Gefangen

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Du siehst mich an.

Du siehst mich mit den schönen, unergründlichen, fantastischen, aber trotzdem mystisch angehauchten Augen an.

Ich senke den Kopf.

Atme in deine Halsbeuge.

Du lässt es mich fühlen.

Liebe

Geborgenheit

Familie

Denn vor dir hatte ich keine Familie.

Mein Vater war ein hasserfüllter, selbstsüchtiger, schlechter Mensch.

Er hatte die Augen stets im Tunnelblick auf das Leben.

Und ich will nicht sagen, dass ich besser war.

Damals war ich ein genauso boshafter Mensch wie er, weil ich nie einen anderen Umgang kennenlernen durfte.

Doch dann kamst du.

Nein. Du kamst nicht, du warst irgendwann einfach da.

Es war dieser wunderschöne, fruchtige, süßer Sommernachmittag.

Wo es war, ist irrelevant. Ich weiß nur, dass es statt gefunden hat.

Du standest da plötzlich. Warst präsent; hast die Luft um dich rum eingesogen, weshalb mir der Sauerstoff ausging.

Ich war dort mit meiner damaligen Lieblingsperson, doch ich habe sie, kurz nachdem ich dich kennenlernen durfte, verlassen.

Ich weiß nicht, warum ich sie so plötzlich nach deiner Entdeckung verließ, ich weiß nur, dass es die richtige Entscheidung war.

Auf jeden Fall standest du dort, die Sonne fiel in einem zu perfekten Winkel auf das über deine Schultern fallende Haar. Es ist nicht lockig. Es ist nicht glatt. Es wellt sich in den Spitzen und wenn du mit deinen Händen die Haare des Deinen von einer Seite des Mittelscheitels auf die andere schwungvoll wirfst, kann man für einen kurzen Moment deinen Hals, dein Ohr und deinen glänzenden Ohrring begutachten, bevor das kurz zuvor platzierte Haar wieder in seine Ausgangsposition zurück verfällt und du, nachdem du dein Haar mit einem schnellen Griff hinters Ohr gesteckt hast, beschämt lächelst, denke ich, wie jemand so etwas unfassbar schönes erschaffen kann.

Wenn ich dich betrachte, wenn ich dich ansehe, analysiere, stellt sich mein Unterbewusstsein immer Songs vor, deren durchgängige Melodie von einem regelmäßig konstantem Herzschlag geleitet wird.

Die Musik setzt für einen Moment aus, wenn du mich anschaust. Mein Herz bleibt stehen.

Es schlägt weiter, die Musik geht weiter, wenn du mich mit deinem Lächeln beglückst.

Glocken kommen dazu. Kleine, niedliche Glöckchen erklingen, wenn du dich bewegst, wenn du läufst.

Ich bin fasziniert von dir. Deinem Wesen.

Nun ändert sich etwas.

Ich merke, wie sich der Song ändert, sobald du bei dieser einen Person stehst. Der Song wird rasender, der Herzschlag verstummt. Du redest mit der Person, interagierst mit ihr.

Du tätschelst ihr auf die Schulter. Ganz zufällig; als Untermalung deines Lachens.

Ich kann deine Augen von hier aus glänzen sehen.

Und ganz heimlich, ganz für mich allein, male ich mir aus, wie es wäre, wenn wir in einer perfekten Welt lebten.

Der Song wird schneller, aber kein schlechtes schneller, sondern ein abenteuerliches schneller.

In einer perfekten Welt gebe es keine andere Person. Es gebe niemanden, dem du ganz zufällig auf die Schulter tätscheln kannst, es gebe niemanden, der dein mir so vertrautes Glänzen in den Augen zu sehen bekäme.

Es gebe nur uns.

U

N

S

Uns. Uns ist ein bedeutendes Wort. Es kann viel, oder nichts bedeuten. Ich will, dass es viel bedeutet. Ich will, dass aus Du und Ich ein Wir, ein Uns wird.

Aber das wäre nur in einer perfekten Welt Realität.

Ich wache auf.

Mein Freund, von dem ich schon lange weiß, dass er mich hintergeht, dreht sich neben mir auf die andere Seite.

Ich blicke an die Decke.

Und meine Sehnsucht nach der Person in meinem Traum wächst jede Sekunde mehr.

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