Der Minisnack zwischendurch war köstlich. Es war kein Fehler Jean einzustellen, wobei sich ein Kaiba niemals Fehler erlauben darf, denn sonst würde dieses Imperium längst nicht mehr stehen. Jean scheint sich aber ernsthaft Mühe zu geben. Möchte sie mich etwa beeindrucken? Irgendwas ist da doch und ich werde selbstverständlich herausfinden, was das ist. Mir verschweigt nämlich niemand etwas.
Mit einem zarten Lächeln auf den Lippen lehne ich mich in meinen Stuhl zurück und lasse mein Verdauungssystem arbeiten. Viele Pläne schiessen mir durch den Kopf. Ich muss noch so viel nachher durchgehen. Doch jetzt versuche ich diesen seltenen Moment gemeinsam mit Jean und Mokuba so gut es geht zu genießen. Wann war ich das letzte Mal fröhlich und unbeschwert? Seit wann mache ich mir - der Chef der Kaiba Corporation über sowas Gedanken? Muss wirklich an Jeans Schnittchen liegen, dass mir sowas Absurdes in den Sinn kommt. Aktien müssen schließlich aufrecht gehalten werden. Diese Zwangspause dauert eh schon viel zu lange. Trotzdem ist sie etwas Seltenes und dadurch sehr kostbar.
Okay, ich habe definitiv zu viel von Yugis Gerede abgekriegt. Er ist für diese unbrauchbaren Gedanken in meinem Kopf verantwortlich. Jemanden muss ich schließlich dafür beschuldigten, oder?
Teeduft steigt mir urplötzlich in die Nase. Jean denkt doch wirklich an alles schon im Vorraus - ohne, dass ich was sagen muss. So eine Arbeitskraft habe ich gebraucht und nicht dieses unfähige Ding namens Kari. Nie wieder werde ich unbrauchbares Personal bezahlen, solange ich auf dieser Erde weile.
Hmm, was sind das für Hände, die ich da plötzlich an meinem Rücken spüre? Langsam öffne ich meine Augen einen Spalt breit und sehe, dass Mokuba bereits an seinen Arbeitsplatz zurückgegangen ist. Mein Bruder ist wirklich eine riesengroße Hilfe, wenn es darum geht neue ,,Duel Monster" Karten zu entwerfen. Aber auch so ist Mokuba ein echtes Genie - egal um welches Gebiet es sich auch handelt.
Das tut wirklich gut, denn ich bin total verspannt. Vorallem im Nackenbereich. Wie konnte ich bisher bloß auf Jean verzichten? Als was sie wohl vorher gearbeitet hat, bevor sie zu uns in die Firma kam? Ich werde sie bei erstbester Gelegenheit danach fragen, doch noch nicht jetzt. Automatisch werfe ich meinen Kopf zur Seite, damit Jean die Verspannungen am Kragen lösen kann.
Hmm, sie hat wirklich Zauberhände, die außerdem total zärtlich sind. Jean entspricht wirklich der Vorstellung einer perfekten persönlichen Sekretärin. Ich werde sie dafür noch reichlich belohnen, wenn der richtige Zeitpunkt kommt. Mit einem schicken Essen, oder so. Bei den Restaurants, wo ich verkehre kann ich absolut darauf vertrauen, dass nichts von meinem Privatleben an die Presse dringen wird. Die Angestellten dort wären nämlich sofort einen Kopf kürzer, wenn sie irgendetwas ausplaudern würden. Keiner legt sich nämlich ungestraft mit mir an!
Seit geraumer Zeit schwirrt mir eine grobe Vorstellung eines Turniers im Kopf herum.Sowas wie ,,Battle City" nur in einem neuen Gewand. Ist Jean eine Duellantin? Wenn ja, dann könnte sie sich ja anmelden.
,,Spielst du eigentlich Duel Monsters?", höre ich mich plötzlich fragen. Meine Stimme klingt rau und so entspannt. Jean nickt kurz und scheint nach der passenden Antwort zu suchen. Dabei fangen ihre Augen wie Diamanten an zu glänzen. ,,Ja, schon seit Jahren. Als ich noch nicht besonders gut darin war, hat mir der Großvater eines Freundes sehr mit seinem Wissen darüber geholfen. Von ihm bekam ich auch mein erstes Deck geschenkt." Schon befinden wir uns in einem sehr interessanten Gespräch. ,,Hast du's zufällig dabei?", kommt die nächste Frage meinerseits. Es läuft ja nicht jeder mit seinem Deck ja so herum, wie ich. Etwas schüchtern hält sie es mir vor die Nase. Als ich es berühre, spüre ich es. Diese Karten scheinen eine unzähmbare Macht zu besitzen. Vielleicht hatte Yugi doch recht und sein ,,Herz der Karten" existiert ernsthaft, was ich allerdings nicht glaube.
,,Dieses Deck. Von wem hast du es bekommen?" Warum klingt meine Frage auf einmal so unglaublich kalt? Jeans Augen weiten sie wie die eines verschreckten Kaninchens, welches eindeutig in der Falle sitzt. Sie zittert auch leicht. ,,Diese Karten habe ich von Yugis Großvater als Geschenk erhalten. Er hat mir auch das meiste beigebracht, was Duel Monsters angeht.", sagt sie schließlich dank meiner Reaktion kleinlaut.
Meine Halsschlagader pulsiert grade ins Unermessliche. Das darf doch alles nicht wahr sein! Verfolgt mich Yugi jetzt überall hin? Nur, weil er einmal gegen mich gewonnen hat? Muss ja noch lange nichts heißen! In diesem Turnier hole ich mir meinen heißgeliebten Titel erbarmungslos zurück.
,,Hättest du Lust auf ein Duell und eine kleine Wette?", schlage ich unbewusst vor. Seit wann bietet ein Seto Kaiba seine Gegner um ein Duell? Das muss der Einfluss von Jean sein - anders kann ich mir das beim besten Willen nicht erklären. Mal sehen, wie sie reagieren wird.
,,Wäre das nicht ein bisschen unfair mir gegenüber?" Ihre Reaktion kommt für mich so überraschend, dass ich damit im ersten Moment total übertrumpft zu sein scheine. Doch dann geht mir ein Licht aus. Trotzdem frage ich nach, was genau sie meint.
,,Nun ja, gegen deine drei weissen Drachen mit eiskaltem Blick habe ich sowieso keine Chance. Wenn sie meine Lebenspunkte nicht direkt wieder auf Null zurück befördern, dann tut's Obelisk der Peiniger."
Wow, sie hat sich wirklich ausgezeichnet über die stärksten Karten in meinem Deck informiert - dafür muss ich Jean meinen Respekt aussprechen. Scheinbar scheint sie sich wirklich für mich zu interessieren. Wozu sonst hätte sie sich die ganzen Informationen über mich eingeholt? Sicher nicht, um irgendwelche ehemaligen Gegner von mir damit zu beeindrucken, oder? Sowas traue ich Jean einfach nicht zu. Wird sie meinem Vorschlag trotzdem zustimmen, oder einen Rückzieher machen?