5.Kapitel

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Ausgerechnet DAS war ihm Aufgefallen? Bei all den Karten musste er gerade diese Entdeckung machen? Gerade diese Frage stellen?
Meine Miene wurde stahlhart und ausdruckslos. Ich musterte ihn feindselig. ,,Das geht dich nichts an.“ Meine Worte waren eiskalt. Der Mann schreckte zurück. Die Menschen um uns herum begannen zu murmeln und die Musik wurde plötzlich wild und laut. Ich spürte wie sich in meinem Inneren etwas regte. Eine dunkle Erinnerung, die sich tief in mein Herz gefressen hatte. Ich versuchte sie krampfhaft zu unterdrücken, doch sie stieg wie warme Luft in meinen Geist auf.
Ich zog die Kapuze tiefer in mein Gesicht, spürte wie sich Hitze in meinem Körper ausbreitete und erhob mich. Der Holzstuhl kippte um und landete mit einem lauten Scheppern auf dem Boden. Hastig blickte ich mich nach einer Fluchtmöglichkeit um, doch es gab keinen Ausweg. Die Menschenmenge umkreiste mich wie hungrige Wölfe und rückte unaufhaltsam näher. Dabei zeigten sie mit ihren Fingern auf mich, wisperten und beobachteten jeden meiner Schritte. Leise und langsam hörte man einen Satz aus den Mündern herausstechen: ,,Es ist der Kartenspieler.“ Oh nein, woher wussten sie es? Ich schlug schützend die Hände über den Kopf. Ich durfte das Ungeheuer nicht aus mir herauslassen. Es war dumm von mir gewesen, hierher zurück zu kehren.
Nun redeten alle wild durcheinander.
,,Jemand sollte die Wächter informieren!“
,,Wir müssen ihn ausliefern!“
,,Ist er es wirklich?“
,,Schnell weg, er ist gefährlich!“
Ich bemerkte Ann, die auf einen Stuhl geklettert war, und versuchte Augenkontakt mit mir aufzunehmen. Als sie sah, dass ich sie registriert hatte, deutete Ann auf eine Holztür, an der rechten Wand. Ich war sehr wütend darüber, dass sie mich durch ihre Forderung in diese Situation gebracht hatte, jedoch nickte ich ihr knapp zu.
Die Meute war nun nur noch wenige Schritte von mir entfernt. Ich registrierte einen Mann, der ein Messer gezückt hatte, als wollte er mich gleich angreifen. Es war höchste Zeit etwas zu unternehmen. Es hatte keinen Zweck mehr meine Magie vor ihnen zu verbergen. Damit würde ich zwar alle Geschichten, die man sich über mich erzählte bestätigen, jedoch war ich einfach noch nicht bereit, in Gefangenschaft zu geraten, oder sogar den Tod zu finden. Nicht jetzt, da ich meiner Mission endlich ein großes Stück näher gekommen war und somit auch ihr.
Ich zückte eine goldene Spielkarte aus der Manteltasche, blies fest darauf und warf sie in die Luft. Sie löste sich explosionsartig in dichten, goldenen Glitzernebel auf, der einem die Sicht nahm. Blind bahnte ich mir einen Weg durch die schreiende Menschenmenge. Ich rempelte dutzend Personen an, und auch in meinem Magen landeten vereinzelt Fäuste. Keuchend rannte ich weiter. Plötzlich packte jemand mein Genick und zog mich zurück. Im nächsten Augenblick spürte ich eine kalte, silberne Messerklinge am meinem Hals. ,,Du bleibst schön hier!“, flüsterte eine männliche Stimme nahe an meinem Ohr. Ich wagte es nicht mich zu rühren. ,,Das wird eine saftige Belohnung für mich geben. Du weißt doch, dass der König ein hohes Kopfgeld nach dir ausge-...?“ Doch weiter kam er nicht, denn ich rammte ihm meinen Dolch, den ich aus meinem Gürtel befreit hatte, in seinen Arm. Der Mann schrie und krümmte sich, doch ich achtete nicht weiter auf ihn und stolperte weiter. So langsam lichtete sich der Glitzerstaub wieder und Manche konnten mich erneut in der Menge ausfindig machen. ,,Da ist er!“,schrie eine Frau und deutete mit dem Finger auf mich. Ich eilte quer durch den Raum, auf die Tür zu, durch die Ann gerade verschwand.
Plötzlich packte jemand mein Fußgelenk und ich stolperte erneut. Verdammt! Wütend trat ich nach dem Angreifer, doch er klammerte sich fester an mich. Ich versuchte erneut die Person zu verletzen, sodass sie mich losließ, und diesmal traf ich ihr Schlüsselbein. Es krachte fürchterlich und der Mann schrie laut auf, jedoch blieb mir nicht die Zeit, mich nach dem Mann um zu blicken, denn in diesem Moment betraten vier Wächter den Pub, die sich suchend nach mir umsahen. Endlich erreichte ich die Tür, rannte hindurch und knallte sie hinter mir zu. Ich befand mich in einem weiteren Raum, der mit Tischen und Bänken gefüllt war, auf denen unangebrochene Bierfässer standen. Links stand ein großer Ofen indem aber kein Feuer brannte. Anscheinend wurde der Raum heute Abend nicht genutzt. Eilig schob ich einen schweren Steintisch vor die Tür, sodass sie sich hoffentlich vorerst nicht mehr öffnen ließ. Erst jetzt fiel mir der kalte Wind auf, der durch dass Zimmer wehte. Und tatsächlich gab es auf der anderen Seite ein kleines Fenster, durch das ich mich eventuell hindurchzwängen könnte. Von der alten Ann war keine Spur zu sehen.
Ich zuckte zusammen, als von der anderen Seite der Tür lautes Klopfen und Geschrei zu hören war. Hastig kletterte ich auf den schmalen Fenstersims und krabbelte durch die kleine Öffnung. Kalte Nachtluft strich über mein erhitztes Gesicht und ich atmete sie willkommen ein. Für einen Moment gönnte ich mir das Gefühl der Freiheit und blieb reglos stehen.
Schließlich zog ich mich wieder in den Schatten einer großen Eiche zurück und verhüllte mich. Wie ein Mantel legte sich die Unsichtbarkeit um mich. Vorsichtig blickte ich mich um.
Hier draußen schien alles ruhig zu sein. Doch ich konnte nicht umher dieser eisernen Stille etwas heimtückisches abzugewinnen. Schnaufend reflektierte ich die letzten Minuten. Ich war entdeckt worden. Diese Tatsache würde mir meine Mission nicht leichter machen. Vermutlich würden die Ritter des Königs in Scharen geschickt werden, um mich aufzuspüren. Der König wusste nun, dass ich nicht Tod war. Und er wusste auch von meinen Plänen, wenn er eins und eins kombinierte. Weshalb sonst hätte ich den Weg hierher zurück gesucht?
Ein paar Meter vor mir schoben sich zwei Wachen in mein Blickfeld. ,,Er kann nicht weit sein. Vermutlich versteckt er sich hier irgendwo.“ Ich hörte ihre Rüstungen klappern als sie dicht an mir vorbei gingen.
,,Du solltest gehen.“ Die Stimme kam so unvermittelt neben meinem Ohr, dass ich heftig zusammenzuckte und erneut meinen Dolch aus dem Gürtel zog. Als ich herumwirbelte und der Person die Klinge an die Kehle presste war es jedoch nur das Orakel. Ann musterte mich missbilligend und glitt einen Schritt zur Seite um meiner Waffe aus dem Weg zu gehen. ,,Aber, aber!“ Sie schnalzte mit der Zunge. ,,Hast du gewusst dass es so kommen würde? Hast du mich aus purer Boßhaftigkeit Karten spielen lassen?“,fragte ich sie und mache mir nicht die Mühe den Groll aus meiner Stimme zu verbannen. ,,Nein, nicht nur, Tyndall.“ Sie kicherte, doch als sie meinen vernichtenden Blick bemerkt fügte sie ernst hinzu: ,,Ich habe es getan, damit die Dinge so kommen, wie sie kommen. Die Geschehnisse der Nacht sind noch nicht vorbei, doch du solltest aufbrechen. Der Himmel färbt sich bereits rosa, schau!“ Sie deutete mit einem Finger auf einen Punkt hinter mir, doch ich drehte mich nicht um um danach zu sehen. Stattdessen fixierte ich sie. ,,Treib keine Spiele mit mir Delphi!“ Ihre hellblauen Augen glänzten. ,,Natürlich nicht, mein Lieber. Komm, es wird Zeit dir dein Pferd zu überreichen. Es steht schon für dich bereit!“ Wiederwillig folgte ich Ann durch dunkle Gassen, weg vom Pub. Ein paar mal wurde die Situation brenzlig, und wir mussten uns in die dunkelsten Schatten ducken, denn es waren viele Wächter unterwegs, die im Dorf patroullierten. Doch ich wusste, dass die Wächter uns nicht wirklich etwas anhaben konnten. Ich war ein Meister darin, mit den Schatten zu verschmelzen. Bis sie uns erreicht  hätten, hätte ich schon längst ein wenig meiner Magie eingesetzt.
Schließlich erreichten wir ohne weitere Komplikationen eine alte Scheune, aus der man schon von weitem Tiere hören, und vor allem riechen konnte. Ann führte mich bis zum Eingang, dann blieb sie plötzlich stehen. ,,Ab hier bist du auf dich allein gestellt, Kartenspieler. Nimm den schwarzen Rappen. Er steht schon bereit. Verlasse so schnell wie möglich die Gegend und vertraue auf deine Visionen.“ Ihre wirren, weißen Haare strahlten im Morgengrauen. Ann legte eine Hand an meine Wange. ,,Ich hoffe du erreichst was du dir wünschst. Viel Glück, Tyndall!“ Ihr Blick wurde fast mütterlich, dann wandte sie sich ab und schritt davon. Ich zögerte keine Sekunde und betrat geräuschlos die alte Scheune. Man hörte bereits vereinzelnd Vögel zwitschern und erste Sonnenstrahlen krochen über den Horizont. Als ich mich nach meinem Reittier umsah, entdeckte ich es sogleich.

Doch es war nicht alleine.

Der KartenspielerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt