Ein Kaputzensweatshirt für alle Fälle

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Grace:

Es regnet. Wieder einmal.

Fast schon zu sorgfältig rühre ich in meinem Kakao herum, hoffend die dicken, darin schwimmenden Schokoladenklumpen loszuwerden, die das Kakaopulver dort hinterlassen hat. Dylan sitzt mir gegenüber, sieht mich an und ich kann nicht anders, als zu lächeln.

Es ist noch nicht lange her, als ich neben ihm aufgewacht bin, den Kopf immer noch auf seiner Schulter, während er meinen irgendwie mit seinen Armen umschlungen hielt. Solange er noch geschlafen hat, habe ich nichts Besseres zu tun gehabt, als seinem Herzschlag zu lauschen, doch dann ist er doch aufgewacht.

Ich erinnere mich noch immer an den vielsagenden Blick mit dem er mich gemustert hat, nur um sich dann umso verlegener aus seiner Position zu lösen. Einen Blick, den er mir in diesem Augenblick abermals zuwirft.

„Was ist los?", fragend sehe ich zu ihm herüber und höre beinahe abrupt damit auf in meinem Kakao herum zu rühren. Inzwischen haben sich auch die letzten Schokoladenklumpen in der Milch aufgelöst. „Ist es wegen der letzten Nacht?"

Dylan starrt mich an. Wenn es Moment gibt über die man am liebste Gras wachsen lassen will, dann wäre das jetzt so einer.

„Nicht nur."

„Nicht nur?", wiederhole ich seine Worte und mustere ihn nahezu skeptisch. „Gibt es zu all dem Schlamassel, dass ich gestern Nacht angestellt habe etwa noch eine Steigerung?"

„So siehst du das also." Seine Stimme klingt gefasst, doch insgeheim ahne ich, dass es nicht so ist. Er ist enttäuscht. Enttäuscht, dass ich die letzte Nacht als Schlamassel bezeichnet habe, obwohl ein Teil davon genau dazu führt. - Und dennoch kann ich nicht anders, als gerade deshalb wütend zu sein. Wütend, weil er glaubt, dass alles schlecht war. Dass all das für mich nichts wert ist.

„Nein, so sehe ich das nicht." Seine Stimme klingt lauter als zuvor. „Ich würde es wieder tun und wenn es nur darum geht mir die Füße zu wärmen."

Okay, das klang jetzt wirklich kitschig, auch wenn das meine Wut nicht gerade dazu bringt zu verschwinden. Als ob er eine Ahnung hätte, was ich sonst noch getan hätte. Ich hätte alles dafür getan, um auch jetzt noch dort zu sein. Neben ihm zu liegen, seine Arme um mich zu spüren und ihn beim Schlafen zu beobachten, ohne mich dabei wie ein verdammter Stalker zu fühlen.

„Du hattest Wollsocken an."

Ich seufze genervt.

„Richtig", erwidere ich und versuche mich wenigstens ein bisschen zu beruhigen. „Aber das war nicht worauf ich hinaus wollte. Ich würde es wieder tun, wenn ich es könnte und genau das ist das Problem. Die Woche ist fast zu Ende und jetzt sitze ich hier mit dir an diesem verfluchten Küchentisch, rühre wie eine Irre in meinem Kakao herum und wünsche mir, dass all das hier nicht zu Ende geht. - Und damit meine ich definitiv nicht diesen bescheuerten Smalltalk beim Frühstück, den wir bis gerade eben geführt haben. Falls wir überhaupt wirklich geredet haben."

Ich merke, wie unsere Blicke sich treffen, hoffend, dass er versteht was ich meine. Ich habe einen Fehler gemacht. Den Fehler ihn nah genug an mich heran zu lassen, um mir wichtig zu werden und sollte all das hier noch weiter aus den Fugen geraten, werde ich mich unweigerlich Entscheiden müssen. Bleiben oder gehen. Es wäre beides auf seine eigene Weise schwer.

„Was willst du heute machen?", höre ich Dylan fragen und innerlich bin ich ihm dankbar, dass er mich von den eigentlichen Themen ablenkt.

„Ich weiß es nicht", entgegne ich leiser als zuvor und starre auf die Ärmel von Dylans Kapuzensweatshirt, dass ich mir heute morgen in der Eile übergezogen habe. Deshalb und weil es erstaunlich flauschig ist. Meine vorherige Wut weicht endgültig Verzweiflung und ironischerweise kann ich nicht verhindern, dass man es aus meiner Stimmer heraushört.

