einen, der sich ungefähr einen halben Meter neben der Tür befand.
In der Mitte des Raumes befand sich ein einzelnes LED-Licht, welches eine unangenehm grelles Licht warf. Immerhin war es besser als keins.
Sie hatten mich in eine Abstellkammer gesperrt. Besser gesagt in die des Hausmeisters.
Neben einem Waschbecken stand ein Eimer mit Putzzeug. In eine andere Ecke war ein kleiner Schrank gequetscht und daneben ein kleiner Garderobenständer, an dem eine blaue Baustellenjacke hing.
Es war kalt und somit beschloss ich mir die Jacke überzuziehen. Ein kleines Schild kennzeichnete, dass die Jacke einem gewissen Jack Hufferman gehörte. Dem Hausmeister der Schule.
Die Jacke war mir viel zu groß und roch nach Käse und Merretich. Sie ging mir vielleicht 10-15 Zentimeter über meine Hände und hing mir bis zu den Kniekehlen.
Langsam durchforstete ich den Raum und schaute nach Sachen, mit denen ich hinausfinden könnte.
Doch die einzigen Sachen, die ich fand waren ein Kompass, ein Schal, Nägel und diverser Kleinscheiß, der nicht für einen Ausbruch nützlich war.
Ich hing schon gefühlte Stunden in dem Raum und starrte die Wände an. Es tropfte von der Decke. Wahrscheinlich war wieder ein Jungsklo vom ersten Stock undicht.
Ein Tropfen. Zwei Tropfen. Drei Tropfen. Vier Tropfen... Wie gebannt schaute ich auf die Betonwand, die bereits mit große Wasserflecken versehen war. Ob der Hausmeister es bereits gemerkt hat ? Nach der Einschätzung, wie groß die Flecken waren und in welchem Abstand die Wassertropfen hinunterpletscherten, musste es schon seit Stunden tropfen.
Achtzig Tropfen. Einundachtzig Tropfen. Zweiundachtzig Tropfen. Dreiun..
Ein Brummen unterbrach meine Abwesenheit. Ich schaute mich um. Schon wieder ein Brummen. Es klang, wie ein Handy, das auf Vibration gestellt wurde und jetzt in irgendeiner Ecke versauerte. Ich spitzte meine Ohren und versuchte die genaue Richtung zu finden, von der das Brummen kam.
Es brummte noch drei Mal, bevor nur noch das Tropfen zu hören war.
Panisch durchquerte ich den Raum, um das Handy zu finden.
Schnell durchkramte ich den Schrank, der so winzig war, dass nur ein Mensch unter einem Meter hineinpasste. Nichts zu finden. Nichts. Rein gar nichts. Wo konnte es bloß sein? Es musste in der Nähe sein. Ich fühlte mich wie jemand, der seine Brille suchte, aber sie nicht fand, obwohl sie auf dem Kopf war.
Das Handy musste hier sein. Zumindest war ich der Überzeugung, dass es dort irgendwo war.
Genervt fast ich mir an den Kopf und dachte. Wo könnte es sein? Wo könnte dieses verschissene Handy denn nur sein? Nervös lief ich auf und ab und knabberte an meinen Nägeln. Wenn ich es nicht finden würde, würde ich die ganze Nacht dort feststecken.
Ich beschloss nocheinmal den Schrank zu durchsuchen. Meine Hände wühlten in einem Haufen von karierten Hemden und Hosen herum. In keiner einzigen Tasche, oder Ecke war etwas zu finden. Ich redete mir sogar fast ein, dass ich mir alles nur eingebildet hätte.

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