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Marie

Ein leises Geräusch in weiter Ferne ließ mich aufhorchen. Es war das Geräusch einer alten Tür die sich langsam öffnete. Ein kurzer Luftzug striff an meinem Körper entlang. Die stickige Luft war für einen kurzen Moment verschwunden und ich saugte die neue Luft förmlich in mich auf. Sie war erfrischend, aber ich hätte nicht zu viel nehmen sollen. Mein Gesicht verzog sich, als die Luft in meine Lunge gelang und meinen ganzen Oberkörper aufblähte. Ich biss die Zähne zusammen um nicht zusammen zu zucken. Zu lange in der Dunkelheit gefangen, gewöhnten sich meine Augen kläglich langsam an das Licht. Sie brannten, obwohl ich sie nicht einmal geöffnet hatte, denn irgendjemand müsste die Tür geöffnet haben und dieser jemand wollte mich ganz bestimmt nicht retten.

"Ist sie wach?", hörte ich jemand brüllen. Zumindest füllte es sich so an als hätte jemand in mein Ohr geschrien.  Ich bemühte mich ruhig zu bleiben, mich möglichst wenig zu bewegen, in der Hoffnung sie würden einfach nur verschwinden. Weg gehen und nie wieder kommen. Meine Schmerzen unterdrückte ich und mein Atem versuchte ich auf ein minimum zu reduzieren. Alles nur damit sie dachten ich würde schlafen. Mein Herz rasste und ich hätte es dafür verfluchen können, aber ich konnte nichts dagegen tun. Zu groß war die Angst vor den Entführern. Zu groß war die Angst vor der Ungewissheit ihres nächsten Schachzugs.

Ich spürte, wie jemand näher kam, hörte die Schritte, die sich zu mir bewegten.

"Bleib ganz ruhig. Alles wird gut", flößte ich mir zu. Wollte es selbst glauben, aber jeder weitere Schritt ließ einen Schauer über meinen Rücken fahren. Seine Schritte wurden schneller. Nein. Es waren nicht die Schritte, die schneller wurden sondern mein Herz. "Ganz ruhig."

Mein ganzer Körper fing an zu zittern, wollte sich wehren, aber ich hatte die Kontrolle. Noch. Mit jedem Schritt wurde mein Körper immer weiter von der Angst beherrscht. Ich biss mir auf die Zunge, bettete, dass er kehrt machen würde und mich in ruhe lassen würde.

Der Geruch von Alkohol drang in meine Nase. Ich spürte seinen Atem über mir. Er war nur millimeter von meinem Gesicht entfernt. Ich dachte nicht länger nach sondern handelte. Ich riss die Augen auf und schlug mit voller Wucht auf das erste was ich zu fassen bekam. Seine linke Bauchhälfte. Er zuckte kurz zusammen, aber bekam sich ganz schnell wieder zu fassen. Ich rollte zur Seite, wollte aufstehen, doch da hatte er mich schon gepackt und riss mich auf den steinharten Boden. Mit aller Mühe versuchte ich einen Aufschrei zu unterdrücken. Ich biss mir in die Lippen. Ich schmeckte Blut. Mein Angreifer packte meine Oberarme und drehte mich auf den Rücken. "Ich muss hier weg!" Das war das Einzige, wozu ich noch fähig war zu denken. Ich schlug wie wild um mich. Mir war egal, wie sehr es mir weh tat. Mein Adrenalin war auf hochturn. Der Schmerz vergessen. Alle Funktionen meines Körpers auf Flucht eingestellt. Jeder Schlag schwerer als der zuvor. Alles oder nichts. Ich wusste, wenn ich jetzt aufgab wäre das mein Ende. Ich began zu schreien, ließ allen Schmerz mit einem Schrei raus. Ich merkte es selbst nicht, wie ich um Hilfe rief. Alles was ich wollte, war hier weg zu kommen. Aus dem Augenwinkel erkannte ich wie der Andere dem Mann über mir zur Hilfe eilte. "NEIN! NEIN!" In meinen Augen bildeten sich Tränen. Sie rangen von meinen Wangen zu meinem Hals hinunter und dann zum Boden. "HILFE!", schrie ich durch meine vielen Tränen hindurch. Was ich hervor brachte war nur noch ein kleines schluchzen. Beide griffen nach meinen Armen. Ich bemerkte, wie meine Kraft sich viel zu schnell von mir verabschiedete. Lange hielt ich das nicht mehr durch.

