Chapter Ten

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Montag.
Die ersten Gedanken:
Schule. Aufstehen. Müde.
Und, leider: Bad besetzt.
Meine geliebte Schwester nutzte mal wieder voll aus, dass die Wohnung ihr gehörte. Ganz toll.
Man bemerke den Sarkasmus.

Bis Laya herausgekommen war, was noch um die zwanzig Minuten gedauert hatte, vertrieb ich mir die Zeit mit dem Frühstück. Da sie ja sowieso nicht in Sichtweite war und es frühestens merken würde, wenn sie wieder zu Hause war, genehmigte ich mir heimlich einen ihrer heiß geliebten Fruchtjoghurts, die ganz hinten im Kühlschrank versteckt waren.
Kirsche. Diesen Geschmack schon am Morgen - einfach himmlisch.
Ich genoss ihn und für einen Moment war die Welt sorglos und frei.

Dann, mitten in meiner Sorglosigkeit, fiel mir alles wieder ein und ich stöhnte auf. Ganz toll. Die Welt war nicht mehr sorglos und der Joghurt nur noch halb so gut.
Ich musste in die Schule.
Ich musste mich entscheiden und Herrn Schmidt Bescheid geben.
Das einzige Gute war, dass ich heute Abend wieder in die Bücherei konnte.
Frustriert warf in den leeren Joghurtbecher in den Mülleimer, just in dem Moment, in dem der Schlüssel der Badtür gedreht wurde.
Perfektes Timing würde ich mal sagen.
Oder doch nicht, denn ein Blick zur Uhr sagte mir, dass ich zu spät dran war.
Eilig quetschte ich mich an meiner perfekt gestylten Schwester vorbei. Hoffentlich wartete sie auf mich.

Laya war Lehrerin auf unserer Schule und das war nicht gerade einfach. Normalerweise lief sie ohne mich zur Schule oder wurde sogar abgeholt, während ich natürlich laufen musste.
In der Schule musste ich aufpassen. Zwar sah ich Laya nicht oft, aber einmal in ihrer Referendariatszeit gab es einen kleinen Zwischenfall, den ich nicht noch einmal erleben wollte.
Ich hatte meine Schwester gesehen und leider, leider in der Gegenwart von Frau Blum, der Schreckschraube der Schule, geduzt und beleidigt, weil sie einfach meine Schuhe angezogen hatte. Und die Blum hatte mich natürlich nachsitzen lassen, nachdem sie mir eine saftige Strafrede über Beamtenbeleidigung gehalten hatte. Dumm gelaufen.
Noch heute hasste mich Frau Blum. Sie tat es eigentlich schon immer.
Aber gut, das beruhte  auf Gegenseitigkeit.

Ich zog mich an und holte meine Tasche. Natürlich war Laya schon weg, als ich hinausging sah ich gerade noch die Rücklichter eines Autos im Schneegestöber verschwinden. Richtig. Es schneite und stürmte.
Und wie!
Ich holte meine Mütze und begann dann, mich durchzuschlagen.
An der Schule war ich dann bereits ganz durchgefrohren. Meine Finger hatten eine leuchtend rote Farbe angenommen und mir war eiskalt.
Neidisch schaute ich den anderen Schülern zu, die glücklich aus ihren Autos kletterten und beleidigte in Gedanken Laya, diese Schreckschraube von Schwester.
Sie kam sowieso her, wieso konnte sie mich nicht einfach mitnehmen?
Warum musste ich, anders als der Resr der Schule, zu Fuß durch Eis und Schnee irren? Also echt, wenigstens im Winter hätte sie mal eine Ausnahme machen können.

Beleidigt stapfte ich ins Schulhaus und schlurfte missmutig ins Treppenhaus.
Auch noch in den vierten Stock! Das Schicksal hasste mich.
Auf dem Weg nach oben warfen mir einige anderen Schüler mitleidige Blicke zu und ich überlegte wie ich wohl auf sie wirken mochte.
Ein struppiges, zotteliges Mädchen mit verstrubbelten Haaren, wütendem Blick und vermutlich mit roten Wangen.
Kurz kam mir das Bild von Beethoven in den Sinn und schauderte.
Ich liebte seine Musik, aber seine Frisur wollte ich nicht haben. Um keinen Preis der Welt.

Ich war eine der letzten, als ich mich schließlich völlig erledigt auf meinem Platz in der zweiten Reihe plumpsen ließ. Zum Glück nicht zu spät.

"Hey Catherine"
Natürlich konnte ich morgens nicht meine Ruhe haben. Ich drehte mich zu Frank um.
"Was gibt's?", fragte ich betont nett, obwohl ich schon wusste, was er wollte.
Frank verschlief die Stunden lieber, was ich ihm nicht verdenken konnte. Wir schauten ausschließlich Filme und die waren so langweilig, dass ich auch am liebsten die Augen geschlossen hätte.
"Hast du letzte Stunde mitgeschrieben?", fragte mein Mitschüler und ich reichte ihm meine Filmnotitzen.
Wenigstens kümmerte er sich darum, dass er mitkam. Nachdem er sie überflogen hatte gab er sie wieder nach vorne.
"Du hast was gut bei mir"
"Kein Ding", erwiderte ich und drehte mich um.

Da stand auch schon Herr  Hoffmann vor der großen Tafel. Wie ich den Kerl verabscheute. Groß und breit und fieser Blick.
Wie der wohl Lehrer geworden war...

Anstatt einen Film einzulegen stellte er sich breitbeinig vorne hin. Nanu? Was war das denn?
"Unsere heutige Lektion geht um die Sonderfälle dieser Erde. Jemand eine Idee?"
Die Klasse schwieg perplex. Niemand konnte diesen krassen Wechsel so schnell verarbeiten. 
Ich setzte mich ein wenig aufrechter hin. Wenn er schon anfing zu predigen musste es wohl interessant sein.
"Schwarze Augen!", er zischte die Worte geradezu hasserfüllt.
Mein Atem stockte.
Nein. Alles, aber bitte nicht das. Nicht heute und vor allem nicht jetzt.
"Das Regierungspräsidium hat angeordnet, dass ab sofort dieser Themenbereich einmal mindestens im Jahr unterrichtet wird."
Er wirkte dennoch sehr zufrieden und ein teuflisches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
Er holte tief Luft und ich wusste, dass jetzt eine längere Rede folgen würde. Mir graute davor.
"Wie ihr wisst: Das Gen, das sie verursacht ist vererblich. Das muss verhindert werden!", donnerte er.
Das war sein Thema.
"Es ist leider noch nicht verboten einen Partner mitdiesem Syndrom zu ehelichen, aber der Staat ist dran. Einige  Organisationen verhindern den Prozess, aber sie werden nicht siegen! Nein!
Das gute wird siegen! Wir werden siegen!"
Die Klasse murmelte beifällig.
Vor meinem inneren Auge sah ich plötzlich Herrn Schmidt. Leitete er eine solche Organisation?
Zögernd hob ich die Hand.
Der Lehrer riss die Augen auf.
"Ja?", fragte er, verdutzt, dass jemand sich äußerte.
"Was sind das für Organisationen?", fragte ich das, was mich gerade am brennendsten interessierte. Hoffentlich verstand er mich nicht falsch.
Doch Herr Hoffmann war ganz in seinem Element und schaute mich begeistert an. Wenn er wüsste...
"Sie kämpfen gegen die Regierung und gegen Parteien und Verbände, die gegen diese... Spezies sind. Oft arbeiten Sie sogar zusammen."
Er holte Luft um seiner Empörung Ausdruck zu verleihen.
"Wir müssen dagegen stehen und gegen sie kämpfen. Und wenn wir das geschafft haben, dann wird unsere Welt eine bessere sein."
Mir wurde schlecht, als viele meiner Mitschüler klatschten.

Was haben sie denn getan?, wollte ich fragen und dachte an Will und am Herrn Schmidts Tochter.
Sie waren nett, viel netter als der Großteil hier.

Und während die anderen begeistert dem Parolen Herrn Hoffmanns lauschten wurde mir eines klar.
Ich würde Herrn Schmidts Angebot annehmen.
Denn was hier passierte, das war einfach nur unmenschlich. 

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