Kapitel 4

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Dean seufzte und nahm den Anruf an, denn es sah nicht so aus, als würde Jo sich in nächster Zeit beruhigen und doch noch mit ihm skypen wollen.

"Hallo, John", kam eine tiefe, wenn auch durch das Mikrofon etwas verzerrt klingende, Stimme aus Deans Kopfhörern und unwillkürlich machte sich ein Grinsen auf seinem Gesicht breit.
"Anna", grüßte er den Jungen auf der anderen Seite der Leitung, dessen eigentlichen Namen er ebenfalls nicht kannte, ernst, "Warum rufst du an?"
Dean biss sich auf die Innenseite seiner Wange, das hatte wie ein Vorwurf geklungen, obwohl er es eigentlich nicht so gemeint hatte.
Anna jedoch schien sich zu seiner Erleichterung nicht daran zu stören. "Ich habe nur gesehen, dass du online bist, und ich dachte mir, ich rufe dich an und frage mal, ob du Zeit hast, auf eine Quest zu gehen. Aber wenn du gerade zu tun hast, können wir das auch irgendwann machen, wenn es dir besser passt."

Dean schüttelte sofort den Kopf, erinnerte sich dieses Mal aber schnell wieder daran, dass Anna ihn nicht sehen konnte. "Nein, das ist schon okay", beteuerte er schnell, "Ich bin nur gerade etwas durch den Wind. Scheißtag."
Er fasste sich kurz, schließlich hatte Anna nicht gefragt, und entsprechend wollte Dean ihn nicht mit unnötigen Informationen nerven.
Das jedoch schien kein Problem zu sein, im Gegenteil, Anna schwieg zwar kurz, dann aber war seine Stimme wieder zu vernehmen. "Was ist vorgefallen?", fragte er, "Also, wenn das nicht zu privat ist."
Dean lächelte, konnte nicht leugnen, dass er froh war, sich bei jemandem beschweren zu können. "Schule", er überlegte kurz, wie viel er preisgeben wollte.
Anna wusste von ihm, dass er 17 Jahre alt war, dass seine Zeitzone die Central Standard Time war und dass er einen jüngeren Bruder hatte. Dean hingegen, wusste über Anna lediglich, dass er auf die Highschool ging und bei seinen Eltern lebte und der Stimme nach zu urteilen konnte er nicht viel jünger sein als Dean.
Den Gedanken, Anna könne ein gruseliger alter Typ sein, der ihm von klein auf für alle Personen im Internet eingebläut worden war, hatte Dean schon lange verworfen. Anna war zu überzeugend wenn er Kleinigkeiten, wenn auch nie viel, aus seinem Leben erzählte und sie lagen zu sehr auf einer Wellenlänge. Sie hatten erst seit etwa einem Monat miteinander zu tun, dennoch, sie hatten seitdem so oft miteinander geskypt, dass Dean Anna unbemerkt in seinen Freundeskreis aufgenommen hatte und ihn, wenn das nicht zu seltsam wirken könnte, in einem Atemzug mit Jo, Chuck, Ash und Lisa nennen würde. Nicht, dass ihn je jemand gefragt hätte.

"Bist du nach da?", Anna klang verwirrt und erst da wurde Dean bewusst, dass er sicherlich für eine Minute geschwiegen hatte, wenn nicht sogar länger. "Klar", beteuerte er und lehnte sich zurück an die Lehne seines Bettes, "Ich war nur gerade gedanklich etwas abgedriftet." Auf dem Bildschirm ließ er seinen Charakter ein paar Schritte hin und her laufen und überlegte, ob er seinen Bundesstaat preisgeben wollte indem er erwähnte, dass es der erste Schultag dieses Jahr gewesen war. Er beschloss, dass er Anna genug vertraute, auch wenn Dean dann weniger über Anna wusste, als Anna über ihn. Außerdem war Kansas groß. "Die Sommerferien sind jetzt ja leider vorbei und das Schuljahr hat schon mal klasse angefangen. Neue Sitzordnung und ich bin neben dem Klassenfreak gelandet. Und da darf ich jetzt das restliche Schuljahr verbringen. Ich meine, vielleicht rege ich mich über Kleinigkeiten auf...", ja, sicher tat er das, "Aber das ist einfach nervig. Ich sehe jetzt schon mein Schuljahr den Bach hinunter gehen."

"Der Klassenfreak?", Anna klang ernst, "Wieso, was macht er? Stinkt er? Bringt er tote Tiere mit in die Schule?"
Dean musste lachen, schüttelte dann den Kopf und schloss die Augen, "Nein, um Himmels Willen, so schlimm ist es dann auch wieder nicht. Ich meine, ich kann mich nicht beklagen, ich konnte jahrelang bei meinen Freunden sitzen. Aber der Kerl ist einfach seltsam. Weißt du was ich meine? Jeder kennt doch ein paar Leute, die einfach seltsam sind. Irgendwie sozial völlig hilflos. Und es ist irgendwie unangenehm bei solchen Leuten zu sein. Erst recht jeden Tag mehrere Stunden."
Anna schwieg kurz, Dean fragte sich schon, ob er etwas Falsches gesagt haben könnte.
"Ja, ich denke ich verstehe was du meinst, du hast Recht. Solche Leute sind unangenehm für die anderen", stimmte er ihm zu und Dean schloss fast schon etwas erleichtert erneut die Augen. "Und wie war dein Tag so?", wechselte er das Thema, in der Hoffnung, das Gespräch auf andere Bahnen zu lenken, die vielleicht etwas angenehmer waren.