"Lasst mich in Ruhe!", wollte ich schreien, doch alles was aus meinem Mund entfloh, war ein unscheinbares Flüstern.
Schnell hatten die beiden Männer mich im Griff.
Ich merkte, wie das Adrenalin mein Körper verließ und die Wirkung von den beiden Kopfschlägen wieder durchdrang, was mich noch einmal qualvoll aufschreien lies. Der eine Mann, der über mir war, holte etwas aus seiner Jackentasche. Ich lenkte meine ganze Konzentration auf das, was er aus der Tasche nahm. Dabei sah ich, dass er eine dicke Narbe an seinem Daumen hatte. Doch als ich sah, was er in der Hand hatte, weiteten sich meine Augen und ich wollte erneut drauf losschlagen, aber die Männer hatten mich fest im Griff.

Der Kerl hatte ein langes, scharfes Klappmesser aus seiner Tasche geholt. Meine Tränen wurden größer. "Du tust jetzt genau was ich sage oder du verlierst ein paar deiner wunderschönen, kleinen Fingerchen. Verstanden?", drohte er mir. Alles was ich hervorbrachte war ein leises, kaum merkliches ja. Ich hätte mich selbst dafür schlagen können, wollte tapferer, mutiger sein, aber nun? Nun hatte ich Angst. Zu große Angst vor dem was er mir antun könnte. "Du bist jetzt ganz ruhig und hörst auf zu schreien. Hier hört dich eh keiner". Ich nickte. Das hätte ich nicht tun sollen.

Mich durchzuckte ein tiefer Schmerz. Meine Augen wurden müde und ich konnte sie kaum noch aufhalten. Meine Sicht war ganz verschwommen. "He! Du sollst die Klappe halten!", schrie er und gab mir mehrere Ohrfeigen hintereinander, was mich nochmals aufschreien lies. Das gefiel natürlich dem Mann mit der Narbe überhaupt nicht. "Diese Dame wurde wohl nicht richtig erzogen. Gut das wir da sind, um das zu übernehmen. Pack sie jetzt ganz gut fest ja?" Der andere Mann nahm meine Hände und drückte sie noch fester auf den Betonboden.

"Bitte", flehte ich. "Bitte nicht." "Zu spät Schätzchen." Sein lachen ließ mich erschauern. "NEIN! NEIN!" Jede Zelle meines Körpers schrie. Erneut durchströmte mich eine unbekannte, erschreckende, aber zugleich dankbare Kraft, die es ermöglichte den Narbenkerl für einen kurzen Augenblick von mir runter zu stoßen. Ich drehte meinen Körper zu meinen Armen, die noch immer im Griff des anderen Typen waren. Bevor ich dies ganz schaffte hatte der Zweite sich wieder aufgerappelt und zerrte an meinen Beinen. Mein Schreien füllte den ganzen Raum.

Um mich besser im Zaum halten zu können setze sich der Mann mit seinem vollem Gewicht auf mich. Die Hände die meine Arme ergriffen hatten, drückten meine Handgelenke fester auf den Boden. "Los jetzt!", schrie er. "Mach schon!" Auch er freute sich mich leiden zu sehen. "GEDULD!", hörte ich ihn schreien. Dann sah ich auch schon, wie das Messer näher an mein Finger kam. Ich schrie, hörte nicht auf. Ich schrie mir die Kehle aus dem Leib, schrie bevor er das Messer überhaupt angelegt hatte, schrie, bis mir schwarz vor Augen wurde, bis ich nichts mehr spürte. Ich konnte nicht glücklicher darüber sein endlich weg zu sein, nichts mit zu bekommen.

Plötzlich Entführt: überarbeitete VersionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt