Krankenhaus

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Wutentbrannt lief ich durch die Gänge der Schule. Ein Schritt. Zwei Schritt. Drei Schritt.
Ich spürte, wie die Blicke auf mir lagen. Das Tuscheln hinter meinem Rücken. Doch dass war mir in diesem Moment scheiß egal. Mir war kalt. Ich war müde. Ich hatte Durst, Hunger und zugleich war mir schlecht.
Wahrscheinlich sah ich, wie ein gerupftes Huhn aus. Doch alles, was ich wollte war, in ein Loch zu kriechen und nie wieder hinaus zu kommen.
Mit geballten Fäusten erreichte ich die Eingangshalle, als mich plötzlich jemand rief.
"Hey Taya! Warte!"
Wer war das denn bitte wieder?
Mit zornigen Blick drehte ich mich um und schaute direkt in die Augen von Sam.
Er räusperte sich.
"Ich will ja deinen Abgang nicht vermiesen, aber du musst leider noch hier bleiben", sagte er und hielt mir eine Decke hin. Ich zögerte, aber legte sie mir über. Die Decke war warm und kuschlig. Ich merkte, wie sich die Wärme in meinem Körper ausbreitete. Langsam atmete ich wieder ein und aus. Einatmen. Ausatmen.
"Warum muss ich noch länger hier bleiben?", fragte ich gequält. Ich wollte so wenig Zeit, wie nur möglich mit meiner Mutter verbringen.
"Du lagst gerade zwölf Stunden im Lüftungsschacht, und dass ganz ohne Essen und Trinken. Wir müssen dich noch für ein paar Untersuchungen ins Krankenhaus bringen und dann haben wir noch Fragen an dich", sagte Sam, der mittlerweile seine Hand auf meinen Rücken gelegt hatte und mich gen Hausmeisterkammer lenkte.
Wie peinlich. Jetzt bin ich für alle, die mich hier sehen, die zerstörte Taya, die wie eine Häufchen Elend in eine Decke eingehüllt ist und von einem Polizisten begleitet wird.
Die Blicke klebten regelrecht an mir, wie die Klebchen auf neugekauften Gegenständen, die man noch nicht mal mit Wasser richtig wegbekommt.
Als wir wieder am Raum angelangt waren, drückte man mir Wasser und ein fettes Sandwich in die Hand. Aus irgendeinem Grund bekam ich es nur schwer hinunter.
Die Polizei quetschte mich über die verschiedensten Sachen aus, bis ich von einem Krankenwagen in das Saint Vienna Hospital gebracht wurde.
Ich verstand das Ganze nicht. Warum sollte ich denn bitte ins Krankenhaus gebracht werden? Ich lag doch nur in einem Lüftungsschacht. Was kann da passieren?
Als die Ärzte mit ihren Untersuchungen fertig waren, war es schon 19 Uhr. Sie wollten mich noch über Nacht auf der Intensivstation behalten. Meine Ärztin, Mrs. Hunter, erklärte es mir so, dass sie nur schauen wollen, ob ich mich doch nicht verletzt hätte. Ich wollte ihnen versichern, dass alles okay sei, aber sie hörten mir nicht zu.
Also saß ich da. Alleine. In einem Einzelzimmer. Selbst meine Mutter war nicht da. Aber ich glaube, dass ich sie mit meinen Beschimpfungen verschreckt habe. Ich war nicht müde oder sowas. Ich saß auf meinem Bett und starrte die Wand an. Die weiße, kahle Wand.
Das ist ein Krankenhaus. Sie sind jeden Tag von Krankheit und Tod umgeben. Können sie das dann nicht ein bisschen farbenfroher gestalten?
Es klopfte. Mein Kopf dröhnte trotz der Tabletten, die sie mir verabreicht haben.
Es klopfte noch einmal und die Tür öffnete sich. Und da stand er. Mein einziger Lichtblick in meinem Leben. Der, der immer da ist, wenn man ihn braucht. Mein Retter in der Not und mein bester Freund.
Collin. Mein Bruder.

"Was machst du hier?", fragte ich mit zittriger Stimme und mir stiegen Tränen in die Augen.
Collin lachte und stellte seine Tasche ab. Er lächelte. Doch sein Blick verriet mir, dass er nicht wusste, was zu machen war.
Ich hielt mir meine Hände vor das Gesicht und ich spürte die Tränen meine Wange hinunter laufen.
Er war da. Mein Bruder war da. Nach 9 Monaten war er endlich da.
Collin setzte sich an die Kante meines Krankenhausbettes und sofort viel ich in seine starken Arme. Ich hatte ihn vermisst.
Er ist stärker geworden. Wahrscheinlich haben sie ihn so hart getriezt, dass ihm nichts anderes übrig blieb.
Ich atmete seinen Geruch ein. Eine Mischung aus Zigarettenrauch und Männerdeo. Das Rauchen wurde ihm eigentlich auf der Militärschule abgewöhnt. Doch seitdem er beim Militär war, rauchte er, wann er nur Zeit hatte.
Ich krallte mich förmlich in seine Jacke. Sie war warm und kuschlig.
Bei Collin konnte ich, ich sein und alle meine Sorgen vergessen. Ich atmete tief ein und aus. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen.
Nach gefühlten 10 Minuten lösten wir uns aus der Umarmung und schauten und gegenseitig an.
Collin hatte dunkelbraunes Haar, welches leicht zerzaust war. In seiner einen Hand hielt er seine Militärskappe und mit der anderen hielt er meine Hand.
Seine grauen Augen schauten mich eindringlich, aber behutsam an.
"Also? Warum bist du hier?", fragte ich ihn.
Collin räusperte sich und setzte sich aufrecht hin.
"Mom hat mich angerufen. Sie war völlig aufgelöst. Sie meinte du wärst verschwunden seit mehreren Stunden und du wärst nicht zu erreichen", sagte Collin und strich mir weiter über meine Hand.
"Und deshalb schickt sie dich von deinem Stützpunkt in Texas hierher nach Tennessee?", fragte ich aufgebracht.
"Beruhige dich!", sagte er und sprach weiter, "Ich wollte her kommen. In einer Woche hätte ich eh meinen Dienst abgeschlossen und wäre wieder eine Weile nach Hause gekommen. Aber da Mom anrief und meine kleine Schwester gesucht wurde, habe ich den nächsten Zug genommen und bin noch heute Macht los gefahren".
Warum hatte er das gemacht? Er hätte nicht extra für mich nach Hause fahren müssen.
Meine Augen wurden feucht und es rollten Tränen über meine Wange. Ich hatte ihn so vermisst. Er war der Pfeiler in meinem Leben. Der einzige Grund, weshalb es sich noch zu leben lohnte.

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