Marcus legte sein Handy zurück auf den Tisch. Er war nicht nur erleichtert, sondern auch endlich angekommen. Er hatte die Nachricht seiner Frau mit Fassung geschluckt und ihr versichert, dass er noch heute kommen würde. Dass es allerdings seinen Sohn getroffen hatte – und das so schwer – das hatte er zwar nicht gewollt, aber ändern konnte er es auch nicht mehr. Er würde nicht zulassen, dass Avyn stirbt. Er war sein Sohn.
Er schüttelte bestürzt den Kopf. Einen Sohn, den er gehen lassen musste. Noch heute. Er wollte frei und ungezwungen sein. Sein Leben leben. Lieben. Er musste Avyn gehen lassen. Egal wie sehr sein Kopf protestierte. Wie sehr sein Magen rebellierte. Er hatte es sich vorgenommen. Und er nahm keine seiner Entscheidungen zurück. Er würde ihn in den Himmel schicken.
»Daddy. Was ist die Hölle?« Noam lehnte sich über den Tisch zu ihm hinüber.
»Warum fragst du?« Marcus wusste, dass es die Hölle gibt. Er war nicht nur einmal durch sie hindurch gewandert. In der knietiefen Scheiße und mit einem Funken Hoffnung, der so klein war, dass er ihn beinahe eingeatmet hätte. Die Hölle war schlimm. Ja. Schlimmer als alles andere. Und jetzt wollte er nur noch in das Paradies.
Noam legte die Stirn in Falten. Seine großen Augen schimmerten schwach. »Wegen Avyn. Glaubst du, er kommt in die Hölle?«
Lachend und gleichzeitig ernst legte er seinem Sohn eine Hand auf die Schulter und drückte sie leicht. »Nein. Ganz bestimmt nicht. Avyn ist ein guter Mensch. Der beste Junge. Er ist viel zu lieb für die Hölle.«
Noam nickte ernst. »Glaubst du, dass du in die Hölle kommst?«
Etwas wurde in Marcus entfacht, das er in letzter Sekunde noch zurückhalten konnte. Das Feuer in ihm loderte auf und drohte beinahe seine Macht an Noam auszulassen. Aber er unterdrückte es und lächelte schwach. »Nein. Niemand von uns. Ich verrate dir ein Geheimnis, mein Sohn.« Er schob den Stuhl näher zu ihn heran, sah ihm tief in die Augen und wartete eine gefühlte Ewigkeit bis er endlich weitersprach. »Die Hölle ist etwas, das man nicht erzwingen kann oder ausweichen. Du kannst ihr begegnen und abwarten bis sie wieder von alleine geht. Und manchmal musst du sie auch dazu zwingen. Aber du wirst nie bleiben, denn die Hölle ist kein Zuhause, sondern ein Gefängnis. Und du weißt ja, jeder kommt irgendwann wieder aus dem Gefängnis raus.«
»Jeder?«
»Ja. Jeder. Mit dem Tod ist noch lange nicht alles vorbei.« Marcus erhebt sich langsam. »So. Ich muss noch telefonieren und du machst dich fertig. Gleich geht es ab ins Bett. Morgen früh müssen wir früh aufstehen.«
Noam seufzte und rollte mit den Augen. »Muss ich denn wirklich?«
Er lachte. Genauso hatte er es sich vorgestellt. Das alles. Eine Familie. »Ja. Du musst. Und jetzt ab.« Er zog ihn sanft am Arm hoch und schob ihn in Richtung der Treppe.
Dass Nevaeh ihn dabei beobachtete, merkte er nicht. Dass sie noch immer auf dem Sofa saß und las, bemerkte er nicht. Es war als hätte sie sich unsichtbar gemacht. Und das war der größte Fehler, den er zu dieser Zeit machen konnte. Er hätte seine Augen und Ohren überall haben müssen, aber er war zu sehr in die Illusion einer perfekten Familie vertieft, dass er es nicht sah. Sie nicht sah.
Er griff nach seinem Handy. Ein zweites Telefonat stand an. Die Erfüllung seines Traums kam immer näher. Er konnte ihn schon greifen. Schon anfassen. Bald würde es so weit sein. Bald hatte er das, was er sich schon lange wünschte.
Nevaeh hörte die Worte ihres Vaters so nah, als würde er sie ihr direkt ins Ohr flüstern.
Kalt lief es ihr den Rücken hinab. Sie klammerte die Finger fest um ihr Buch, damit sie nicht sah, dass sie zitterten. Sie hatte das Gefühl, als würde die Welt um sie herum einstürzen. Als hätte sie mit einem Schlag alles verloren, was zu ihrem Leben gehörte. Jetzt würde alles vorbei sein. Sie würde nie wieder von Jada hören, geschweige denn von Avyn. Das konnte sie nicht zulassen. Sie musste es verhindern. Aber sie war starr vor Angst.
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Der Name deiner Kinder
ParanormalAvyns Leben ist nicht mehr das Gleiche, seit sein Stiefvater diese neue Frau hat. Es ist anders. Und dieses „anders" ist nicht gut. Ganz und gar nicht gut. Er muss etwas dagegen tun. Etwas gegen sie und ihre dunkle Magie- und ihr wird das bestimmt n...