2. Kapitel

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Als ich an meinem Ziel ankam, war die Nacht bereits hereingebrochen. Ich stand vor einem heruntergekommenen Wirtshaus, nicht weit vom Marktplatz entfernt. Über der Holztür war ein einfaches Schild mit der Aufschrift 'Zur Eulenkralle' befestigt.
Von Innen hörte man bereits lautes Stimmengewirr und ich fragte mich ob ich die Person die ich so dringend suchte, überhaupt darin finden würde.
Ich blickte mich um und entdeckte ein paar Meter weiter zwei Männer, die in verschmutzte Lumpen gehüllt waren. Offenbar waren sie sehr betrunken, denn sie gröhlten und lachten laut vor sich hin. Ich blickte mich um. Ansonsten war alles ruhig. Ich hatte also nichts zu befürchten.
Ich zog die Kapuze meines Mantels tiefer ins Gesicht und überprüfte, ob mein silberner Dolch an meinem Ledergürtel steckte. Dann trat ich aus dem Schatten. Zum ersten mal in dieser Nacht fiel das Mondlicht auf meine blasse Haut, und die junge Frau, die mir unbemerkt gefolgt war, konnte den Unbekannten, aus ihrem Versteck heraus mustern.

Sie konnte sein Gesicht, das von der Kapuze größtenteils verdeckt war, nicht erkennen. Stattdessen verrieten ihr seine eleganten, anmutenden Bewegungen, und der muskulöse Körper, dass er ein erfahrener Jäger sein musste.
Als er die Tür zur Kneipe öffnete, schlich sie ihm unauffällig nach.

