Licht

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Meine Augen öffneten sich und ich sah Licht. Licht!
Lag ich etwa wieder in meinem Bett? Zu Hause? War alles nur ein Traum?
"Hallo?", hörte ich eine unbekannte Stimme rufen. Es hallte. Es hallte so sehr, dass ich merkte, dass ich immer noch im Lüftungsschacht lag.
"Hallo?", rief die Stimme erneut. Ich wollte etwas sagen, aber es ging nicht. Es kam lediglich ein erschöpftes Stöhnen hervor. Mit meiner Hand faste ich mir an den Kopf. Es dröhnte. Mein Kopf dröhnte.
Mit meiner anderen Hand versuchte ich mich abzustützen und mich aufzurichten, aber es ging nicht. Ich wollte nicht. Mein Körper wollte nicht. Ich war erschöpft. Zu erschöpft, um zu reden. Zu erschöpft, um zu gehen. Zu erschöpft um zu leben. Alles was ich konnte, war meine Augen offen zu halten. Ich sah, wie das Licht immer weiter auf mich zukam.
"Hey!", hörte ich die Stimme nun nah bei mir. Es war ein Mann.
Er tippte mich an und fragte nocheinmal, ob alles okay sei. Ich regte mich nicht. Warum sollte ich? Ich wollte liegen bleiben. Am Boden. Da, wo andere mich sehen wollten. Da gehöre ich hin.
"Bist du Taya?", fragte mich der Mann, der allem Anschein nach ein Polizist war. Hat man mich etwa vermisst? Oder warum war die Polizei da?
Ich nickte. Der Polizist richtete die Tachenlampe auf mich. Es blendete. Ich kniff meine Augen zusammen.
Es war schön endlich wieder ein Menschen in der Nähe zu verspüren.
Langsam öffnete ich meine Augen und schaute dem Polizist entgegen.
Es war ein jüngerer Mann, so um die Mitte 20. Er hatte eine Polizeiuniform an und seine dunklen Haare schauten ein wenig unter seiner Kappe hervor.
Erneut machte er den Versuch mit mir zu sprechen.
"Hey Taya, weißt du wie lange du hier drin liegst ?"
Ich schüttelte den Kopf. Woher sollte ich das wissen? Ich hatte jedliches Zeitgefühl verloren. Waren Stunden vergangen? Tage, wenn nicht sogar Monate?
Der Polizist nickte.
"Über 12 Stunden", sagte er. Nun war ich veranlasst zu reden.
"Wie spät ist es?"
Besorgt schaute der junge Mann mich an und lächelte leicht. Als wäre ich zerbrechliches Porzellan und wenn er auch nur eine falsche Bewegung machen würde, würde ich zerschmettert am Boden liegen.
"3 Uhr Nachmittags. Deine Eltern haben sich Sorgen gemacht und die Polizei gerufen. Wir haben die ganze Nacht nach dir gesucht.", sagte er und platzierte die Taschenlampe, so dass sie mir nicht mehr ins Gesicht schien.
Langsam richtete ich mich auf. Der Polizist streckte seine Hand aus, um mir zu helfen, doch ich lehnte dankend ab. Mein Kopf dröhnte. Es brummte ich hörte nur ein schrilles Piepen. Wie lange hatte ich denn geschlafen? Mein Mund war trocken. Mundwüste. So hatte es meine Mutter immer gesagt, wenn sie Durst hatte. Ich hielt mir die Hand an die Stirn. Meine ganzer Körper zitterte. Es war kalt im Schacht und ich hatte als größere Wärmequelle nur die Jacke an.
Erst jetzt merkte ich, dass mich der Mann immer noch anstarrte. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht loszuheulen. Irgendetwas an ihm wollte mich dazu bringen, alles raus zu lassen und meine Sorgen auszuschütten.
Der Polizist bemerkte es wohl.
"Ich bin Sam", sagte er und hielt mir seine Hand hin. Seine Mundwinkel waren leicht nach oben gekrümmt, so dass sich kleine Grübchen bildeten.
Verdutzt schaute ich ihm ins Gesicht.
Dann nahm ich seine Hand und schüttelte sie. Ich versuchte ebenfalls zu lächeln, aber was dabei heraus kam, war alles andere als ein Lächeln.
"Na schön", sagte Sam, "dann wollen wir dich mal hier raus bringen". Er legte seine rechte Hand auf meinen Rücken und wies mit seiner linken Hand den Schacht hinunter.
"Kann ich nicht hier bleiben?",fragte ich und blinzelte in das Dunkel.
Sam lachte, aber wusste nicht recht, ob ich es ernst meinte.
Keine fünf Minuten später standen wir wieder in der Kammer des Hausmeisters.
An die vier Polizisten standen um die Öffnung des Schachtes herum. Jack Hufferman stand in der Ecke des Raumes und hatte seine Arme verschränkt.
"Taya!", schrie eine schrille Stimme, die hinter einem der Polizisten herkam.
Meine Mom trat hervor und stürmte auf mich zu.
Ich weiß nicht, wie lang meine Mutter mich umarmte, aber es war eine Ewigkeit. Ihr klammernder Griff raubte mir fast die Luft. Einatmen. Ausatmen.
Nach ungelogenen drei Minuten löste sich meine Mutter und schaute mir in die Augen. Ich hatte schon fast vergessen, wie sie aussah. Ihr blonden, leicht gewellten Haare hingen ihr lässig über die Schulter. Sie hatte einen beigen Anorack mit der passenden Hose dazu an.
Sie arbeitete in einem großem Unternehmen. Genau wusste ich den Namen nicht mehr, aber ich wusste das sie eine der leitenden Autoritäten war. Auf sie war man angewiesen.
Deshalb sah ich sie kaum. Wenn sie kam war ich schon im Bett und wenn sie ging schlief ich immer noch. Jedes Mal. Tag für Tag. Seit 15 Jahren.
Ich sah meine Mutter nur, an Feiertagen oder den Wochenenden.

