Der Mond. Er hängt zwischen den weißen Blättern. Gelb und tief steht er diese Nacht. Unwahrscheinlich hell sind seine Finger, die sanft Muster zwischen den Ästen der Kirschbäume hindurch auf den Boden zeichnen. Still ist es. Nur der Wind haucht zwischen den Gräsern und im nahen Bambuswald klagt geisterhaft ein Tier. Ist es ein Nachtvogel, oder die verlorene Seele eines Wandermönchs, der den Tempel, dort unten am Teich niemals erreichen würde?
Leise streicht der Wind unter den Zweigen hindurch, zupft Blüten und lässt die Windspiele klingen.
Sie hängen zu Hunderten in jedem Baum, und weisen die Dämonen zurück, von diesem Ort des Friedens. Ihr geisterhafter Klang, berührt etwas tief in meiner Seele. Eine ferne Sehnsucht scheint ihr Ton zu wecken. Welke Blüten fallen um mich zu Boden und ich wende den Blick zu den Sternen, die wie Splitter über das tiefblaue Gewölbe des Himmels verteilt sind. So schön. Es schmerzt beinahe. Diesen Ort zu verlassen, mit der Hoffnung wieder kehren zu können, doch mit dem Wissen, dass es unmöglich ist. Nie wieder werde ich die sanfte Frühlingsbrise im Nacken spüren, nie wieder die Magie dieses Ortes fühlen. Nie wieder. Die Endgültigkeit dieser Worte wird mir nun bewusst. Zu spät. Viel zu spät.
Ich schließe die Augen. Hinter meinen Lidern ziehen all die Jahre vorbei, in denen mich dieser kleine Tempel beschützt hatte. Es war der sicherste Ort, an dem ich jemals gelebt hatte. Die hellen luftigen Räume mit den Papierwänden, in ihrer einfachen Schönheit. Die friedliche Stille. Das Lächeln, das überall zu verweilen schien. Güte und Weisheit. Windstille in einer Welt des Sturmes. Und doch würde ich wieder hinaus treten. In diesen Sturm. Ein wehmütiges Lächeln stahl sich auf mein Gesicht.
Ich war wohl nicht für diesen Frieden geboren. Meine Finger strichen über das Schwert an meiner Seite. Vertraut und zugleich fremd, nach dieser langen Zeit.
Langsam ziehe ich es, strecke es vor mir aus und blicke an seinem Rücken entlang. Auf dem Metall tanzt das Mondlicht, bricht sich auf der tödlichen Spitze. Die Windspiele klingen und federleicht sinken die Kirschblüten. Ich wände die Klinge nach oben, lasse eine der Blüten auf sie hinab sinken. Das zarte Blatt berührt die schmale Klinge und gleitet in zwei Hälften geteilt und welk, zu beiden Seiten des Schwertes in das Gras hinab. Unendlich langsam. Als ich den Kopf hebe hat ihn das Mondlicht unter die Bäume gezeichnet. Sein Fell so hell wie das Gestirn der Nacht selbst. Kitsume. Der neunschwänzige Fuchsgeist. Sein Tempel ist es, der hier gehütet wird. Sein Blick liegt auf mir. Uralt. Die Kirschblüten haben sich rot gefärbt. Ich kann nicht sagen, was in seinem Blick liegt. Doch er ist dieser Ort. Er lebt in all dem. Im Wind, in den Kirschbäumen, der Teich spiegelt seinen Blick, die Windspiele sind seine Stimme und der Mond gibt ihm die Kraft. Ich verbeuge mich tief und danke dem Fuchsgeist im Stillen für seinen Schutz. All die Jahre. Als ich mich erhebe, wabert weißer Nebel unter den Bäumen. Er ist fort. Und doch. Als ich mein Schwert zurück in den Gürtel schiebe und langsam den Hügel hinuntergehe, höre ich ihn leise singen. Er singt von Abschied und Frühlingswind. Und ich lasse getrost mein sanftes Herz bei ihm zurück, werde der der ich war, als ich in den Tempel kam. Ein Krieger. Eine lebendige Klinge. Ohne Erbarmen, ohne Furcht. Ich würde nicht wieder kehren. Niemals.
DU LIEST GERADE
Das Lied der welken Kirschblüte
Short StoryEine Sammlung von Kurzgeschichten. Fantasie, die Beschreibung von Augenblicken und Gedanken. Ich sage es so: Geschichten über ziemlich alles, was mich am Schlafittchen aus der Realität schleift. *hilfe!*