Nachdem ich in der Bibliothek fertig war, alle Bücher dort standen, wo sie hingehörten, die Studentengruppe endlich ihr Lymphknotenproblem gelöst und der alte Mann eingesehen hatte, dass er die Bibel auf hebräisch nicht finden würde, konnte ich mich endlich, endlich auf den Heimweg machen.
Den Schlüssel in der Hosentasche, die Tasche geschultert und in meinen braunen Wollmantel gekuschelt lief ich nun den schmalen Weg am Fluss entlang durch die sternklare, schwarze Nacht.
Nur die Straßenlaternen erhellten den Weg, der im Gegensatz zu tagsüber wie ausgestorben schien.
All die Studenten und Schüler, die hier sonst lachten, redeten und lernten saßen sicher schon in ihren Wohnungen oder schliefen, ohne zu wissen, was sie hier verpassten.Es war ein Abenteuer.
Auf der einen Seite die sternklare Nacht und die frische Luft, die man tagsüber nicht spüren konnte.
Auf der anderen Seite war ich - zugegebenermaßen - ziemlich angespannt.
Nun gut, ich war richtig angespannt, fast schon nervös. Aber das war auch berechtigt!
Die Büsche, die den Weg begrenzten raschelten unheilvoll, Äste knackten und hin und wieder erschreckte ich mich an einer vorbeifliegenden Fledermaus. Gruselige Viecher. Gespenstisch rauschte der Fluss.
Und ich mittendrin in all dem Spuk. Super.
Na hoffentlich lauerten hinter diesem Gebüsch nicht all die Vergewaltiger, die in letzter Zeit in der Stadt ihr Unwesen trieben. Schon zwei Studentinnen waren überfallen worden. Eine Frau spurlos verschwunden.
Und niemand hatte die Täter gefasst. Das einzige, was man angeblich wusste, war, dass der oder die Täter - natürlich - schwarze Augen gehabt hatten. Mir war völlig schleierhaft, wie sie das wissen konnten, obwohl sie noch nicht einmal wussten, wieviele Täter es gewesen waren. Aber vielleicht konnte man ja aus der DNA die Augenfarbe herauslesen. Vielleicht. Konnte man da überhaupt was rauslesen?
Mann, ich war wirklich eine Niete in Biologie.
Gedanklich schrieb ich mir schon auf meine Googelliste das herauszufinden, als ich in die Unterführung trat, die den Weg vom Fluss wegführte und an die Straßenbahnstationen führte.Da lief ich nun, leicht am rechten Rand der Unterführung, über die DNA nachgrübelnd und tausende Geister im Kopf, unwissend, dass sich nun, genau an diesem Abend, im nächsten Moment mein gesamtes Leben auf einen Schlag ändern sollte. Zu diesem Zeitpunkte wollte ich eigentlich nur nach Hause zu meiner Schwester.
Alles, was mich wirklich interessierte waren mein Bett, das Essen und der Vokabeltest, der am nächsten Tag anstand. Und natürlich die DNA. Diese Unwissenheit machte mich verrückt. Nur für den Fall, dass ich ermordet werden sollte, wollte ich einfach nur wissen...Ich lief urplötzlich gegen etwas lebendiges, hartes und stolperte. Etwas menschlich lebendiges.
Oh shit, war alles was mir zunächst einfiel.
Ich spürte noch ein Hand an meinem Arm. Meine Herz begann zu rasen und meine Gedanken rasten in einem schier ununterbrechbaren Teufelskreis, immer schneller.
Während ein Teil von mir die Tatsachen ganz nüchtern durchging und sich anscheinend schon von meinem Leben verabschiedet hatte.Das war wohl mein Ende.
Das Ende eines ganz normalen Mädchens in einer ganz normalen Unterführung in einer ganz normalen Stadt.
Ein Unfall von vielen, die tagtäglich passierten. Eine Tote mehr, eine Lebendige weniger.Nur dass ich noch nicht tot war, wie mir mit einigen Sekunden Verspätung auffiel, als noch immer nichts passiert war.
Vorsichtig öffnete ich meine Augen wieder einen Spalt.
Noch immer die Unterführung.
Und vor mir ein Typ, der mich jetzt vermutlich für verrückt hielt. Super. Ich hatte mal wieder überreagiert. Oder doch nicht...?
Noch vorsichtiger schaute ich hoch. Mitten hinein, in ein paar schwarzer Augen.
Mein Herz setzte kurz einen Schlag aus und meine Gedanken froren ein. Ich blinzelte kurz und blieb weiterhin wie erstarrt stehen. Noch nie, noch nie in meinem ganzen Leben war ich so nah bei jemandem gewesen, der schwarze Augen hatte.
'Meine Eltern wären entsetzt', schoss es mir durch den Kopf und ich löste schnell meine Hände, die ich unbewusst in seinem Unterarm gekrallt hatte.
Außerdem stand ich noch viel zu nah bei ihm, weshalb ich nun, da ich mich bewegen konnte, einen Schritt zurückwich."Entschuldigung", stammelte ich, darauf hoffend, dass er das alles nicht persönlich nahm.
Ein wenig Angst hatte ich schon, seine große Statur und das muskulöse Aussehen verrieten, dass ich nicht den Hauch einer Chance gehabt hätte mich zu wehren.
Mann war das peinlich.
Ich hatte mich quasi an ihn gekuschelt.
Doch er tat mir nichts, sondern sah mich nur ruhig an. Es kam mir so vor, als würde er durch meine Augen hindurch bis in mein Innerstes, bis in meine Seele blicken.
Sei nicht so verdammt schnulzig, Catherine, schalt ich mich innerlich. Du hast gerade andere Probleme. Schnell wandte ich meinen Blick ab und kappte unseren Blickkontakt."Passt schon", erwiderte der Typ reichlich spät. Seine tiefe, rauhe und sanfte Stimme beschehrte mir eine Gänsehaut.
Hör auf, so zu reagieren, schimpfte ich mit mir selbst und lief nochmal zwei Schritte rückwärts, wobei er mich genau beobachete.
Wie ein Tier im Zoo, schoss es mir durch den Kopf und ich zwang mich, nochmals in die schwarzen Augen zu blicken. Schon irgendwie faszinierend. Der Übergang von schwarz zu schwarz war nicht zu erkennen. Der Schein eines der Unterführungslichter spiegelte sich in seinen Augen als kleiner Lichtreflex wider.
Ich versuchte hinter die Augen zu sehen.
Was steckte in ihm? War er wirklich böse? Bis jetzt hatte er mir ja noch nichts getan. War alles ganz anders wie alle behaupteten?
Ich hatte schon länger Zweifel daran gehabt, dass die Augenfarbe etwas über den Charakter des Menschen verriet.
War das alles gar nicht wahr?
Jetzt fiel mir wieder auf, dass ich ihn anstarrte. Wieder mal typisch. Und jetzt wurde ich auch noch rot.
Ganz schlecht, Catherine, ganz schlecht.
Ich schluckte und schaute wieder weg. Der Moment zog sich in die Länge und keiner machte Anstalten sich zu rühren.
Dann gab ich mir einen Ruck und grinste ihn noch einmal an. Ein vermutlich sehr missratenes Grinsen.
Vermutlich sah ich aus wie ein Zombie.
"Danke", brachte ich noch hervor und ging dann mit unsicheren Schritte an ihm vorbei, vor allem darauf bedacht, nicht hinzufallen.
Den ganzen Weg nach Hause kämpfte ich mit meinen Gedanken. Was für eine seltsame Begegnung.
Die DNA war vergessen.
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Eyes
RomanceAugen. Nur Teile des menschlichen Körpers? Eine Gesellschaft, in der Augen eine andere Bedeutung haben. Eine Gesellschaft, in der jeder weiß, dass sie den Charakter zeigen. Auch ich bin mit diesem Wissen aufgewachsen. Was ist richtig, was falsch...