5. Sitzung

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"Guten Tag, Emily."

"Hallo, Eric."

"Wie verliefen die Tage, nach unserem letzten Termin?"

"Leichter, als ich dachte."

"Inwiefern?"

"Na ja, ich habe gedacht, dass mit dem Wissen, dass ich bipoar bin, sich mein Leben erschwert. Doch es ist einfacher geworden. Vieles ergibt jetzt Sinn."

"Nenn ein Beispiel."

"Ich hatte wieder streit mit Mason. Es kam aus dem nichts und handelte über gar nichts und da wurde mir mittendrin klar, dass es keinen Grund gab, sauer zu sein. Also habe ich damit aufgehört."

"Du hast einfach aufgehört, sauer zu sein und dann war alles wieder im reinen?"

"Ja, so in etwa."

"Das ist erstaunlich."

"Ich kann nun viel besser mit meinen Gefühlen umgehen. Das ist irgendwie befreiend."

"Nun, das freut mich natürlich zu hören. Hast du dennoch einmal daran gedacht, Tabletten zu nehmen? Eine bipolare Störung ist nicht unausweichlich. Sie lässt sich mindern und sogar beheben."

"Ich möchte keine Tabletten nehmen. Anti-Depressiva und Thyroxin und so ein Zeug - das will ich nicht, das brauch ich nicht."

"In Ordnung. Wenn du das für richtig hälst, ist es vollkommen ok. Nun, Emily, möchte ich die heutige Stunde jedoch nicht damit verbringen, um über Tabletten zu reden."

"Worüber dann?"

"Ich möchte dich kennen lernen."

"Du weißt doch schon fast alles über mich. Es steht sogar in deinem schwarzen Notizbuch."

"Ich kenne deine Probleme und ein paar wichtige Momente aus deinem Leben, ja. Und das sollte ein Therapeut auch wissen. Nur habe ich ebenso über deine Worte nachgedacht, wie du über meine. Ich möchte Seiten von dir kennen lernen, die kein Dienstleistender kennt sondern die deine Freunde über dich wissen."

"Öhm, ok. Zum Beispiel?"

"Was war das letzte Konzert, auf dem du gewesen bist?"

"Du lachst. Ist die Frage witzig?"

"Ja, ich finde schon. Darf ich die Fragen, die du mir stellst, zurück stellen?"

"Pink Floyd, als ich noch kleiner war."

"Pink Floyd? Wirklich?"

"Lach nicht. Das waren unglaublich gute Musiker."

"Dann stehst du bestimmt auch auf Genesis und Journey."

"Wie hast du das nur erraten?"

"Razz."

"Von denen habe ich noch nie gehört."

"Eine junge Rockband aus Holland. Die machen unglaublich gute Musik."

"Ich werde sie mir Zuhause anhören."

"Was ist noch etwas, was du über mich wissen möchtest?"

"Hast du eine große Familie?"

"Nicht wirklich. Bis auf meine Geschwister und meine Mom, gibt es da niemanden, der nur ansatzweise mit mir verwandt ist."

"Hast du ein gutes Verhältniss zu deiner Familie?"

"Meine Brüder ärgern mich immer noch bei jedem Familien treffen, aber ansonsten mögen wir uns alle sehr. Für jeden einzelnen würde ich mir, wenn es sein muss, eine Kugel einfangen."

"Das klingt schön, Emily."

"Und du? Du hast kein gutes Verhältniss zu deiner Familie?

"Nun ja ... Ich bin einzelkind, wie jeder in meiner Familie. Bin in ein reiches Elternhaus geboren und sollte immer das machen, was sie für mich vorbestimmt haben. Doch als verwöhnter Junge will man natürlich seinen eigenen Kopf durchsetzen."

"Siehst du sie noch ab und zu? Deine Eltern?"

"Jedes Jahr zu Thanksgiving."

"Du bist Amerikaner?"

"Ich dachte, mein Akzent hätte das schon längst verraten."

"Und Weihnachten? Das ist doch bald. Siehst du sie da?"

"Nein. Da feier ich mit meiner eigenen Familie."

"Du hast ein Kind?"

"Eine kleine Tochter."

"Wie ist ihr Name?"

"Den möchte ich nicht verraten."

"Wieso nicht? Ist es ein komischer Name?"

"Sie heißt Emily."

"Jetzt lächel nicht so gerührt. Ich habe sie so genannt, bevor ich dich kannte."

"Wie alt ist Emily?"

"Sie wird nächstes Jahr sieben."

"Sie ist sicher wunderschön."

"Das ist sie."

"Feiert ihr allein?"

"Ja."

"Wo ist ihre Mutter?"

"An einem besseren Ort."

"Oh, das tut mir leid."

"Ist schon gut. Gerne würde ich jedoch das Gespräch wieder auf dich lenken, Emily. Schießlich bezahlst du dafür, um über dich zu reden."

"Eigentlich bezahlt es die Krankenkasse."

"Was ein Glück für dich."

"Ich habe das College wegen Mason abbrechen müssen."

"Du musstest?"

"Ja. Er hat es so gewollt."

"Was ist vorgefallen?"

"Ich wurde schwanger."

"Du hast also auch ein Kind."

"Nein."

"Mein herzlichstes Beileid. Möchtest du darüber reden?"

"Es gibt nicht viel zu erzählen. Es war da, und dann war es weg."

"Hatte es einen Namen?"

"Nein. Dafür war nicht genug Zeit."

"Darf ich dich um etwas bitten, Eric?"

"Natürlich."

"Würdest du mich in den Arm nehmen?"

"Emily, ich weiß nicht ..."

"Bitte."

"Na gut. In Ordnung."

"Danke."

"Danke wofür?"

"Für das Vertrauen, was du mir schenkst. Ich weiß, ich kann dir alles erzählen und du gibst es nirgendwo preis... Außer vielleicht, jemand stiehlt deinen Block."

"Viele Patienten trauen mir nicht, da ich für das zuhören und da sein Geld bekomme."

"Ich vertraue dir trotzdem."

"Emily, stopp. Was tust du da?"

"Ich, ehm ... Es tut mir leid. Das wollte ich nicht. Also, ich wollte schon aber es war nicht meine Absicht - tut mir furchbar leid."

"Emily, ich darf dich nicht küssen. Ich verliere sonst meine Lizenz."

"Ja, ja ich verstehe schon."

"Warte, wir haben noch fünfzehn Minuten. Emily!"

99 ProblemsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt