3. Kapitel

28 3 0
                                    

Ann nickte mir ernst zu und erhob sich von dem Stuhl. Auf einmal sah sie nicht mehr so alt und gebrechlich aus, sondern groß und mächtig. Die Aura um sie herum schien zu flimmern. Sie legte eine knochige Hand auf meinen Kopf und ich spürte wie sich ihre langen Fingernägel in meine Kopfhaut bohrten. Ihre Augen strahlten plötzlich durchdringend blau, im Schein der Öllampe und sie fixierte mich eisern.
,,So sei es, Tyndall, Sohn des Silas, Kartenspieler des Hauses der Aytigins. Dein Schicksal ist besiegelt.“
Die Luft um uns herum flimmerte. Man konnte die Macht der Worte spüren. Sie hingen schwer im Raum. Ich senkte respektvoll den Kopf und schloss kurz die Augen. Mein Schicksal war nun also besiegelt. Es gab keinen Ausweg mehr. Keine Chance zu entkommen.

Als ich die Augen wieder öffnete stand Ann mit dem Rücken zu mir. Sie hatte wieder ihre ursprüngliche Größe angenommen. ,,Bist du so weit, Kartenspieler?“
Ich atmete noch einmal tief durch, dann erwiderte ich mit fester Stimme: ,,Ja.“
Sie drehte sich zu mir um und hielt plötzlich eine Papyrusrolle in der Hand. Ihr Augen strahlten unnatürlich hell, und ich konnte mein Spiegelbild darin erkennen.
,,Mir, Ann Koa Rhys, die 142. Erbin der Delphie Orakel, die dich seit deiner Geburt erkennt und beschützt, kommt die Aufgabe zuteil, dir die Schrift zu überbringen, die schon meine Urväter verwahrt haben. Hiermit wirst du auf all deine Fragen eine Antwort finden.“ Sie legte mir die Pergamentrolle in die Hand ohne auch nur einmal den Blick von mir abzuwenden. In ihren Augen, sah ich plötzlich ein kleines Feuer lodern und vor meinem Inneren Auge spielte sich ein Film ab, ohne dass ich Einfluss darauf hatte.
Zunächst sah ich Schatten, die sich um eine am Boden liegende Gestalt wanden. Die Person hielt sich die Ohren zu und schrie laut. Ich konnte allerdings nicht erkennen um wenn es sich handelte. Ich wollte zu ihr laufen, aber konnte ihr nicht helfen. Dann veränderte sich das Bild und ich sah aus der Vogelperspektive auf ein prächtiges Schloss herab, mit unendlich vielen Zinnen und Türmen, die beinahe ganz von Flechten, Moos und Ranken bewuchert waren. Die Natur war bereits in herbstlichen Farben übergegangen. Ich sah einen riesigen Rosengarten und einen großen, glitzernden See. Das Schloss lag auf einem Berg der, soweit das Auge reichte, von hohen Hecken umgeben war, die unendlich viele Gänge bildeten - ein Irrgarten.
Dann löste sich das Bild erneut auf und dieses mal sah ich sie auf einem Baumstumpf an einem Bach sitzen. Sie hatte die Knie an die Brust gezogen und war in ein schneeweißes Kleid gehüllt. Ihr Körper spiegelte sich im Wasser und ihre langen dunkelblonden Haare fielen ihr in leichten Wellen über den Rücken. Sie war, wie in meinen Erinnerungen, wunderschön. Doch beim näheren Hinsehen schien etwas nicht mit ihr zu stimmen. Irgendetwas war anders. Ich wollte sie so dringend in den Arm nehmen das es schmerzte, doch eine unsichtbare Blockade hielt mich auf. Plötzlich trat ein Mann hinter einem Baum hervor und ich sah eine Schwertklinge aufblitzen. Noch bevor ich die Person ausmachen oder sie warnen konnte, verschwand das Bild.
Als nächstes erschien mir ein Bild, dass ein gläsernes Schachbrett zeigte. Es lag auf einem Tisch, der vor einem wunderschönen Kamin stand, in dem ein großes Feuer loderte. Roter Wein floss träge aus einem silbernen Kelch, der umgekippt war und schon halb vom Tisch rollte. Jeder Tropfen der auf die Mamorfliesen fiel, hallte in meinen Ohren wie Kanonenkugeln wider.
Ich blinzelte kurz und nun formte sich eine weitere Vision, eines sternenklaren Nachthimmels. Senkrecht über mir, strahlte ein heller, runder Vollmond. Ich senkte den Blick und sah, viele weiße Rosenblätter, die auf dem Boden verstreut waren. Ich wollte mich weiter umsehen, aber schon sah ich mich selber in einer geschützten Höhle am Fuße einer steilen Felswand lehnen. Vor mir flackerte ein Feuer, an dem ich mich wärmte, denn es lag hoher Schnee. Doch ich war nicht allein. Ein dunkelhaariges Mädchen saß neben mir. Leider konnte ich ihr Gesicht nicht erkennen, da mir ihr Rücken zugewandt war. Als ich ihre Schulter berührte und sie gerade im Begriff war, sich zu mir umzudrehen, verschwamm das Bild.
Als nächstes befand ich mich in einem prächtigen Saal voller Menschen. Es wurde getanzt und ich erkannte schnell, dass es sich um einen Maskenball handelte. Mir gegenüber stand ein junger Mann, der ein Glas Wein in der Hand hielt. Ich erkannte ihn sofort. Es war einer meiner Brüder. Der dritt älteste. Wir lachten herzlich.
Dann erschien eine letzte Version, in der ich auf einem schwarzen Hengst in Richtung der untergehenden Sonne ritt. Nach Westen also.

Der Film riss abrupt ab und ich geriet kurz ins taumeln. Atemlos schnappte ich nach Luft. Was hatte Ann mit mir gemacht? Ich krallte mich an der Lehne des Stuhls fest und blinzelte ein paar mal, bis ich wieder klar sehen konnte. Ich hob meinen Kopf und begegnete dem erbarmungslosen Blick der Alten. Sie musterte mich ernst und schwieg.
,,War das meine Zukunft? Wird dies mich erwarten?“,fragte ich stockend. ,,Nein, es waren bloß Hinweise, die dir auf deiner Reise nützlich sein werden.“,erwiderte sie, ,,Wie du deine Zukunft aber letzten Endes gestaltest ist deine Sache. Vielleicht wirst du auch einen ganz anderen Weg wählen, Sohn des Silas. Nur bedenke: Egal wie du dich entscheiden wirst, es wird nicht einfach werden. Auf deinen Schultern liegt eine große Last. Lerne damit umzugehen.“
Einen Moment herrschte Stille und wir starrten uns gebannt an. Das Feuer in ihren Augen war erloschen und sie schienen wieder in diesem wässrigen Blauton. ,,Und nun öffne das Papyrus!“, unterbrach sie die angespannte Stille mit einem beinahe feierlichen Ton in der Stimme. ,,Weißt du, was sich darin befindet?“,fragte ich sie zögernd. Sie strafte mich mit einem ungeduldigen Blick. ,,Natürlich nicht. Mir stand es nicht zu, mich in dieses Erbe einzumischen. Es wurde lediglich weitergegeben und streng behütet. Man hat dich schon damals kommen sehen, Tyndall. Du warst der hellste Stern am Abendhimmel.“ Ich registrierte, dass sie damit auf meine Familie anspielte, doch ich wollte nicht darauf eingehen. Meine Familie war, mit all den anderen Erinnerungen, aus meinem Herzen verbannt. Und dies nicht ohne Grund.
Ich nickte daher nur ernst und brach das Siegel aus rotem Wachs, welches die Rolle zusammenhielt.
Ich wusste nicht genau was ich erwartet hatte, doch das war es sicherlich nicht. Mit dunkelblauer Tinte und geschwungener Handschrift waren exakt zehn Worte mittig auf dass Blatt geschrieben:
,,Das Schicksal mischt die Karten, doch du spielst das Spiel.“
Ich starrte das Blatt einen Moment an und registrierte, wie die Alte Ann begierig ein Stück näher gekommen war, um einen Blick auf die Rolle werfen zu können. Ich konnte ihr ihre Neugier nicht verübeln, schließlich war es ein uraltes Erbe ihrer Sippe. Als sie den Satz gelesen hatte lächelte die zufrieden und irgendwie... glücklich. ,,Was ist los? Warum lächelst du?“ ,,Das, mein Lieber, wirst du schon noch herausfinden. Alles zu seiner Zeit. Doch nun, möchte ich noch eine Gefälligkeit einfordern, die du mir schon lange schuldig bist.“

Der KartenspielerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt