Chapter Six

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Er war es wirklich! Am Fensterrahmen lehnend, die Beine leicht gekreuzt stand er da und sah mit verschränkten Armen auf mich hinunter.
Mein Herz machte einen gewaltigen Satz. Wie lange stand er da wohl schon? Und warum zum Kuckuck hatte ich ihn bisher nicht bemerkt? Erschrocken klappte ich mein Buch zu und stand langsam auf, ihn nicht aus den Augen lassend. Neugierig verfolgte er meine Reaktion, wie man eine Riesenschlange im Zoo anstarrt und die Stille schien sich auszudehnen.
Wir starrten uns gegenseitig an, wobei eher ich ihn anstarrte und er ganz gechillt meine Reaktion verfolgte.
Ich besah ihn genauer, jetzt, da es hell war. Seine Haare waren schwarz wie seine Augen und die Gesichtszüge streng. Er trug  und eine coole braune Lederjacke.
Von so einer hatte ich jahrelang geträumt!
Wollte er irgendetwas von mir? Stand er zufällig da oder hatte ich ihn womöglich gestört?
Ein Teil von mir - ein großer Teil - hoffte darauf, dass er wegen mir hier war.
Doch mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde die Stille unerträglicher und mir wurde immer unbehaglicher zumute. Vielleicht sollte ich einfach gehen.
Vielleicht wollte er seine Ruhe.
Ich bewegte leicht meinen Arm, was ihn dazu veranlasste den Kopf leicht schiefzulegen.
Das Gefühl, welches ich in der Unterführung schon gehabt hatte kehrte, kehrte zurück. Mensch, ich war doch kein Tier!

"Alles klar?", fragte ich nervös und etwas genervt und nahm erleichtert zur Kenntnis, dass er anscheinend doch nicht eingefroren war.
Er begann zu grinsen und nickte. Warum sagte er denn nichts? Fand er das lustig?
Oh nein, das gefiel mir gar nicht. "Wer bist du?", wollte ich daher wissen und nahm mir vor diesmal nicht locker zu lassen.
Er musste unbedingt antworten.
"Alex", erwiederte er und langsam wurde ich ärgerlich.
"Ach ja?", fragte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. "Hast du auch einen Nachnamen?"
"Klar." Er grinste noch mehr und nun war ich mir sicher, dass er sich über mich lustig machte.
Was für ein Problem hatte er?

Ich beschloss ihn zu ignorieren.  Darauf bedacht mich nicht zu Boden plumsen zu lassen, was natürlich scheiterte, setzte ich mich wieder auf meinen ursprünglichen Platz. Mein Buch in der Hand und ich schlug es auf, um weiterzulesen.
Leider gelang mir das nicht ganz.
Ich hatte ihn vorher nicht bemerkt, jetzt aber spürte ich seine Anwesenheit, seinen Blick, der auf mir ruhte, immer mehr.
Alex. So hieß er, und es passte ausgesprochen gut zu ihm.
Das klang so frech und gleichzeitig anständig.
Ich stellte mir bei dieser Gelegenheit gleich mal vor wie seine Mutter ihn Alexander nannte. Schon irgendwie eine lustige Vorstellung.
Sie hob meine Stimmung gewaltig.

"Was grinst du so?", fragte er. Surprise! Er redete normal mit mir.
"Nichts, nichts", sagte ich schnell. Niemals würde ich ihm diesen Gedanken mitteilen!
Meinen Blick auf das Buch gesenkt blätterte ich um, ohne auch nur ein Wort gelesen zu haben.
Die Minuten zogen sich, niemand sagte etwas. Hatte er eigentlich auch Hobbys?