Nachdem sie sich aus dem Umarmung löste schaute ich sie verdutzt an und lehnte mich nach hinten.
Seit wann machte sich meine Mutter Sorgen um mich? Seit wann?
Sie lächelte. Warum? Weil sie mich gefunden haben? Warum? Sie hat sich nie für mich interessiert. Warum jetzt?
"Was ist denn los, mein Schätzchen?", fragte sie mich.
"Warum bist du hier?", sagte ich misstrauisch.
"Warum wohl mein Spätzchen. Du lagst letzte Nacht nicht in deinem Bett und dein Handy lag zu Hause. Dein Vater und ich haben uns Sorgen gemacht. Wir haben heute morgen die Polizei gerufen. Wir dachten schon du wärst", sie schluckte,"tot". Sie sprach so schnell, dass ich Schwierigkeiten hatte, ihr zu folgen.
Perplex starrte ich sie an. Wut. Wut. Das Einzige, was ich in diesen Moment fühlte.
Mein Mutter hatte beide Hände um meine Wangen gelegt. Ich merkte, wie sie zitterte. Wir zitterten in einem Takt. Jedoch aus unterschiedlichen Gründen. Sie aus Angst und ich aus Wut. Einatmen. Ausatmen. Ich griff nach den Händen meiner Mutter und nahm sie von meinen Wangen hinunter. Dann stand ich auf und machte Anstalten zu gehen.
"Taya, Maus", rief sie mir hinterher.
Wie in einem Film wirbelte ich herum und starrte sie wütend an.
"Du warst die letzten Jahre nie für mich da. Warum bist du jetzt aufeinmal hier? Du machst dir Sorgen? Glaube ich nicht. Warum warst du nie da, als der Direktor angerufen hat, weil ich mal wieder geschlagen wurde? Warum warst du nie da, als es mir schlecht ging? Warum warst du nie da, als ich am Ende war? Ich habe so lange darauf gewartet,dass du mir zu hörst. Mir ein Blick würdest. Nichts. Nichts kam von dir. Du warst nie eine Mutter für mich und das wirst du auch nie sein. Du hättest nicht herkommen brauchen, um für mich die besorgte Mutter zu spielen. Bleib da wo du bist. In deinem scheiß Unternehmen,wo man dich braucht."
Erneut drehte ich mich zu Tür und ging aus hinaus. Kurz bevor ich draußen war, drehte ich mich nochmal um und schaute zu meiner Mutter. Sie weinte. Eine Träne. Zweite Träne. Dritte Träne.
"Und nenn mich nie wieder Spätzchen."

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