Marie
Ich war auf den Weg zur Schule. Der kalte Herbstwind durchstreifte meine Haare. Die bunten Blätter tanzten mit dem Winde. Die letzten Sterne verschwanden in die ewigen Weiten der Galaxie und die darauffolgende Morgendämmerung kündigte einen neuen Tag an. Das Licht der aufgehenden Sonne erhellte den Wald und die Sonnenstrahlen erwärmten meine Haut. Diese Wärme kam jedoch nicht gegen die Kälte an und so fingen meine Fingerspitzen an zu zittern. Das Zittern verbreitete sich in meinen ganzen Körper und verursachte eine Gänsehaut. Schnell packte ich meine Hände zurück in meine Jackentaschen.
Der Ranzen, den ich trug war bis zum Anschlag gefüllt. Er grub sich in meine Schultern hinein. Hinter mir lag der Garten meiner Mutter, der Ort von dem ich gekommen war. Ich beobachtete eine Frau mit ihrem aufgewecktem Kind an der Hand. Die Augen des Kleinen strahlten vor Freude. Auch auf seinem Rücken befand sich ein Rucksack. Ein Rucksack aus dem der Kopf eines kleinen Teddys hervorlugte. Er hüpfte voller Eifer in den Kindergarten, in dem er alle seine Freunde treffen würde. Seine Mutter hatte es angeblich eilig und lief immer ein paar Schritte schneller als ihr Sohn, der sich bemühte mit seinen kleinen Füßen schritt zu halten. Mein Blick wendete sich von den beiden ab, zu einem Eichhörnchen, der gerade oben in den Baumkronen verschwand.
Wie jedesmal, wenn ich diesen kleinen, dünnen Pfad entlang lief, schaute ich nach den Markierungen, die an den Bäumen hingen. Immer in der Hoffnung sie würden noch genau dort sein, wo sie waren, als ich die roten Bänder mit meinem Vater festgebunden hatte. Das war mittlerweile über zehn Jahre her.
Ich sitze auf dem Boden und spiele mit Klötzen. Ich höre ein Klopfen an der Tür. "Ja?", frage ich neugierig und höre für einen Augenblick auf zu spielen und schaue hoch. Mein Vater taucht vor mir auf. "Ich bin wieder da", sagt er. Ich kann nichts anderes tun als zu lächeln, als ich ihn sehe. Schnell laufe ich zu ihm, um ihn, besser gesagt seinen Bauch, in die Arme zu nehmen. Er tätschelt mir auf den Kopf, wodurch ich anfange zu kichern. "Guck mal! Guck, was ich gebaut habe!" Alles liegt ungeordnet auf dem Boden und mitten drin mein kleines, erbautes Haus aus Klötzen, auf den ich aufgeregt zeige. Ich ziehe meinen Vater mit mir. "Siehst du?", frage ich. "Das hast du echt super gemacht Schatz", meint Papa. Glücklich springe ich auf und ab. "Willst du mir helfen auf zu bauen?" Mit einem gekonnten Hundeblick gucke ich nach oben. "Ehrlich gesagt, wollte ich dich fragen, ob du mir helfen kannst." "Wobei?", frage ich und spitze meine Ohren. In seiner Hand hält er eine Tasche, die er langsam öffnet. Ungeduldig versuche ich ein Blick hinein zu werfen. Er nimmt eine große Hand voll mit langen, roten Streifen heraus. Verwirrt schaue ich ihn an. "Wofür ist das?", will ich wissen. "Da du bald zur Schule gehst, habe ich gedacht, dass das", er zeigt auf die dünnen Streifen. "dir helfen könnte zum Bus auch alleine hinzu kommen."
Damals war ich überaus begeistert gewesen. Heute hingegen war es die letzte Erinnerung an meinem Vater vor der Scheidung meiner Eltern. Als sie sich trennten, verstand ich nicht weshalb mein Vater auszog. Ich wusste nicht einmal, dass Liebe vergänglich ist und nicht immer Ewig bleibt, sondern auch schwinden kann.
Mittlerweile waren mir die Gründe der Trennung klar geworden und im Rückblick erkannte ich, wie oft meine Eltern aneinander geraten waren. Ich hatte die Scheidung akzeptiert, auch wenn es mir anfänglich schwer fiel, damit klar zu kommen.
In der Ferne sah ich das Schild der Bushaltestelle. Nicht lange und ich war an meinem Zielort angekommen. Dort setzte ich mich auf die Bank und legte zuvor meinen Schulranzen auf die Seite. Ich nahm meine Hand, sowie mein Handy aus meiner Jackentasche und blickte auf die hell erleuchteten Zahlen meiner Uhr. 7:10 Uhr und keine Menschenseele in Sicht. Das war auch nicht gerade verwunderlich, da dieses Dorf in dem ich lebte, gerade mal vierhundert Einwohner hatte und nur zwei Personen außer mir in den gleichen Bus stiegen. Zu dem war ich heute ausnahmsweise mal sehr früh - meiner Meinung nach, viel zu früh - da. Ich hatte noch genau fünfzehn Minuten zeit, bevor der Bus ankam, vorrausgesetzt er war pünktlich.
Ich steckte meine Kopfhörer in mein Handy und tat diese in mein Ohr. Mein Handy schob ich zurück in meine Tasche und holte mein Biologie Heft aus meinem Schulranzen, um noch etwas zu lernen. Gestern hatte der Lehrer nämlich ausdrücklich gesagt wir sollten lernen, was er normalerweise nie tat. Das hieß, das er eine Stegreifaufgabe heute schreiben würde. Ich hörte Lukas Grahams Stimme im Hintergrund singen. Völlig konzentriert auf mich selbst, bemerkte ich nicht die Schritte hinter mir, die immer näher kamen.
Mein Blick wanderte zu meinem Heft. Ohne meines Wissens kam die Person näher an mich heran. Bis mich ein mulmiges Gefühl überkam. Ich hielt kurz inne, bevor ich weiter in mein Heft starrte, hoffte er würde an mir vorbei gehen. Doch es geschah nichts. Vorsichtig drehte ich mich um, wollte wissen wer sich dort angeschlichen hatte. Ich erblickte eine dunkle Gestalt. Dann spürte ich einen kräftigen Schlag am Hinterkopf, bevor sich meine Welt in Dunkelheit versetzte.
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Plötzlich Entführt: überarbeitete Version
HorrorHattest du jemals so viel Angst, dass Trauer und Schmerz vergessen waren? Dass Gefühl als würde dein Dasein, wie eine Spule sich immer wieder wiederholen? Als wärst du in einem Kreislauf gefangen, aus dem du dein eigener Gefangener wärst, ohne Hoffn...