"In Ordnung", kam die knappe Antwort, nicht mehr und nicht weniger. Dean seufzte und verdrehte die Augen, froh, dass Anna das nicht sehen konnte. "Muss man dir denn alles aus der Nase ziehen?", er grinste und schüttelte den Kopf über die Reserviertheit des anderen, "Ich habe dir von meinem Tag erzählt, da ist es nur fair, dass ich auch von deinem höre."
Nicht, dass Dean da wirklich einen Anspruch hätte, aber es interessierte ihn, also war es durchaus einen Versuch wert. Und tatsächlich schien Anna nachzugeben, denn nach nur wenigen Sekunden begann er wieder zu sprechen.
"Es ist alles weitestgehend wie immer", Dean meinte eine gewisse Anspannung aus seiner Stimme zu hören, aber es war möglich, dass er sich das nur einbildete, "Die Schule ist langweilig, mein Vater aggressiv und ich sitze seit ich nach Hause gekommen bin am Laptop anstatt meine Schularbeiten zu erledigen", Anna lachte humorlos und hätte er jetzt neben ihm gestanden, hätte Dean ihn am liebsten aufgemuntert. Nicht, dass das was er schilderte außergewöhnlich schien, in Annas Erzählung erkannte Dean durchaus auch Elemente seines eigenen Alltags wieder, dennoch passte es ihm nicht recht, einfach hier auf dem Bett zu sitzen während Anna schlecht gelaunt war. Aber gut, so war das nun mal.

"Ich habe dir eine Anfrage für eine Quest gesendet", wechselte der andere Junge das Thema, was die unangenehme Stille aufhob. "Klar, ich nehme schnell an und dann können wir los", Dean war froh, wieder etwas zu haben, wobei er mitreden konnte und folgte ohne zu zögern Annas rothaarigem Charakter an den entsprechenden Ort in der weitläufigen Spielwelt.

Erst als sie bereits mitten im Kampf gegen sechs Demons waren und Dean sich eine kurze Pause gönnte um seinen Charakter zu regenerieren fiel ihm wirklich auf, dass Anna ihm eigentlich gar nichts über seinen Tag verraten hatte. Er ärgerte sich über sich selbst, dass er sich so leicht vom Thema hatte abbringen lassen, aber andererseits, wer war er um andere Leute zu zwingen, ihm private Details anzuvertrauen? Kaum ging es seinem Charakter wieder einigermaßen gut, zumindest so gut, dass er nicht mehr in direkter Lebensgefahr schwebte, unterstützte er Anna wieder, auch wenn dieser seine Hilfe vermutlich nicht brauchte und Dean, beziehungsweise John, eher aus dem Hintergrund agierte. Schließlich half es niemandem, wenn er draufging.

Die Zeit verging schnell, sie gingen nach dieser noch auf zwei weitere, einfacherer Quests, Dean und Anna wechselten zwar durchaus einige Worte, jedoch hauptsächlich den Kampf und ihre Strategie betreffend, nicht ihr privates Leben.
Zumindest so lange, bis der dritte Kampf beendet war und Anna nach kurzem Schweigen das Wort ergriff. "Es tut mir leid, dass ich vorhin so kurz angebunden war", entschuldigte er sich, "Es war nur einfach nicht viel los heute. Nichts Besonderes zumindest. Tut mir leid, ich fürchte mein Leben ist einfach nicht besonders aufregend."
"Schon gut", beschwichtigte Dean, "Ich bin deswegen auf keinen Fall verärgert oder so, mach dir keine Gedanken", er grinste, froh, dass das unangenehme, auf das nötigste beschränkte Arbeitsverhalten von zuvor vorbei war, "Wäre ich nicht so schlecht gelaunt gewesen, hätte ich mich vermutlich auch nicht wirklich über meinen Tag beschwert. Normalerweise gibt es ja auch bei mir nicht sonderlich viel Weltbewegendes wovon ich erzählen könnte."
Er lachte leise und beugte sich vor, als er meinte, etwas gehört zu haben. "Sekunde, ich bin gleich wieder da", informierte er Anna und nahm das Headset ab.
Kaum hatte er die Tür geöffnet, lief auch schon Sammy an ihm vorbei. "Mom hat schon drei Mal gerufen", informierte er Dean und kam vor dessen Tür schlitternd zum Stehen, "Sag deinem Online-Freund besser mal, dass du gehen musst, sonst wird sie noch wütend."

Dean rollte genervt die Augen, dann schloss er die Tür hinter sich und ging wieder zum Bett, setzte das Headset betont langsam auf, auch wenn gerade keiner zusah, und schloss schweren Herzens das Fenster in dem er "Supernatural" geöffnet hatte.
"Ich muss los, essen", informierte er Anna, der geduldig gewartet hatte und immer noch in der Leitung war. "Alles klar, bis morgen dann", kam es durch sein Headset und Dean nickte, "Bis morgen." Er zögerte noch einmal kurz, dann legte er auf, schmiss das Headset auf seinem Schreibtisch und fuhr den Laptop herunter.
Schließlich hatte er gerade wirklich keine Lust, den Ärger seiner Mutter auf sich zu ziehen indem er zu spät zum Essen erschein.


All Of You - A Destiel High School Story (Deutsch)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt