Gedankentrauma

3.

Während wir beide nebeneinander am Hafenbecken stehen und hinüber zu der Musicalinsel schauen überfällt mich die Müdigkeit wie ein Schlag. Und doch weiß ich, das ich nicht einschlafen könnte. Ich fühle mich einfach schwach. Irgendwie bewegungsunfähig. Das leichte zittern, das schon die letzten Stunden durch meine Venen zieht ist kaum noch zu ignorieren. Mein Verlangen nach der Droge ist zu groß für mich.
"Hey ist alles okay, du siehst irgendwie aus als ginge es dir nicht gut."
Es ist grad mal 13.00 und ich fühle mich als hätte ich nie geschlafen.
"Ja. Ich habe nur vergessen meine Vitamine zu nehmen ich dummerchen." Sage ich und versuche dabei zu Lächeln.
"Die Zeit geht so schnell vorbei."
Ich krame in meiner Jackentasche und suche das Tütchen mit den letzten zwei Pillen.
"Wofür genau brauchst du die?"
"Ich habe einfach einen großen Mangel an sämlichen Stoffen.Mein Körper reagiert nicht auf Vitamin D in der Hinsicht also Sonne und sowas. Deshalb beginnen ist es auch sofort zu merken, wenn ich sie mal vergesse. Aber ich habe immer welche dabei."
Ich hole das Tütchen aus der Tasche.

Ich wedele mit der Tüte kurz durch die Luft und schüttle mir dann eine Pille auf die Hand. Ich lege die lila Tablette auf meine Zunge und schlucke sie, mittlerweile schon ohne Wasser.
"Ist echt interessant was menschliche körpersysteme für Macken aufweisen können! Weißt du ich studiere Medizin mittlerweile im dritten Semester und es tauchen immer mehr Kuriositäten auf."

Ich versuche zu Lächeln, doch es fällt mir schwer. Erst während mir das Amphetamin ins Blut übergeht beginne ich mich wieder Aufnahmefähig zu fühlen. Nehme auch ihn das allererste Mal so richtig wahr. Seine Erscheinung. Man sieht sofort das er zu den Gewinnern gehört. Blond, gut gekleidet, und wie sich herausstellte angehender Mediziner. Und dann daneben ich. Eine Verliererin. Krause Haare, übergroßes Shirt ein Mädchen das nur deshalb nicht auf der Straße lebt, weil ihre Eltern ihr eine winzige Wohnung finanzieren. Ich habe weder Arbeit noch Ausbildung. Alles was ich bieten kann ist diese Sucht zu Amphetaminen und ein Körper voller Tätowierungen. Ist es nicht pure Ironie, ich unterhalte mich mit ihm und tue so als ob ich Vitamin D  nehmen müsste, während ich Pillen schlucke, die mich zurück in die Wirklichkeit katapultieren. 'Meine Wirklichkeit'

"Darf ich fragen warum du mich angesprochen hast? Ich meine.. schau dich an. Du gehörst zu denen die ein Ziel haben. Und bei mir sieht man sofort, das es da nichts mehr gibt.
"Naja, ich lerne Menschen gern kennen, bevor ich urteile und du scheinst nicht grad zu den Menschen ohne Ziele zu gehören." Wenn er wüsste. Lacht mich die, sich in meinem Magen auflösende, Tablette aus. Wenn er nur wüsste, wo deine Ziele verloren gegangen sind.
Damals? In der Disko? Oh nein Mädchen. Wenn du ehrlich mit dir selbst wärest, dann hast du sie schon verloren, als du viel jünger warst. Damals in der Disko? Da hast du nur endlich das offensichtliche verstanden:

"Was habe ich schon zu verlieren, wenn ich das Zeug nehme?"

Nie wolltest du dir darauf eine Antwort geben. Aber in dieser Nacht hast du es getan. Ein einzelnes Wort ist dir durch den Kopf geschossen.

"Nichts."

Und das ist das Wort, das mich seid dem in meine träumen verfolgen sollte. In meine Träumen? Ich träumte nie. Ich halluzinierte.
Es gibt Menschen auf dieser Welt, die bereits nichts mehr zu verlieren hatten. Und dafür gab es eine genau so schlichte Antwort, wie auf die Frage die ich damals in der Disko beantwortet.

"Sie haben bereits alles verloren."