~

Drinnen kam mir ein ekelerregender Geruch entgegen. Es waren so viele Menschen hier, dass ich mir zunächst einen Überblick verschaffen musste. Überall sangen, tanzten und tranken Menschen auf steinernen Bänken und Tischen. Es roch nach Rauch, Fleisch, Schweiß, und vor allem Bier. Es war tierisch heiß im Haus, denn in einem großen Steinofen loderte ein Feuer. Auf einer kleinen Empore spielten Straßenmusiker auf Flöte, Dudelsack und Harfe und es herrschte eine ausgelassene, tobende Stimmung.
Eine kräftige Bedienung, in einem braunen Leinenkleid und weißer Schürze, kam mir mit einem riesigen Tablet entgegen auf dem sie zwei gebratene Hähnchen balancierte. Erst jetzt bemerkte ich, wie hungrig ich eigentlich war. Doch dafür blieb keine Zeit.
Ich drängte mich so gut es ging durch die engen Gänge und wich Krügen aus, aus denen Bier schwappte.
Gerade wurde ich von zwei Frauen mit übergroßem Dekoltée aufgehalten. ,,Hallo mein Hüscher. Wie wäre es mit einer unvergessliches Nacht?“ Sie streckten mir verführerisch ihre offenen Hände entgegen und grinsten anzüglich, doch ich scheuchte sie verärgert weg und scannte den Raum nach einem mir allzu bekanntem Gesicht.
Gerade als ich anzweifelte, die Person überhaupt heute Nacht noch zu finden, sprach jemand von hinten in mein Ohr.
,,Ich habe mich bereits gefragt, wann du kommen würdest.“
Ich wirbelte herum und prallte mit einer zierlichen Gestalt zusammen. Vor mir stand eine kleine Frau mit wirrem, weißem Haar. Es sah fast so aus als würden sie um ihren Kopf schweben, sosehr standen sie in alle Richtungen ab. Ihre Augen erinnerten an kleine Teiche, denn sie waren hellblau und wässrig.
Ihre schrumpelige Haut und die gebückte Haltung ließen sie sehr alt wirken. Die Frau trug ein braunes, langärmliges Gewand mit unzähligen beigen Flicken darauf. Ihre Fingerspitzen hatte sie geschäftlich aneinander gelegt sodass die langen, schmutzigen Fingernäger aneinander klapperten.
,,Nun Tyndall, was kann ich für dich tun?“, fragte die Alte interessiert.
,,Shhh!“,sagte ich und legte ihr rasch eine Hand auf den Mund, ,,nicht hier!“ Sie nickte ungerührt und bedeutete mir, ihr zu folgen.
Mulmig schaute ich mich um. Das war das erste mal seit langer Zeit gewesen, dass jemand meinen Namen - wahren Namen - ausgesprochen hatte. Doch hier durfte niemand wissen, wer ich wirklich war!
Glücklicherweise waren alle um uns herum viel zu beschäftigt und niemand hatte die Worte der Alten gehört.
Eilig folgte ich ihr in einen etwas abgelegenen Raum am Ende eines düsteren Flurs. Sie zündete eine Öllampe an und ich erkannte, dass wir uns in einer einfachen Kammer mit Strohbett, Tisch und zwei Stühlen befanden, auf einen sie sich nun ächzend nieder ließ. Ich beobachtete sie noch einige Sekunden regungslos, dann beschloss ich seufzend den Anfang zu machen. ,,Du weißt also weshalb ich hier bin?“
,,Nimm die Kapuze ab, wenn du mit einer alten Frau wie mir sprichst, Tyndall.“,sagte sie großmütterlich. Ich lachte kurz auf, wurde aber sofort wieder ernst. ,,Wenn die Gerüchte stimmen, dann bist du gar nicht mal so alt, Ann.“ Ich sah sie prüfend an und sie offenbarte mir mit einem breiten Grinsen eine Reihe verfaulter, gelber Zähne. ,,Tatsächlich? Was sagen die Gerüchte denn? Diskutiert mann dort draußen wirklich über mein Alter? Das ist ja erbärmlich!“ Sie schüttelte abwertend den Kopf. Dann fügte sie tadelnd hinzu: ,,Mein lieber Junge, hast du mir denn nicht zugehört? Du sollst deine Kapuze abnehmen oder es findet hier kein Gespräch statt." Ihr strenger Blick traf mich. Dann lachte sie gackernd: ,,Und ich dachte das wäre dir so wichtig.“ Gereizt streifte ich die Kapuze vom Kopf. Mein schwarzes Haar fiel mir augenblicklich in die Stirn. ,,Ach!“,seufzte die Alte, ,,Immer noch so hübsch wie früher und immer noch dem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten!“ Bei ihren Worten kniff ich bedrohlich die Augen zusammen und schlug mit der geballten Faust auf den hölzernen Tisch vor uns. Es ließ sie jedoch völlig kalt. ,,Vergleiche mich nie wieder mit Vater, hörst du?“, zischte ich erbost und spürte, dass in meiner Brust alte Erinnerungen und längst verdrängte Gefühle aufloderten. Krampfhaft versuchte ich sie zu unterdrücken, was aber nur neue Wogen der Wut in mir aufstoßen ließ.
,,Kein Grund gleich böse zu werden, mein Guter!“ Sie wollte meine Hand tätscheln, doch ich zog sie blitzschnell zurück. Ich starrte sie immer noch wütend an, doch ich versuchte mich zu beruhigen. Schließlich war das hier meine Mission und ich musste mich zusammenreißen!
,,Und deine Augen, Liebling! Sie sind so faszinierend!“,schwärmte sie weiter. Ich sah sie gereizt an. Dafür hatten wir einfach keine Zeit! ,,Können wir mal zur Sache kommen, Ann?“
,,Aber natürlich!“, antwortete sie prompt und hatte wieder ein gemeines Lächeln auf den Lippen. Ihre Augen funkelten listig. ,,Gut, dann frage ich dich noch einmal: Weißt du weshalb ich hier bin?“
,,Ich weiß viel, mein Kind. Ich fürchte auch dieses Mal. Also ist die Antwort wohl ja, ich weiß es.“ Sie seufzte beinahe ergeben.
Ich atmete tief aus. Okay, dass war schonmal gut. So blieben mir viele Erklärungen erspart.
,,Und wirst du mir helfen?“,fuhr ich unbeirrt fort. Auf einmal sah die Frau mir gegenüber sehr alt und müde aus. ,,Natürlich werde ich das, Tyndall. Hast du eine Ahnung was alles davon abhängt?“ Ich starrte sie an und schwieg. Wusste ich das? Bisher hatte ich mich mit möglichen Folgen nie befasst. Und ehrlich gesagt waren sie mir auch herzlich egal. Hauptsache ich war am Ende wieder glücklich mit ihr vereint. ,,Dann sag mir bitte wo ich sie finden kann!“, bat ich die Alte. Sie formte ihre Augen zu Schlitzen. ,,Sag mir nur eins, Sohn des Silas. Ist sie es wirklich wert? Ist sie es wert, diese lange, gefährliche Reise auf sich zu nehmen und so viele Menschen in Gefahr zu bringen? Du wirst sehr leiden müssen und schlimme, schlimme Opfer bringen. Dir werden Hindernisse begegnen, die du dir nicht einmal im Traum ausmalen könntest. Irgendwann wird auch deine Tapferkeit zu Grunde gehen. Du wirst verzweifeln und dein eigenes Ich wird dir letzen Endes im Wege stehen, dein Ziel zu erreichen. Willst du das alles auf dich nehmen, mein Sohn? Nur für sie?“
Etwas in ihren Worten ließ mich aufhorchen. Bislang hatte ich nie daran gedacht meine Mission nicht zu erfüllen. Für mich war seit dem Tag an dem sich alles verändert hatte klar gewesen, dass ich zu ihr zurückkehren, sie retten und mit meiner gesamten Existenz beschützen musste. Denn ich hatte eine so große Schuld auf mich genommen, dass mir dies nur wie selbstverständlich vor kam. Ich war es ihr schuldig. Ich hatte nie darüber nachgedacht meinen Plan nicht umzusetzten.
Bis jetzt.
Nun fragte ich mich für einen Bruchteil einer Sekunde tatsächlich, ob ich einfach so aufgeben konnte und mir irgendwo, weit, weit weg, einen friedlichen Ort suchen konnte, in dem niemand meine Geschichte kannte und in dem ich bis zum Ende friedlich leben durfte.
Dann war der Moment vorüber und ich schüttelte energisch den Kopf. Nein, es war unmöglich, sich dieser Aufgabe zu entziehen. Ich war es nicht nur ihr schuldig, sondern auch sehr vielen anderen Menschen. Selbst ich, der Kartenspieler, konnte nirgends mit dieser Last auf dem Gewissen leben. Nirgends vergessen.
Außerdem gab es noch einen anderen Grund. Obwohl ich mich vor langer Zeit dazu entschieden hatte nichts mehr zu fühlen, alles in mir einzufrieren, empfand ich für sie etwas, das sich nicht so leicht bezwingen ließ.

Also nickte ich der alten Ann zu.
,,Ja, sie ist es wert. Sehr sogar.“

Der KartenspielerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt