Piep. Piep. Piep. Piep. Nachdem ich meinen Wecker ausgemacht stehe ich auf. Letzte Nacht konnte ich wieder mal nicht richtig schlafen. Zu den üblichen Albträumen sind noch welche von gestern dazugekommen. Dieser Typ will mir nicht aus dem Kopf gehen. Für ihn bin ich fast in Schwierigkeiten geraten, nichtmal 'Danke' hat er gesagt. Es gibt halt undankbare Menschen auf der Welt.
Ich ziehe mir eine schwarze Jeans an, ein graues T-Shirt dazu und wieder mal die weissen Adidas Superstars. Heute hab ich Lust auf ein wenig Veränderung, weshalb ich mir meinen Glätteisen aus der Kommode neben meinem Schreibtisch rauskrame ins Bad gehe und anfange mir leichte Locken zu drehen. Mein Blick fällt auf die Narbe in meinen Gesicht. Die einzige Narbe in meinen Gesicht. Quer über meiner rechten Wange. Ich erinner mich noch zu gut an den Schmerz. Als ob ich nicht schon genug von denen hatte musste er mir auch noch eine in Gesicht verpassen.
Zwei Jahre ist es her, dass ich sie habe. Zwei Jahre schon muss ich mit ihnen Leben. Zwei Jahre schon muss ich den Blicken der Leute standhalten. Zwei Jahre ist es her, dass ich eine Therapie begonnen habe.
Mit der Therapie bin ich fertig. An die Blicke der Leute hab ich mich auch schon gewöhnt. Ich hab mich auch daran gewöhnt mit ihnen zu leben. Aber nie kann ich es verkraften, wenn man mich danach fragt. Ist schon witzig, dass die Leute dann sauer auf einen sind weil man ihnen nicht die Antwort liefert die sie wollen um über einen zu lästern.
Ihr fragt euch bestimmt was man zwei Jahre lang bei einem Psychiater macht. Ich kanns euch sagen. Man geht jede Woche einmal dahin um zu reden. Einfach reden. Wie viel es einem Menschen hilft zu reden ist auch erstaunlich. Deswegen will ich auch Psychologin werden. Weil ich weiß wie es ist etwas schlimmes erlebt zu haben und danach auch noch alles nochmal zu erzählen. Jemandem, den man nicht kennt.
Am Anfang fiel es mir schwer über das Geschehen zu reden aber nach einer Weile ging es. Der Grund dafür, dass ich nicht reden wollte könnte auch der Man gewesen sein. Wie schon gesagt : Männer schüchtern mich ein. Ich weiß das es blöd klingt aber nachdem was mir angetan worden ist hab ich mich auch von meinem Vater distanziert. Ja, von meinem Vater.
Nachdem ich mit den Locken fertig bin schminke ich mich dezent. Ich schaue nochmal ob ich alles habe was ich für die Uni brauche nehme meine Schlüssel und gehe raus. Da ich keine Brötchen habe kann ich mir ja auch kein Brot schmieren. Jetzt hab ich die Ehre 4 Stockwerke Treppen runter zu laufen. Ich glaub ich bin bisschen zu schnell runter, da mir schwindelig ist , aber nachdem ich an der frischen Luft bin vergeht es so schnell wie es gekommen ist.
Als ich gestern mit Hilfe der Navigationsapp nach Hause gefunden habe, habe ich gemerkt das dieses Ghetto ja nur zwei Straßen weiter ist. Also bin ich doch die ganze Zeit im Kreis gelaufen.
Ich drehe mich um und schaue auf die Klingel. James. Ich hab schon als kleines Kind mein Nachnamen gehasst. Diese Standartnamen, die einfach jeder kennt. Aber umso mehr mag ich meinen Vornamen. Afya hab ich noch bei keinem anderen gehört. Wie wohl der Typ-vom-Bus heißt, flüstert eine Stimme in meinem Kopf. Ohh man. Wieso kann ich ihn nicht einfach vergessen ? Er ist doch sowieso undankbar, denke ich. Solche Leute magst du nicht , denke ich. Dein Ex-Freund war auch undankbar, denke ich. Egal was du für ihn gemacht hast er war undankbar, an alles wars du Schuld Afya, denke ich. Du warst auch der Grund warum er fremdgegangen ist Afya, denke ich. Meine Augen füllen sich mit Tränen. Mein Hals ist wie zugeschnürt. War ich wirklich so schlimm? Ich hab immer das gemacht was er wollte. Ich hab versucht die allerbeste Freundin zu sein, doch er hat nie aufgehört zu schreien.
Ich laufe zum Bus. Er hat dich erniedrigt wo es nur ging Afya. Vorallem hat es ihm gefallen dich vor ihr fertig zu machen. Auch wenn du dir immer das Gegenteil eingeredet hast. Und sie hat nur ihn angeschaut nicht dich. Sie hat nichts erwidert. Obwohl ihr jahrelang befreundet wart. Wenn es hart auf hart kam stand sie zu ihm nicht zu dir Afya. Sie haben die beide ausgenutzt Afya. Und du hast es zugelassen Afya. Du bist so erbärmlich Afya. So naiv. Umso mehr ich in meinen Gedanken versinke desto mehr droht der Damm zusammen zu brechen, den ich mir in den letzten zwei Jahren mühevoll aufgebaut habe.
Ich muss auf andere Gedanken kommen und zwar schnell. Denn zu weinen kommt nicht in Frage. Nicht mehr. Ich bin nicht mehr die alte Afya, die man rumschubsen kann.
Ich hole mein Handy plus die Kopfhörer raus und mache mir ein Lied an, stecke die Stöpsel in die Ohren und laufe schneller zur Bushaltestelle. In zehn Minuten bin ich an meinem Ziel, doch vom Bus ist weit und breit nichts zu sehen. Ich schaue nach wie lange er noch braucht. Fünf Minuten. Ich setzte mich auf eine der freien Plätze und warte.
Auf der Gegenüberliegenden Straßenseite sehe ich Leute die in Richtung Stadtmitte hetzen, wahrscheinlich weil sie zur Arbeit müssen. Ich weiß nicht warum ich meinen Blick von diesem einem Man nicht abwenden kann. Schwarzer Hoodie, verdeckt sein Gesicht, normale Jeans. Warum zieht man im Sommer einen Hoodie an? Und zieht die Kapuze dann auch noch in Gesicht. Irgendwie kommt er mir bekannt vor. Aber woher ? Er ist groß , ziemlich groß. Ich muss ihn kennen. Diese Position in der er steht hab ich doch schon mal gesehen. Aber wo ? Streng dich an Afya. Er ist blass ziemlich blass.
Der Bus ist da. Ich steige ein und setze mich schnell auf die linke Seite vom Fahrer aus um einen guten Blick auf den Man zu haben.
Er hebt seinen Blick.
Eisblaue Augen.
Piercing an der linken Augenbraue.
Leere Augen...Schauen mich an.
Ein dreckiges Grinsen.
Das darf doch nicht wahr sein. Das kann doch nicht wahr sein. Er kann doch nicht wahr sein. Ich kann meinen Augen nicht glauben. Um besser sehen zu können drücke ich mich an die Scheibe. Unverwechselbar er ist es. Aber woher weiß er, dass ich hier bin ? Das weiß nur meine Familie. Nicht einmal meinen Freunden hab ich gesagt wohin ich umziehe.
Abgesehen davon, er war doch in der Klapse. Er müsste doch wieder normal sein.
Der Bus fährt los.
Er blickt mir nach.
Mein Atem geht Stoßweise. Ich kriege fast keine Luft. Erinnerungen steigen auf. Erinnerung die ich in den letzten zwei Jahren gelernt habe zu verdrängen. Diese leeren, blutunterlaufenen blauen Augen. Als ob sie mir meinen Atem rauben. Zwei Jahre habe ich gebraucht um mein Leben in Ordnung zu bringen. Das in Ordnung zu bringen was er kaputt gemacht hat. Meine Augen füllen sich mit Tränen. Wie konnte er mich finden?
Alle sagten, dass er in Klapse kommen würde.
Alle sagten er würde normal werden.
Alle sagten er würde niemanden so etwas schreckliches wieder antun.
Sie sagten ich würde ihn nie wieder sehen.
Alle sagten ich kann mein Leben weiterführen.
Ein Leben ohne Angst.
Das Leben welches er zerstört hatte.
Das Leben welches ich mir mit Mühe aufgebaut hatte.
Das Leben welches nie so sein wird wie es war, aber immerhin eins ohne Angst gewesen ist. Doch jetzt ist sie wieder da und er auch. Jetzt sehe ich dabei zu wie es wieder auf den Kopf gestellt wird.
Ich merke garnicht das ich schon da bin. Erst als der Bus etwas stark bremst kehre ich wieder in das echte Leben zurück. Mit wackeligen Beine steige ich aus und laufe in Richtung Uni.
Doch die Angst bleibt. Es ist wie als würden mich die Augen beobeachten. Diese eisblauen Augen, als wissen sie was ich mach und wo ich bin. Immer spüre ich diesen Blick auf meinem Rücken. Doch wenn ich mich umdrehe sind keine blauen Augen zu sehen. Diese Augen die mein Leben kaputt gemacht haben.

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The Silence between us
General FictionWas passiert wenn du in eine neue Stadt ziehst um mit der Vergangenheit abzuschließen, doch der Mann der dein Leben zerstört hat plötzlich wieder auftaucht? Der Mann, der dir die Narben am ganzen Körper hinterlassen hat nur aus Spaß. Ein Psychopat. ...