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"Marienkäfer, steh auf", hörte ich eine Stimme rufen. Nur ein Mensch nannte mich so und das seit ich drei Jahre alt war, als ich immer nach Marienkäfer ausschau hielt, in der Hoffnung ich könnte sie mit mir in mein Zimmer nehmen und als Haustier bei mir zu Hause wohnen lassen. Fast jedesmal, wenn wir in die Natur gingen, fand ich auch eins und brachte es meistens dazu in mein Arm zu krabbeln. Das Tier flog jedoch auch jedesmal weg, wenn ich dann gerade aufstand und es mit mir nehmen wollte. Meine Mutter war die einzige, die mich so nannte. Normalerweise hätte ich mich unter meiner Decke verkrochen und wäre wieder eingeschlafen, aber diesmal nicht. Diesmal musste ich lächeln, freute mich ihre Stimme direkt über mir zu hören. Ich öffnete meine Augen. Doch ich sah nicht meine Mutter. Ich sah eine dunkle Gestalt. Ich hörte, wie es lauthals lachte. Neben ihm tauchten plötzlich noch mehr seiner Art auf. Sie sammelten sich um mein Bett. Ich bemerkte, wie meine Zimmerwände ihre Farbe von hellblau auf dunkelgrau wechselten. Meine Möbel verschwanden und auch mein Bett löste sich in nichts auf. Das Lachen um mich herum wurde lauter und die Stimmen unheimlicher. Obwohl sie keine Augen besaßen spürte ich, wie sie mich mit Blicken durchbohrten. Sie kamen näher zu mir heran, bekamen Gesichter. Gesichter von Verbrecher. Verbrechern, die ich nicht kannte, aber ihre Gesichter zeigten ihre Taten und dann sah ich wie eins der dunklen Gestalten sich in eine Frau verwandelte. Eine Frau, die mir ähnlich sah. Die anderen Gesichter verschwanden und nur sie blieb übrig. Ich sah, wie schwarzes Blut langsam aus ihren Augen floß und sich Narben in ihrem Gesicht bildeten, wie sie trotz ihres jungen Alters Falten im Gesicht bekam. Nach und nach wurde auch ihr Körper von Wunden geprägt. Wunden, die tiefer waren als die Zeit. Um sie herum wurde alles dunkel, bis ich nur noch sie vor mir erkannte.In ihrer Hand war ein Spiegel. Sie nahm ihn in beide Hände und hob ihn hoch. Ich sah mich im Spiegel. Auch ich fing an aus den Augen zu bluten. Auch aus meinen Augen floß schwarzes Blut. 

Ich wachte ruckartig auf. Meine Augen weit aufgerissen und mein Herz rasend. Dann trat der Schmerz ein. Ich stöhnte, wollte mir an den Kopf fassen, aber ich hatte noch immer Handfesseln um meine Hände gebunden. Um mich herum war alles hell erleuchtet. Ich blinzelte mehrmals hinter einander, bis ich mich an das Licht der Zelle gewöhnte. Meine Augen noch immer ganz schmal, blickte ich auf meine Umgebung. Doch, was ich sah war nicht meine Zelle sondern eine breite Straße, gefüllt mit Autos. Verwirrt blickte ich nach links. 

Jemand fuhr, dass Auto in dem ich mich befand. Wo war ich und wer zum Henker fuhr das Auto? Ich blickte in den Innenspiegel des Autos. Dort war ein Mann. Um die 30. Er hatte braune Haare und seine Augen waren dunkelbraun. Er hatte eine grüne Jacke und eine blaue Hose an. Auf seinem Nacken befand sich ein Tattoo. Das Tattoo eines Fisches. Ich merkte wie die Kopfschmerzen stärker wurden und senkte meinen Kopf. Das Licht von draußen war eindeutig zu hell. Ich brauchte einen Moment, bevor ich mich wieder aufrappelte und starrte den Mann weiterhin an. Mein Blick ging hin und her, suchte nach etwas brauchbarem. Ein Ortsschild, eine Möglichkeit zu verschwinden, ein Werkzeug. Irgendwas. Egal was."Ganz ruhig bleiben. Es ist alles in Ordnung. Jetzt bist du sicher", hörte ich von vorne. Sicher? Was bildete er sich eigentlich ein? Wie sollte ich mich sicher fühlen mit verdammten Handfesseln und im Rücksitz einer mir fremden Person? Aber klar, natürlich konnte ich mich hier in Sicherheit wiegen.

Ich merkte, wie die Wut in mir aufstieg und mit ihr kam die Verzweiflung. "Lass mich raus! Ich werde die Klappe halten. Nichts sagen. Nur lass mich aus diesem verfl-" Ich starrte direkt in seine Augen, die den Blick fest auf die Straße richteten. Augen voller Schmerz, Trauer, Verzweiflung. Seine Hände griffen fester ums Lenkrad. Er schüttelte einmal kräftig den Kopf. Seine Reaktion ließ mich inne halten. Meine Wut wurde wie vom Erdboden verschluckt. Ich konnte ihm gegenüber nicht wütend sein. Wie ich war auch er verletzt. Seine Schmerzen waren tief. Mit Wut würde ich es nicht schaffen ihn dazu zu bringen mich aus dem Auto zu lassen. Also: Zweiter Versuch.

"Ich möchte einfach nur meine Freiheit, wie jeder andere auch. Alles worum ich dich bitte ist die Handfesseln von mir zu lösen und mich gehen zu lassen." Ich blickte auf meine Handfesseln, die noch immer nicht von meinen Händen entfernt worden waren. Er schenkte mir keine Beachtung. Es interessierte ihn nicht.

Er sah viel mehr verängstigt aus. Immer wieder wanderten seine Augen nach hinten. "Es tut mir leid, dass wir dich entführt haben, aber ich- ich brauchte das Geld. Verstehst du?", wollte er wissen. Sein Blick entfernte sich für keine einzige Sekunde von der Straße. Bitte was? Mich durchzog eine Gänsehaut. Geld? Wegen Geld? Entsetzt starrte ich ihn an.  Sein Finger wippte ungeduldig auf und ab. Ich starrte wie gebannt auf seine Finger. Irgendetwas war, aber was? Mit aller Mühe versuchte ich darüber nach zu denken, was in den letzten Tagen passiert war, aber nur Sekunden später hatten sich die Schmerzen wieder an die Oberfläche gewagt. Ich spürte das Pochen meines Fingers und das Stechen in meinem Kopf. Mit dem Schmerz kamen auch die Erinnerungen. Erinnerungen an dem Moment kurz bevor ich Ohnmächtig geworden war.

Mir wurde schlecht und mir kam die Galle hoch. Der Fahrer bemerkte, dass es mir nicht gut ging und fuhr mit einer ungläubigen Geschwindigkeit​ an die Straßenseite.

Er stieg hastig aus und machte mir die Hintertür auf. Gerade noch rechtzeitig.

Kurz nachdem ich meinen Magen entleert hatte, fuhr er eilig weiter. "Warum halten sie mich fest, wo es Ihnen doch so leid tut? Und wozu die Fesseln? Wo wollen Sie den überhaupt so schnell hin?" Mir schwirrten tausend Fragen durch den Kopf. Was mir nicht gut tat.
"Ich halte dich zu deinem eigenen Wohl hier fest", erklärte er mir. Das konnte doch nicht wahr sein. So ein Schwachsinn, wollte ich sagen, doch ich entschied mich dagegen. "Die Fesseln wiederrum sind zu meiner Sicherheit. Die kommen wieder runter, sobald ich dir vertrauen kann oder du mir vertraust" Ich blickte ihn verwirrt an. Verzweifelt stieß ich meinen Fuß gegen den Vordersitz. Das konnte doch alles nicht wahr sein.

Plötzlich Entführt: überarbeitete VersionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt