Kapitel 2

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Aiden legte seinen schwarzen Umhang ab. Es war ein harter Tag für ihn gewesen, er hatte sein Anwesen für die Ankunft herrichten lassen und selbst Hand angelegt. Er wusste, dass er sie zuerst bekommen würde, für sein Volk war es bitter nötig. Wenn jemand anderes die Hexe in die Finger bekam... Aiden wollte nicht darüber nachdenken. Sein Plan war makellos, er musste ihn nur noch in die Tat umsetzen.
Eine schwarze Haarsträhne hing in Aidens Stirn, gekonnt strich er sie nach hinten. Seine himmelblauen Augen waren umrahmt von einem dichten, schwarzen Wimpernkranz. Alle Frauen begehrten ihn, leider war ihm keine interessant genug, als dass er sich länger als eine Woche mit ihr auseinandersetzte.
Lucien, sein Bruder war in der Hinsicht anders. Ihm war es egal, wie ungebildet und durchschaubar eine Frau war, hauptsache sie diente ihm als lebendiges Spielzeug und Seelenquelle. Er quälte Frauen gerne, für ihn waren Menschen wertlose Objekte.
Anders als Aiden, denn er war ein Menschenfreund, auch wenn es ungewöhnlich für jemanden wie ihn war. Er war eines der Kinder der Nacht und somit ein natürlicher Feind der Menschen. Gewiss glaubten die meisten Menschen nicht an Dämonen, schließlich stellten sie sich darunter abscheuliche Kreaturen vor, die dem Tod ausgesetzt waren, sobald sie ins Sonnenlicht traten. Doch auch ein Dolch ins Herz würde einen Dämon nicht töten. Dadurch war ihre Tarnung perfekt – sie benahmen sich genau wie die Menschen und erregten somit kein Aufsehen. Aidens Artgenossen waren sich bewusst, nicht zu auffällig töten zu dürfen. Manchmal genügte auch einfach nur ein kleiner Teil der Seele eines Menschen, dann kontrollierte man seine Gedanken und ließ ihn gehen. Aiden schritt in den Vorgarten und setzte sich unter eine alte Eiche. Oft kam er her, um nachzudenken. Über den bevorstehenden Krieg, die Konsequenzen, die er mit sich tragen würde. Über die Toten, die es geben würde.
‚Was hab ich schon zu verlieren? ', dachte er sich. Schließlich war er schon einmal gestorben, seine Seele war verdammt bis in die Ewigkeit, ob er nun auf der Erde umher wandelte oder nicht, machte auch keinen großen Unterschied. Er hasste Krieg. Doch es führte kein anderer Weg daran vorbei, sein Volk zu schützen. Es waren nicht die Dämonen gewesen, die den Krieg erklärten.
Die Schweigenden waren geweckt worden. Besänftigung war nur vorausgesetzt, wenn genug Blut floss. Sie würden sich holen, was sie wollten. Koste es, was es wolle. Sicherer hätte er sich gefühlt, wenn sein Vater ihm den Rücken gestärkt hätte. Unmöglich konnte er ein Heer von Dämonen anführen, Aiden hatte zu wenig Erfahrung in solchen Dingen. Seinen Bruder anführen zu lassen erschien ihm sogar noch schlimmer.
Lucien war nicht bedacht auf Frieden und Tugenden. Er würde Spaß an Mord und Totschlag haben, für ihn war alles wie ein Spiel. Das war es, was Aiden an seinem Bruder so sehr hasste. Lucien nahm nichts ernst genug. Er zeigte kaum Interesse an dem bevorstehenden Tumult, fast so, als diene es für ihn nur zur Unterhaltung.
Seit dem Tod seines Vaters blieb alles an Aiden hängen. Zumindest die ganze Verantwortung, das Geld verschleuderte Lucien zu gern. Als Prinz war es seine Pflicht, das Wohl seines Volkes zu gewährleisten. Er würde in den Krieg ziehen, und er würde ihn gewinnen. Ganz gleich, ob die Schweigenden sich gegen ihn stellten.

Langsam richtete Aiden sich auf, um in die abgelegene Stadt zu fahren. Sein Gespür verriet ihm, dass Lucien nichts Gutes im Schilde führte. Den ganzen Tag lang war Lucien nervös umhergeirrt, hatte Vasen umgeworfen und einen seiner Diener getötet. Wenn er auch sonst so desinteressiert am Geschehen war, hielt ihn heute irgendetwas auf Trab. Aiden konnte sich nicht erklären, woran Luciens Beunruhigung liegen konnte. Außer, ihre Cousine wäre wieder einmal aufgetaucht. Ihm war die zerstörte Beziehung der beiden schon längst klar, sie hassten einander wie die Pest, dennoch mussten sie sich akzeptieren. Ruwena, sie war blass, ihr Haar braun und dicht wie das Fell eines Bären. Ihre Lippen erstreckten sich in einem Tiefrot, ebenso rot wie ihre Augen. Unter den Dämonen stach sie besonders hervor, daher blieb sie tagsüber nur in der Festung von Dreanthor.
Aiden mochte seine Cousine, sie war einigermaßen vernünftig, hatte einen Hang zur Dominanz und behielt immer Recht. Daher auch die Abneigung auf Seiten Luciens. Gegen Ruwena konnte er nichts ausrichten, sie war zum einen stärker und zum anderen klüger als er, obendrein übertrumpfte sie Lucien in der Anzahl seiner Affären. Grund genug, um sie jedes Mal anzufechten und ihr Streiche zu spielen. In einer so ernsten Lage wie dieser konnte Aiden es nicht zulassen, dass sich Lucien und Ruwena gegenseitig ausschalten wollten, sie mussten einmal zusammenhalten, selbst wenn es das letzte Mal gewesen sei.
„Lucien?" Ein genervtes Grunzen wurde erwidert.
„Ist Ruwena angekommen?" Er fand es schon fast amüsant, Lucien in dieser Verfassung zu sehen, vergaß jedoch nicht den Grund für ihren Besuch. „Was denkst du, warum ich meinen Zorn überall auslassen muss? Es ist immer noch meine Aufgabe Menschen zu quälen, sie soll nicht meinen, sie könne es besser!"
Aiden verdrehte die Augen und wandte sich von Luciens Anblick ab.
„Wann werdet ihr zwei erwachsen? Weißt du nicht wie riskant du handelst?" Lucien schnaubte wütend. „Sag das deiner Cousine! Ich hatte eigentlich nicht vor heute jemanden zu töten, aber sie hat es darauf angelegt!"Leises Getrippel näherte sich aus der Diele. „Wie ich hörte ist die meine Ankunft bereits bekannt."
Ruwenas rauchige Stimme ertönte hinter Aiden.
Gerade wollte er sich zu ihr umdrehen, da stand sie schon vor ihm. „Ich hab' dich vermisst, Cousin." Ihre kräftige Umarmung, die aber gleichzeitig weich war, umschlang Aidens kompletten Oberkörper. „Wir dich auch, Ruwena." Ein Grinsen machte sich auf ihrem Gesicht breit. „Der da" – sie zeigte auf Lucien, „hat sich nicht gefreut."

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