Ich will nicht mehr über all das, was noch kommt und was war nachdenken. - Und dennoch habe ich nicht die geringste Ahnung, wie ich die Stimmen in meinem Kopf zum Schweigen bringe. Wie ich meine Erinnerungen ausschalte, die mich selbst in meinen Träumen verfolgen oder wie ich Dylan lieben kann, ohne an die nächsten zwei Tage zu denken.

„Na ja", Dylan grinst fast schon verschwörerisch. „Dad und Allison sind mit Tyler beim Fußballspiel, ich habe dieses Wochenende ausnahmsweise einmal keine Schicht und wenn du..." Er beendet den Satz nicht.

„Zweifelst du gerade ernsthaft daran, dass ich diesen Samstag mit dir verbringen will?", Fragend sehe ich zu ihm herüber. „Denn dann muss ich dir leider mitteilen, dass da im Moment niemand anderes ist mit dem ich meine Zeit verbringen kann oder will."

Die Ernsthaftigkeit, die in meiner Stimmer mitschwingt ist kaum zu überhören.

„Also gut", seufzt Dylan und grinst fast schon zufrieden. „Was schlägst du vor? Ich habe dich die ganze Woche über praktisch überall hin geschleppt. Jetzt bist du an der Reihe."

Ich muss zugeben, dass er damit nicht ganz Unrecht hat.

„Ich will nach Hause", platzt es mir schließlich heraus, ehe ich genauer darüber nachdenken kann.

Dylan mustert mich, erwidert meinen Blick, als wüsste er, dass es in den letzten Tagen genau darauf hinausgelaufen war. „Du meinst nicht das Heim, richtig?"

„Nein, ich meine die Wohnung in der ich aufgewachsen bin", erwidere ich bissig. „Die grauen Hochhäuser im Süden der Stadt mit dem Spielplatz voller Graffiti und dem dreckigen Hof in dem die Jüngeren Fußball spielen und die Älteren nachts ihren Stoff verticken. Sieh es als Versuch Steph und alles andere endgültig hinter mir zu lassen."

Sieh es als Versuch mich meinen Dämonen zu stellen. Du hattest das Gespräch mit deinem Dad gestern. Jetzt bin ich an der Reihe.

„Bist du sicher, dass du da einfach herein spazieren kannst?" Seine Frage klingt fast schon schockiert für jemanden, der in das Büro seines Vermieters eingebrochen ist und es dann auch noch abgefackelt hat. Als ob es in der Siedlung jemanden interessieren würde, wessen Wohnung man gerade heimlich betreten hatte.

„Die Wohnungen in unserer ehemaligen Etage steht seit einem halben Jahr leer, weil der Vermieter sie nicht vorschriftsmäßig sanieren lassen hat", antworte ich ihm schließlich. „Das habe ich jedenfalls im Heim mitbekommen."

Um genau zu sein hat Elena - meine ehemalige Mitbewohnerin - mir das verraten.

In meinen Gedanken taucht das Bild einer verlassenen Mietwohnung auf, deren Waschbecken rostig sind und deren Tapete sich langsam von den Wänden löst. Ich glaube nicht daran, dass der Vermieter sie so hinterlassen hat, aber allein die Tatsache, dass alles, was mein damaliges Zuhause ausgemacht hat inzwischen verschwunden ist, lässt mich kaum merklich zusammenzucken.

„Du weißt, dass wir nicht einfach losfahren können", erinnert er mich daran, dass sein Jeep sich noch in der Werkstatt befindet.

„Ich weiß", entgegne ich sarkastisch. „Liegt wahrscheinlich daran, dass ich bei deinem letzten Unfall dabei war. Notfalls gibt es da aber noch den Bus."

Er lächelt und irgendetwas sagt mir, dass es bereits beschlossene Sache ist. Dass ich in wenigen Stunden in einer verlassenen Wohnung stehen werde in der Hoffnung die Sache mit Steph zu beenden und mir Coras Abwesenheit ein weiteres Mal vor Augen zu führen.

„Grace?"

Ich sehe zu ihm herüber.

„Du weißt schon, dass du mein Kapuzensweatshirt trägst?"

Beinahe unbeirrt blicke ich an mir herunter. Es ist mir beinahe ein wenig zu groß. Die Ärmel habe ich jedenfalls weit genug hoch gerafft, damit sie nicht einfach in der Gegend herum hängen.

Ich kann nicht anders, als nahezu verschwörerisch zu grinsen. „Ich brauchte eins für alle Fälle."

Auf das, was warWo Geschichten leben. Entdecke jetzt