Kapitel 1

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Am späten Abend hielt die Kutsche im Hof des Schlosses, dessen Ausmaß selbst im Dunkeln riesig zu sein schien. Marie würde noch eine Weile, genauer gesagt zwei Wochen, warten müssen, ehe sie ihren achtzehnten Geburtstag würde feiern könnte. Bis dahin sah sie nicht halb so gut im Dunkeln, wie es Erwachsene Wölfe taten.
Der auf Maries Geburtstag folgende Vollmond würde ihre Nachtsicht verbessern und die eines Menschen damit deutlich übersteigen. Allgemein schärften sich die Sinne eines Wolfes zu diesem Zeitpunkt ungemein. Und all das aus nur einem Grunde:  Von da an waren junge Wölfe in der Lage, ihre Seelengefährten zu finden.
Von der Mondgöttin vorherbestimmt gehörte zu jeden Wolf ein anderer, meistens zumindest ein anderer Wolf.
Marie dachte oft über ihren Seelengefährten nach. Groß, mit hellem Haar. Markante Gesichtszüge sollte er haben, breite Schultern, trainierte Bauchmuskeln und -
'Nen großen Schwanz!
Oh Gott, Marila! Marila, ihr innerer, immer zweideutig denkender, durchaus recht versauter Wolf.
Ach tue nicht so, du kämst ohne mich doch gar nicht klar!, merkte sie spöttisch an.
Marie seufzte nur innerlich und stieg aus der Kutsche. Damit gewann leider Marila - sie gewann so oder so fast jede der gedanklichen Diskussionen.
Wäre ja auch schlimm wenn nicht!
Selbstverständlich öffnete der Kutscher sodann die Tür für die Prinzessin und gewährte ihr damit den Blick auf einen jungen Mann, der ihr charmant zulächelte.
"Ihr müsst Marie sein", mehr eine Feststellung als eine Frage. Die Angesprochene nickte. Dass er gut aussah konnte Marie nicht abstreiten und ebenso wenig war sie in der Lage, die ,durch den Gedanken ausgelöste, aufsteigende Röte auf ihren Wangen zu verstecken.
Ihm entging dieses eindeutige Zeichen natürlich nicht, weshalb sofort ein freches Grinsen aufblitzte.
"Dann seid ihr sicher Prinz Lucian?" fragte Marie nach und musterte ihn unauffällig - unauffällig abscannen von oben bis unten, ja?
Lucian überragte Marie um mehr als einen Kopf. Die Prinzessin war dies jedoch gewöhnt. Sie war nun einmal klein und dieser Prinz war riesig, weshalb Marie dazu gezwungen war, zu ihm aufzublicken.
Der Prinz war schlank, hatte jedoch breite Schultern und demnach für Maries Geschmack ein bisschen zu wenig Muskeln. Seine stechend blauen Augen bildeten einen kräftigen Kontrast zu den tiefschwarzen Haaren die er in einer kurzen Frisur hielt. Der eher blasse Mann wirkte jedoch ein ganzes Stück älter als die Prinzessin, die ihn auf Mitte zwanzig schätzte.
Er mochte nicht Maries Traummann sein, doch vor allem seinen Augen faszinierten sie. Aber es gehörte sich nicht, an solche Dinge zu denken...
Gönn' dir einfach mal was Mädchen, du kannst nicht dein ganzes Leben enthaltsam sein!
Marila hatte wohl Recht: Als Prinzessin ziemte es sich nicht Verbindungen mit Männern einzugehen, mit denen diese  nicht verheiratet war. Es war absolut inakzeptabel.
Meine Güte, wenn du dich immer versteckst finden wir unsere Mate nie!
Ihn. Unser Seelengefährte ist männlich Marila, wie oft muss ich dir das noch sagen!
Marie fühlte sich nur zum männlichen Geschlecht hingezogen, wohingegen ihr innerer Wolf... da anderer Meinung zu sein schien.
Warte nur bis wie SIE finden!, fügte Marila gut gelaunt hinzu. Pfeifend, könnte sie pfeifen.
Ein plötzliches Räuspern unterbrach Maries Gedanken und lies sie sich wieder auf den Mann vor ihr konzentrieren. "Ja der bin ich. Ich zeige euch euer Zimmer. Folgt mir." Lucian schien amüsiert und Marie wurde nur noch röter.
Mir schnellen Schritten und hochrotem Kopf folgte Marie dem Prinzen und ließ sich von ihm ins Innere des Schlosses führen.
Drinnen war es fast kälter als draußen. Die alten Steinmauern ließen die Sonne tagsüber  kaum ins Innere des Schlosses vordringen.
Über kalte Stufen gelangten die beiden Wölfe auf einen langen Flur, durch den der Prinz Marie über dunkelbraunen Teppich  hin zu einer großen Tür, die er ohne zu Zögern öffnete. "Dies wird dein Zimmer sein. Wenn dir etwas fehlt gib einem der Diener Bescheid. Deine Sachen werden morgen hineingebracht. Gute Nacht Prinzessin" fügte er mit ruhiger Stimme hinzu und verließ Maries Seite. Zu schnell war der Abstand zwischen den beiden zu groß, alsdass die Prinzessin ihm hätte nachrufen können. Gute Nacht, dachte sie nur und betrat daraufhin ihr Zimmer.

My prince was a princess [girlxgirl]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt