Es war dunkler geworden. Dunkler und kälter. Die ersten Sterne tauchten am Himmel auf und der Fluss rauschte unheilvoll.
Die Ufer waren wie leer gefegt.
Dabei war es erst halb zehn, wie mir ein kurzer Blick auf die Uhr bestätigte. Ich zog meine Jacke fester um mich, als ich fröstelte.
Alles war gespenstisch still, nur meine Schritte und mein viel zu lauter Atem waren zu hören.
So würde mich jeder Verbrecher finden. Und alle Vergewaltiger.Sei nicht so ein Feigling!, schalt ich mich. Als ob ausgerechnet mich jemand entführen wollen würde. Oder umbringen. Ich schluckte. Eindeutig zu viele Horrorfilme.
Wieder einmal war ich auf dem Weg nach Hause. Von der Bücherei. Und wie jedes mal drehte ich fast durch, als ich so am Fluss entlang spazierte. Na gut, hetzte. Mein sonst gemächliches Schlendern hatte sich in eine Art Laufschritt verwandelt. Total unauffällig...Es war aber auch wirklich unheimlich! Rechts am Flussufer rührte sich nichts, die Bänke neben den Wiesen waren verlassen. Wie froh wäre ich jetzt gewesen Alex hier zu haben. So wie letztes mal.
Aber der war heute nicht einmal aufgetaucht. Ob es ihm gut ging?
Vielleicht hätte ich ihn nach seiner Nummer fragen sollen.
Waren wir eigentlich Freunde?Neben mir raschelte etwas und ich zuckte zusammen, während mein Herz begann zu rasen. Bestimmt nur eine Eule. Oder ein kleiner Fuchs, versuchte ich mir einzureden. Natürlich funktionierte Selbstmotivation nicht.
Außerdem war es dunkel, man würde also nicht sehen, wie ich davonrannte wie ein Kleinkind.Unwillkürlich lief ich noch schneller, auch wenn es sicher nur ein kleines Tier gewesen war.
Bald schon würde ich die Unterführung erreichen. Und wenn ich die hinter mir hatte, dann war ich ja auch schon im Wohngebiet. Vielleicht waren da Leute. Auf jeden Fall würde ich mich dort sicherer fühlen. Denn die meisten Morde passierten am Fluss.
Komm, die paar Meter!, versuchte ich mich selbst aufzubauen.Die Unterführung war bereits in Sicht, als plötzlich wieder etwas knackte. Ziemlich nahe bei mir.
Ich musste mich furchtbar zusammenreißen, um nicht einfach die letzten Meter zu rennen. Das war diesmal keine Einbildung, da war ich mir zu hundert Prozent sicher. Da befand sich jemand unmittelbar hinter mir! Und kam mir schnellen Schritten näher.
Hundert Meter bis zur Unterführung...Ohne Vorwarnung und wie aus dem nichts hörte ich plötzlich einen gellenden Schrei von Fluss her, der in einem schrecklich gurgelnden Laut endete und nun in der Finsternis hängen zu schien.
Ich zuckte zusammen. Mein Herz raste.Und jetzt hielt mich nichts mehr. Ein weiterer grausamer Schrei, immer näher kommende Schritte -
Ich rannte auf die Unterführung zu, als wäre der Teufel hinter mir her.
Dabei nahm ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr, eine Person, die rennend von Fluss her auf mich zu kam. Aus exakt der Richtung aus der auch der Schrei gekommen war.
Angst unbemannte mich und während ich innerlich zu explodieren drohte und die Realität um mich herum verschwand, sorgte mein Adrenalinspiegel dafür, dass meine Beine sich noch schneller bewegten.Keuchend schlitterte ich die letzten Meter zur Unterführung hinunter und landete mit einem Plumps am Boden.
Mist!
Wäre mein Leben nicht in Gefahr gewesen, so hätte ich mir vielleicht Gedanken über mein aufgerissenes Knie gemacht, das unter der Hose zu bluten begann. Oder ich hätte vielleicht überlegt, ob ich zum Arzt gefahren wäre.
Unsinn, wenn der Verfolger nicht gewesen wäre, dann wäre ich erst gar nicht gestolpert!Jetzt aber rappelte ich mich hastig auf und rannte weiter, solange ich rennen konnte. Ich hatte schon einige wertvollen Sekunden verschwendet.
Mein Herz pochte immer schneller, ein nicht enden wollendes Accelerando und langsam bekam ich wirklich Panik.
Würde ich die nächste Tote sein, die am Flussufer gefunden werden würde? Wie die ganzen Studentinnen, die immer in der Zeitung standen?
Schaudernd erreichte ich das Ende der Unterführung und wusste, dass ich gleich zusammenbrechen würde. Noch nie war ich die sportlichste gewesen und die Gedanken waren auch nicht gerade hilfreich. Sie sorgten dafür, dass meine Beine nachzugeben drohten.Und ich hatte das unbestimmte Gefühl mich gleich übergeben zu müssen.
Mit letzter Kraft hiefte ich mich die Stufen empor und ließ mich seitlich rechts in die Büsche fallen. Das war zwar völliger Blödsinn aber irgendwie hoffte ich doch, er könnte mich übersehen. Die Dornenranke, die sich in mein Bein bohrte spürte ich nicht.Nun, da ich lag hörte ich die nahenden Schritte meiner Verfolger nicht mehr.
Das Blut rauschte, toste in meinen Ohren und mein Herzschlag ließ meinen gesamten Körper erbeben.
Bedauernd dachte ich daran, dieses Geräusch nun nie wieder hören zu können. Ich schloss meine Augen und versuche noch ein mal tief einzuatmen.
Meine Anspannung und meine Schnappatmung machten das ganze nicht gerade besser. Ich japste jämmerlich nach Luft.
Panisch riss ich die Augen wieder auf, sah aber nur rote Punkte. Ich würgte aber es kam nichts.
Und als ich schließlich überhaupt nicht mehr atmen konnte dachte ich nicht einmal mehr an den Verfolger.
Was für ein jämmerlicher, sinnloser Tod.
Dann war ich weg.
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Eyes
RomanceAugen. Nur Teile des menschlichen Körpers? Eine Gesellschaft, in der Augen eine andere Bedeutung haben. Eine Gesellschaft, in der jeder weiß, dass sie den Charakter zeigen. Auch ich bin mit diesem Wissen aufgewachsen. Was ist richtig, was falsch...