Acht

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Am nächsten Tag stand kein Artikel über den Vorfall in der Zeitung. Jemand hatte viel Geld bezahlt, damit dies genauso eintraf und dieser Jemand bestand auf absolute Anonymität, -obwohl die Redaktion genau wusste, wer dieser Jemand war. Kein geringerer als Marcus Grander. Denn es war nur in ihrem Interesse, dass niemand davon erfuhr. Schweigegeld in einer Welt, die nach Geheimnissen lechzte, war bedeutend mehr wert als ein belangloser Artikel. Das wussten sie nur zu gut. Besonders Krim Gelderhole, ein Chefredakteur wie kein zweiter. Er hatte nicht nur sein Geld durch die Zeitung verdient. Früher nutzte er sein Schweigen dazu, um über die Runden zu kommen. Jetzt war es längst mehr als das. Sein Einkommen betrug dreimal so viel wie im Durchschnitt und das Schweigen machte ihm sichtlichen Spaß. Nicht umsonst steckte er überall seine Nase hinein und erfuhr die schrecklichsten Geheimnisse. Und dieses Mal war es nicht einmal ein Geheimnis. So viele Leute hatten es gesehen. Gesehen wie Avyn Grander angeschossen und vom Krankenwagen abgeholt worden war.

Man, das war immer ein Spaß. Aber so langsam wurde es Zeit, dass er seinen größten Triumpf ausspielte. Er würde sein Schweigen brechen. Ein für alle Mal. Er würde dieses eine Buch herausgeben, dass so viel ans Licht brachte, dass es Leben zerstören würde. Er würde Leben zerstören. Und dann würde er verschwinden. Nach Russland. Nach Australien. In die Türkei. Ganz egal. Aber hier konnte er nicht weiterleben. Hier würde er nur umgebracht werden. Aber das war egal. Dieser letzte Triumpf war ihm so sicher wie das Amen in der Kirche und sein Amen war schon so nahe, dass er es bereits vor sich sehen konnte. Die ganze Wahrheit über die Familie Grander.

Krim Gelderhole – K. G. – wie es immer so schön unter den Artikeln hieß – war bereits am Recherchieren. Sein Credo war schließlich nicht umsonst: Wer suchet, der findet. Und dass die Grander-Familie mehr Geheimnisse hatte als das Königshaus stand fest. Er hatte es im Gefühl. Und das hatte ihn noch nie enttäuscht oder belogen. Er brauchte nur gründlich genug suchen. Tief. In den Bibliotheken. In den Archiven der Stadt. In den Städten, in denen sie vorher gelebt hatten. Er würde etwas finden. Und dann würde er – nachdem er natürlich das Schweigegeld kassiert hatte – sein letztes Buch herausbringen. Die ganze Wahrheit. Und nichts als die Wahrheit. Das wird ein Spaß werden.

Er dachte nur zu gerne daran. Aber jetzt musste er wieder an die Arbeit. Geheimnisse warteten auf ihn, die gelüftet werden wollten. Sie schrien und jammerten nach ihm. Sie konnten sich nicht mehr beruhigen lassen. Es war eine Art Rausch für ihn und diesem Rausch ging er nur allzu gerne nach.

Avyn hatte schreckliche Kopfschmerzen. Er konnte nicht mehr klar denken. Es war alles irgendwie wie Brei. Als hätte man seinen Kopf zerschlagen. Und sein Gehirn gleich mit. Außerdem starb er innerlich vor Schmerzen. Er konnte sich nicht rühren, aber er konnte fühlen. Die Schläuche in seinem Körper. Die Flüssigkeit, die langsam in sein Blut tropfte. Das Piepen der Geräte. Ein unsagbar schreckliches Geräusch, das er noch Tage später hörte, wenn er tief durchatmete und seine Ruhe haben wollte. Aber ignorieren konnte er es nicht, so sehr er auch wollte.

Neben ihm auf der Bettkante saß eine Gestalt und als er endlich die Augen öffnete, wand sie sich zu ihm um und sah ihn an. Voller Hoffnung. Voller Zweifel. Voller Trauer und voller Schmerz.

Er konnte es kaum aushalten. Und er hatte nicht einmal das Gefühl, dass er diese Person kannte. Er war aber sofort in ihrem Bann gefangen.

»Du bist wach.« Das Mädchen strich sich eine Strähne aus der Stirn. »Endlich.«

Er öffnete den Mund. Er wollte etwas sagen. Wer bist du? Wie kommst du hierher? Warum bin ich hier? Was ist passiert? Aber er konnte nicht. Seine Kehle war staubtrocken und gleichzeitig war sein Mund verschleimt. Er spürte die Luft durch die Schläuche in seine Nase strömen. Irgendwie unangenehm. Befremdlich. Aber genauso wie ihre Hand sich um seine schloss.

Der Name deiner KinderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt