Gegen die Zeit

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Grace:

Ich sehe Dylan dabei zu wie er den Hörer sinken lässt. Die Verzweiflung steht ihm nahezu deutlich ins Gesicht geschrieben und ironischerweise fällt es mir nicht einmal schwer mich in seine Gedanken hinein zu versetzen.

Es ist Tyler der verschwunden ist, aber das spielt keine Rolle. Wenn es Cora gewesen wäre, hätte ich womöglich ähnlich reagiert. Nur, dass meine Schwester lediglich beim Ballettunterricht gewesen ist und ich damals keine Gelegenheit gehabt habe mich von Dylan ablenken zu lassen.

„Du willst ihn suchen." Meine Worte klingen eher wie eine feststehende Tatsache, als eine Frage.

Dylan wird sich auf die Suche nach Tyler machen und ich werde ihn das garantiert nicht alleine tun lassen. Nicht nur, weil ich ihm das irgendwie schulde, - dafür, dass er mich für diese Woche bei sich aufgenommen hat - sondern auch, weil ich ihn verstehen kann.

Wenn ich tot bin sind seine Geschwister alles was er noch hat und ich werde dafür sorgen, dass es so bleibt. Die Frage ist lediglich, wo ich überhaupt anfangen soll.

„Wir werden ihn suchen." Dylan sieht mich an und bemüht sich um ein aufmunterndes Lächeln. Wahrscheinlich hofft er so seine Fassade aufrecht zu erhalten. „Vorausgesetzt du willst mitkommen."

Als ob er wirklich daran gezweifelt hat.

„Okay."  Ich kann nicht anders als zu grinsen und bringe mich dazu mich aus meiner Position zu lösen. Es ist nicht gerade hell um uns herum, wir stehen praktisch alleine auf dem riesigen und verlassenen Parkplatz der Sporthalle und langsam habe ich das Gefühl, dass meine Füße ernsthafte Erfrierungen bekommen werden, wenn ich hier noch länger herum stehe. Chucks sind einfach nichts für den Winter, auch wenn ich Jahr für Jahr aufs Neue alles daran setze die Welt um mich herum und mich selbst vom Gegenteil zu überzeugen.

„Okay?" Dylan hebt fragend die Augenbrauen. Er zittert nicht mehr, scheint aber dennoch nicht darauf verzichten zu wollen noch einen letzten Zug von seiner Zigarette nehmen zu wollen. - Nur, dass er noch nicht weiß, dass dies sein letzter Zug ist.

Ich nicke schließlich geflissentlich und mache einen Schritt nach vorne, nur um ihm Sekunden später die Zigarette aus dem Mund zu ziehen.

Sein Protest ist unübersehbar, was mich jedoch nicht davon abhält sie mit einer gewissen Genugtuung auf dem Asphalt auszutreten.

Es reicht bereits, dass er hier die Luft verpestet und da er sich in wenigen Minuten sowieso auf die Suche nach Tyler konzentrieren und nebenbei Auto fahren muss, ist das hier praktisch nur das Vorziehen gewisser Ereignisse.

„'Tschuldigung", Ich kann nicht anders, als zu grinsen, wobei die Mischung aus Schadenfreude und Genugtuung vermutlich kaum zu übersehen ist. „Aber ich bin der festen Überzeugung, dass du es auch für ein paar Stunden schaffst, deine Umwelt nicht mit zusätzlichen Kohlenstoffmonoxid zu verpesten."

Etwa eine fünf Minuten später fahren wir die Straßen dieser verdammten Stadt ab, in der Hoffnung Tyler irgendwo zu entdecken. Um genau zu sein ist Dylan derjenige der fährt. Ich bin lediglich diejenige, die Ausschau halten darf und am Ende wahrscheinlich als die Blinde abgestempelt wird, weil sie Tyler noch immer nicht gefunden hat.

Dylan fährt im Gegensatz zu sonst fast schon langsam, während mein Kopf irgendwo zwischen Kopfstütze und Fenster hängt. Das Glas fühlt sich kalt an meiner Stirn an und für einen Moment bin ich versucht gegen die Scheibe zu hauchen, nur um irgendwelche Kritzeleien darauf hinterlassen zu können.

Gleichzeitig merke ich jedoch wie Dylan von Sekunde zu Sekunde nervöser wird.

„Hast du schon etwas entdeckt?" Es ist offensichtlich, dass seiner Frage einigermaßen belanglos klingen soll und dennoch wissen wir beide, dass sie das nicht ist. Genau wie wir beide wissen, dass er ein grauenhafter Poet ist.

Auf das, was warWo Geschichten leben. Entdecke jetzt