Eine neue Stadt

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Eine neue Stadt. Ein neues Land. Ganz anders als alles, was er kannte. Im Hafen war das Rauschen der Wellen, das Kreischen der Möwen und der Geschmack von Salz auf der Zunge noch nicht viel anders als in der Heimat. Doch dahinter erhob sich die Stadt, mit all ihren fremdartigen Gebäuden, Bewohnern und Tieren. Über den höchsten Türmen stand der Mond, so vertraut und unpassend in der Fremde. Ab und zu zogen dunkle Schatten an der leuchtenden Scheibe vorbei. Er hätte sie vielleicht für Vögel gehalten, währen sie nicht so groß gewesen und hätte er nicht ihre langen, im Flug umher schlagenden Schwänze, die meist mehr als zwei- oder vierbeinigen Körper gesehen.
Drachen.
Eine schneidend kalte Böe wehte vom offenen Meer herüber und fröstelnd schlug er den Kragen hoch.
Seine Gedanken kehrten in die unerreichbar ferne Heimatstadt, die winzige Wohnung zurück. Das Gesicht seiner Frau, die ihrer beiden Kinder. Dachten sie in diesem Augenblick an ihn?
Seufzend wandte er sich, mit einem letzten Blick auf die raue schwarze See, ab und ging auf die Stadt zu. Der Horizont wechselte bereits langsam von schwarz über hellblau und grau zu einem zarten rosa, als sich die Mauern nur noch wenige Schritt entfernt über der Straße aufbäumten. Das Stadttor war so hoch, dass zehn Menschen seiner Größe übereinander stehend problemlos hätten hindurch gehen können. Die Mauer nun im Rücken, blieb er stehen, um der Stadt beim erwachen zuzusehen. Er sah die merkwürdigsten Wesen neben Menschen ihr Tagwerk begehen. Dies war also seine neue Heimat, hier erwartete ihn eine ungewisse Zukunft. Er machte sich auf in das Herz der Stadt, während dieses ihn mit dem allmorgendlichen Glockenchor über die Arbeitsviertel hinweg, Willkommen hieß.

Das Lied der welken KirschblüteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt