Kurze Zeit später

2.6K 201 14
                                    

Dylan:

„O'Malley!" Schwester Ratcheds Stimme hallt durch den halben Flur, wobei wir glücklicherweise die Einzigen in diesem Flur sind, wenn man einmal von der fast tauben Patientin am anderen Ende des Ganges absieht, die verzweifelt versucht ihren Enkel zu verstehen. Der wiederum gestikuliert beinahe ausgiebig, doch selbst das scheint seiner Großmutter nicht sonderlich weiter zu helfen.

Zwischen Ratched und mir befinden sich inzwischen nur noch wenige Meter, denn irgendwie scheint sie kurzerhand beschlossen zu haben, dass es sinnvoller ist auf diese Weise mit mir zu sprechen, anstatt erst einmal durch den ganzen Flur zu schreien. Wahrscheinlich will sie ihre Stimme schonen oder mich einfach aus der Nähe für irgendetwas verwarnen. - Und dabei kann ich mich nicht einmal daran erinnert heute schon etwas falsch gemacht zu haben.

„Wie schön, dass du es wenigstens heute geschafft hast den anderen Patienten auch ihr Frühstück zu bringen." Ihr sonst so strenger Gesichtsausdruck weicht einem knappen und zufriedenen Lächeln, während sie auf das Tablett in meiner Hand blickt. „Oder hast du jemanden vergessen?"

„Alles erledigt", erwidere ich lediglich und deute mit dem Kopf auf das letzte volle Tablett, dass ich zufälligerweise mit mir herum schleppe. „Das letzte bekommt Mr. Lawson und dann..."

„Tue mir den Gefallen und bleib nicht wieder eine halbe Stunde dort, okay?", unterbricht sie mich, wobei ihr Blick zwischenzeitlich zu der Oma und ihrem Enkel abschweift. Langsam scheint sie seine Gesten zu verstehen, was allerdings auch daran liegen kann, dass er angefangen hat, ihr seine Worte aufzuschreiben. Hoffentlich hat sie jetzt nicht auch noch eine Sehschwäche.

„Sie wissen davon?", platzt es mir nahezu unwillkürlich heraus, wofür ich mich im nächsten Moment am liebsten geohrfeigt hätte.

„Es ist nicht gerade unauffällig, wenn du Frederick Lawsons Zimmer erst nach einer halben Stunde verlässt, während du aus allen anderen Zimmern gar nicht schnell genug verschwinden kannst", erklärt mir Schwester Ratched erstaunlich neutral. Es gefällt mir immer noch nicht, dass sie größer ist, als ich. Grace hätte es vermutlich verstanden, auch wenn sie diejenige ist, die einen Größenunterschied für gewöhnlich mit ihrer großen Klappe wieder wett macht.

„Du scheinst ihn zu mögen", bemerkt Ratched schließlich.

„Kann schon sein", murmele ich.

Okay, vielleicht erinnert er mich ein bisschen an meinen Opa, auch wenn der schon seit einigen Jahren unter der Erde liegt und ich ihn lediglich zur jährlichen Familienfeier gesehen habe.

„Dann solltest du ihn nicht warten lassen." Sie klingt geradezu entschlossen, was mich dazu bringt, mich mit meinem Tablett an ihr vorbei zu zwängen, nur um Fred einen Besuch abzustatten.

Kurze Zeit später habe ich mich mit einen Hocker neben Lawsons Krankenhausbett positioniert, während Fred sich den letzten Rest des Frühstücks in den Mund schiebt.

„Richte der Kantine meinen Dank aus", er schmunzelt. „Das ist das beste Krankenhausessen seit langen, wenn man einmal von der allgemeinen Qualität von Krankenhausessen absieht."

Sorgfältig schiebt er das nun leere Tablett auf den Nachtschrank neben seinen Bett. Fred wirkt fast schon gelassen, dafür das er schon länger in diesem Krankenhaus feststeckt.

„Falls ich dort jemals auftauchen sollte", erwidere ich. „Ich glaube ich habe mit keinem einzigen Kantinenpersonal auch nur ein Wort gewechselt."

Soweit ich mich erinnere habe ich mit niemanden außer Schwester Ratched und ein paar Pflegern gesprochen. - Und dann war da noch diese seltsame Sekretärin, die mir immer möglichst auffällig einen guten Morgen gewünscht hat. Jedenfalls hallten ihre Worte das letzte Mal durch die halbe Empfangshalle.

Auf das, was warWo Geschichten leben. Entdecke jetzt