"Was machst du eigentlich hier?", fragte ich, als ich es nicht mehr aushielt, klappte das Buch zum zweiten Mal zu und lehnte mich gegen die Wand.
"Ich verbringe meine Mittagspause hier", erwiederte Alex. Seine Mittagspause?
"Was arbeitest du?", wollte ich nun wissen und er lächelte.
"Bist du immer so neugierig?", stellte er die Gegenfrage. Hm. Nö.
"Als was arbeitest du?", fragte ich nochmals und verschränkte wieder meine Arme. Wer nahm in dieser Stadt bitte jemanden mit schwarzen Augen an?
"Ich arbeite von zuhause aus", erklärte er mir jetzt und das ergab Sinn.
Nur was konnte man von zuhause aus machen? Als ich ihn das fragte fing er an zu lachen.
"Darf ich dich dann auch etwas fragen?", wollte er wissen. Seine Augen funkelten und er setzte sich mir gegenüber in den Schneidersitz. Mein Herz begann zu rasen.
Ich nickte kurz und wackelig, dann legte ich den Kopf schief.
"Ich bin Drogendealer", erzählte er und ich riss die Augen auf. Drogen? Echt jetzt? Dabei sah er so nett aus. Wie konnte er denn so etwas machen? Meine Mutter hatte immer gesagt, dass die mit den schwarzen Augen entweder dealten oder Killer waren. Am besten beides.  Und ich hatte immer gedacht, dass diese Gerüchte nicht stimmten. Kurz schluckte ich und sah ihn vorsichtig wieder an. Er grinste und als er meinen Blick sah, brach er in lautes Lachen aus.
So ein Idiot! Das war ganz und gar nicht lustig! Und ich hatte ihm geglaubt! Ich wurde rot und starrte ihn, um dieses zu kaschieren, mit meinem übelsten Killerblick an, der ihn nur wenig beeindruckte. Bestimmt nahm er noch nicht mal eine Veränderung wahr.
"Dein Blick", keuchte er, als er endlich fertig gelacht hatte und ich stieß mit meinem Fuß gegen sein Knie. Blödmann!
"Also?", fragte ich beleidigt und starrte ihn weiter an.
"Buchführung", erklärte er und lächelte mich an. Schon irgendwie süß, sang mein Herz und ich lächelte ein wenig zurück. Weg war die schlechte Laune.
So einfach ging das.
"Aha.", mumelte ich. Ein ganz normaler Job. Was hast du denn erwartet? Je länger ich darüber nachdachte, desto logischer erschien mir das ganze.
"Und du?", fragte Alex mich. Blinzelnd schaute ich ihn an. "Na was du machst!", erklärte er geduldig und ich kapierte endlich.
"Gehe in die Schule und nebenbei noch hier", sagte ich. Mann das klang ja langweilig! Aber was sollte man da groß ausschmücken? Mein Leben war eben langweilig. Punkt. "So kann man seine Freizeit auch opfern", lachte er. Ich grinste. Wo er Recht hatte er Recht. "Aber es macht Spaß", stellte ich richtig. Oh ja!
"Was willst du einmal werden?", wollte er wissen. Tja gute Frage...
"Vielleicht Anwältin.", meinte ich. "Oder Sozialarbeiterin oder so." Ich zuckte mit den Schultern. Was das anging war ich noch recht unentschlossen. Allerdings tendierte ich stark in Richtung Anwalt.
Obwohl man da studieren musste...
"Das ist aber ein Unterschied!" Alex schien das seltsam zu finden. Ich zuckte wieder mit den Schultern. So war das eben.
Kurz blickte ich auf meine Armbanduhr und dann wieder auf ihn. Bald fing meine Schicht wieder an.
Schade. Es war echt nett gewesen, mich mit ihm zu unterhalten.
"Wann machst du hier Schluss?", fragte er mich, als hätte er meine Gedanken gelesen. "So um fünf", erklärte ich. "Dann werde ich mich nach Hause setzen und lernen. Und du?"
"Noch ein paar Überweisungen", sagte er und verzog das Gesicht. Ich lächelte, während ich aufstand und er tat es mir gleich. "Wir sehen uns.", sagte er und ich nickte. Hoffentlich!
"Klar", erwiederte ich und hoffte insgeheim, dass das nicht mehr lange dauern würde.

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