Kari kam weinend zu mir ins Zimmer gerannt, welches sich direkt neben Setos Büro befand. Sie sank vor mir auf die Knie und weinte bittere Tränen. Den Grund dafür kannte ich natürlich, denn mein Bruder wude bei ihrer Entlassung bei jedem gesprochenen Wort lauter.
Dieses Häufchen Elend, welches nun vor mir saß, tat mir irgendwie total leid und das, obwohl ich nur sehr wenig Kontakt mit ihr gehabt habe. Seto konnte manchmal echt grausam mit Leuten umgehen, die für ihn arbeiteten.
,,Master Mokuba.", schluchzte diese junge Sekretärin immer wieder. Ich fühlte mich ein wenig mit dieser Situation überfordert, denn ich habe noch nie eine Frau so herzzerreißend weinen sehen. Die Mädchen in auf meiner Schule zählen nicht, denn das sind ja noch keine richtigen Frauen. Ich musste dringend weg von hier, denn ich hielt es nicht länger aus. Also schnappte ich mir einen Stapel alter Akten, die sowieso in den Shredder mussten und verließ schnurstracks dieses Zimmer, ohne noch einmal zurückzuschauen. In manchen Lebenslagen glich ich meinem älteren Bruder sehr. Ich konnte es zum Beispiel nicht ertragen, wenn er sein hart verdientes Geld für Menschen ausgab, die ihre Arbeit nicht ordnungsgemäß verichteteten. Da glichen wir uns, wie ein Ei dem anderen. Kari hatte es sich aber auch selbst zuzuschreiben. Sie war laut Setos Berichten einfach nur schusselig und hat es letzten Endes sogar geschafft Kaffee über den Lieblingsmantel meines Bruders zu schütten. Das ihn das rasend vor Zorn machte, konnte ich irgendwo verstehen - immerhin war dieser massgeschneidert. So einen bekam man nicht so schnell wieder. Ich ging grade zum Lift, als dieses Gejammer endlich verstummte. Das konnte doch kein Mensch aushalten - wirklich nicht.
Als die Tür sich öffnete, habe ich nur kurze Zeit nicht aufgepasst und schwups - schon stieß ich mit jemandem im Aufzug zusammen.
,,Entschuldigung", murmelte ich und blickte zugleich in die schönsten Augen, die ich jemals bei einem anderen Menschen gesehen habe. Zwei riesengroße braune Rehaugen sahen mich besorgt an. ,,Hast du dich verletzt?", fragte diese Fremde mich direkt.
,,Nein, mir ist nichts passiert.", schüttelte ich den Kopf und fragte mich, was dieses weibliche Wesen hier zu suchen hatte? Ach ja, genau. Jetzt fiel es mir, wie Schuppen von den Augen. Seto suchte ja nach einer neuen Sekretärin und dies musste eine der Bewerberinnen für diesen Job sein. Verflixt, war die hübsch. Nur - warum schaute sie mich so an, als hätte sie einen Geist gesehen? Sollte ich mich unter diesen Umständen bei ihr vorstellen? Wäre wohl angebracht, oder? Schließlich kannte sie hier niemanden. Außerdem lernte ich wahnsinnig gerne neue Leute kennen. In dieser Hinsicht war ich anders, als Seto, denn dieser schenkte sein Vertrauen nicht auf Anhieb. Zugegeben, er hatte eine sehr gute Menschenkenntnis, was das betraf. Die Meisten seiner Mitarbeiter waren nämlich nur hinter seinen Aktien her, die viel wert waren. Die Big Five zum Beispiel. Zum Glück wurden diese rechtzeitig daran gehindert.
,,Ich bin Mokuba Kaiba.", stellte ich mich vor und streckte der unbekannten Frau meine Hand aus. Sie nickte, nahm meine Hand entgegen und sagte: ,, Freut mich dich kennenzulernen, Mokuba. Ich bin Jean White und ich bin hier, weil ich...".
,,....weil du dich als Sekretärin bei meinem Bruder bewerben willst - schon klar.", beendete ich ihren Satz und zwinkerte ihr danach zu. Jean lächelte mich daraufhin total lieb an und wuschelte durch meine Haare. Meine Haarpracht tat es einfach bei jedem. Ihr Gehirn schien auf Hochtouren zu arbeiten und scheinbar wusste Jean über uns Bescheid, denn die meisten, die ich neu kennenlernte stauten immer nicht schlecht, wenn ich nebenbei erwähnte, dass Seto mein älterer Bruder war. Den meisten verschwieg ich allerdings, dass ich zur weltberühmten Kaibafamilie gehörte, denn ich wollte nicht stets im Schatten meines Bruders stehen. Wir waren nämlich zwei völlig verschiedene Charaktere. Während Seto nämlich die meiste Zeit in der Firma, oder in der Kaibaresidenz verbrachte, war ich mit Yugi und seinen Leuten befreundet, nachdem sie mich gerettet haben. Ich unternahm auch sehr viel mit ihnen. Das hat sich jetzt leider rar gemacht, weil Yugi, nachdem er den Pharao im Entscheidungsduell besiegt hatte, nach Ägypten umzog. Er fühlte sich schon immer von diesem Land angezogen und der jahundertalte Geist hatte dies nur noch verstärkt.
,,Möchtest du, dass ich dich ein wenig herumführe?", fragte ich etwas keck. Wieder ein Nicken ihrerseits. Sie redete wohl nicht viel, oder nicht gern. Ich hingegen war eine echte Quasselstrippe und super neugierig. Seto hat mir nämlich stets folgendes gesagt: ,, Wissen ist die zweitstärkste Macht auf dieser Welt - nach Geld versteht sich." Diese Worte habe ich mir irgendwann richtig zu Herzen genommen. Das geschah schon damals während der Zeit im Waisenhaus. Seit jeher wollte ich stets eine Antwort auf all meine Fragen haben, die ich stelle.Seto war mir in dieser Zeit eine sehr grosse Stütze und Hilfe und alles andere erfuhr ich aus Büchern, die ich regelrecht verschlang.
,,Gut, dann lass mich das hier eben in den Shredder bringen und dann stehe ich voll und ganz zu deiner Verfügung.", sagte ich und deutete auf den Papierstapel, welcher neben mir in der Ecke lag. In diesem Moment kam der Lift im Erdgeschoss an. Ich sprang pfeifend raus und erledigte schnell das, was ich erledigen musste. Irgendwie ließ ich Jean nicht gerne in der Firma allein, obwohl ich wusste, dass unser Gebäude für den Notfall mit der neusten Technik ausgestattet war.
,,So, hier bin ich wieder." Ich nahm Jean bei der Hand und führte sie durch die Etagen, die sie auf jeden Fall kennen sollte, falls sie hier in Zukunft arbeiten würde. Nach diesem Rundgang führte uns der Weg wieder in die Chefetage, denn Seto müsste inzwischen längst da sein. Ich hatte recht behalten, denn als wir den Aufzug erneut verließen, sah ich Setos weißen Mantel auf seinem Stuhl liegen.
,,SETO? Bist du schon da?", fragte ich sogleich und erhielt wenige Sekunden später eine Antwort seinerseits: ,,Bin im Bad, Mokuba." Mein Bruder hatte also wiedermal Probleme mit seinen Haaren und ich war der einzige, der sie bändigen konnte. Also tat ich dies auch.