4.Kapitel

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  „No more half measures"

Draußen war es wirklich nicht gerade warm, weshalb ich mich noch einmal selbst feierte, meine Winterjacke angezogen zu haben. So ging ich auch der Peinlichkeit aus dem Weg, von Felix gefragt zu werden, ob mir kalt war. Womöglich bot er mir dann noch seine Jacke an und ganz ehrlich, das wäre mir zu... naja, was es mir wäre, war wohl klar. Es schien mir ein bisschen so, als würde meine Ablehnung gegenüber Felix immer größer werden. Früher hingen wir andauernd aufeinander und ich hatte keine Probleme damit, jetzt hielt ich schon beinahe sicherheitshalber einen Meter Sicherheitsabstand, damit ich nicht in die peinliche Situation geraten konnte, dass wir irgendwie... aneinander gerieten.
Womöglich war das eine unnötige Vorsichtsmaßnahme, ich hielt es für notwendig. Zwar war es nicht mein Körper, der mir diese Ablehnung einredete, sondern mein Kopf, doch ich verließ mich jetzt einfach mal auf meinen Verstand. Wahrscheinlich eine der nicht so schlauen Entscheidungen, doch es war mir egal.

Eine ganze Zeit lang fuhren wir einfach nur durch den Park. Die Sonne kam nicht durch die Äste der kahlen Bäume bzw. die Wolken, die sich doch noch zugezogen hatten und der Wind blies einem so penetrant ins Gesicht, dass insgesamt ein wunderschönes und traumhaftes Ambiente entstand. Nicht. Schon allein das unwohle Gefühl in meiner Magengegend verhinderte, dass ich diese Situation auch nur ansatzweise genießen konnte. Die ganze Zeit erwartete ich irgendetwas. Wartete darauf, dass diese ganze Aktion hier sich veränderte. Denn ganz im Ernst: Das alles hier fühlte sich kein Stück an wie Beziehung sondern noch immer wie Freundschaft. Und das seltsamste daran war, dass ich der einzige hier zu sein schien, dem das auffiel und dem dabei irgendwie unwohl war. Im Ernst, was war das, was da lief? Ich hatte Felix eine Chance gegeben, mich von einer Beziehung zu überzeugen, nicht um mir zu beweisen, dass wir Freunde waren.

Immerhin war er der mit den Gefühlen und ich der, der sich schon bis hierher durch den Tag gequält hatte. Denn mal ehrlich, was sollte das hier werden? Ich merkte, wie ich langsam aber sicher nicht nur gereizt war, wegen der dauerhaften Erwartung, sondern auch noch das mir gut bekannte Gefühl der Wut oder eher des Ärgers in mir hinaufkroch. Es kotzte mich echt schon fast an, dass ich so gar keinen Plan hatte, was hier vorging, was in Felix vorging. Ich wollte wissen, was er vorhatte und wann der Teil kam, ab dem es mit der Beziehung losging, damit ich mich darauf vorbereiten und eventuell spontan Reißaus nehmen konnte.
Aber ich würde doch nicht weglaufen. Das wäre... eines Superrewis nicht würdig und auch wenn ich nicht durchgehend Superrewi war, fand ich doch, dass meine ganze Aktion und so ziemlich nah an die Selbstlosigkeit eines Superhelden heran reichte. Und diese Vorstellung gefiel mir irgendwie. Ich wollte nicht irgendwer sein. Wollte kein Antiheld sein und stattdessen für mehr als meine zweite Persönlichkeit ein Held sein. Und bei wem konnte ich da besser anfangen, als bei Felix?

Nach ein paar weiteren Minuten stoppten wir an einem strandartigen Ufer (ja, so etwas gab es auch am Rhein!) und ich folgte Felix, der in Richtung Wasser schlenderte, nach kurzem Zögern. Irgendwie war diese Stille zwischen uns merkwürdig. Schon den ganzen Tag waren unsere Gespräche quasi ausgeblieben und ich fragte mich, ob Felix mir damit etwas zeigen wollte. Vielleicht, dass man in einer Beziehung weniger Worte bräuchte als in einer Freundschaft? Entsetzt schüttelte ich den Kopf. Nein, das würde kaum Sinn machen. Vor allem weil ich es eigentlich nicht so cool fand, nicht miteinander zu sprechen und Felix wusste das ganz genau. Also war es vielleicht etwas Anderes? Möglicherweise plante er den Beginn der „Beziehungszeit"? Aber wieso sollte er das jetzt schon den ganzen Tag machen? So viele Fragen schwirrten mir durch den Kopf und ich ärgerte mich immer weiter darüber, keine einzige beantworten zu können. Außer ich fragte Felix aber das klang für mich nicht wie das Gelbe vom Ei.

Ungefähr zwei Meter vom Ufer entfernt blieb er stehen, ließ den Blick aber auf das Wasser gerichtet und drehte sich nicht um. Ich selbst haderte, ob ich an der Stelle, an der ich stehen geblieben war, als Felix angehalten hatte, bleiben oder noch den einen Meter nach vorn neben ihn gehen sollte. Letzten Endes stellte ich mich, natürlich mit Abstand, neben ihn, weil ich mii nicht vorstellen konnte, dass Superrewi sich das nicht trauen würde. Eigentlich war das alles eh nur heiße Luft, was ich hier tat, was ich dachte. Vollkommen unnötig. No risk, no fun – das war meine Devise, zumindest nahm ich mir vor, dass sie das ab jetzt sein sollte. Wie gesagt, wer wäre ich denn bitte, wenn ich wegliefe?
„Das Wetter ist ziemlich schön für Februar", stellte Felix im Small Talk Tonfall fest und riss mich so aus meinen ewigen Gedankengängen.

„Ne, finde ich nicht", entgegnete ich (vielleicht ein bisschen unempathisch) und Felix drehte sich mit einer vor Verwunderung hochgezogenen Augenbraue zu mir, „Die Sonne ist irgendwie verschwunden und sonderlich warm ist es jetzt auch nicht. Eigentlich fühlt es sich sogar ungefähr so angenehm an, wie ich mir Sibirien im tiefsten Winter vorstelle." Ich wusste nicht, was das Schicksal heute gegen mich hatte, doch kaum war ich damit fertig, den Pessimisten raushängen zu lassen, brach die Wolkendecke auf und ließ die Sonne warme Strahlen auf unsere Haut werden. Echt jetzt? Gefrustet knirschte ich mit den Zähnen. Das lief jetzt echt nicht so, wie ich es gerne hätte.
„Ich finde es wunderschön", murmelte Felix und ein leichtes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, als er das Glitzern der Sonne auf der Wasseroberfläche beobachtete.

Ich persönlich konnte mich da jetzt nicht so wirklich drin verlieren, stattdessen verstärkten sich alle negativen Gefühle nur noch mehr, weshalb ich nicht verhindern konnte, dass es einfach aus mir herausbrach.
„Wollen wir uns jetzt noch knutschend in den Armen liegen, weil Pärchen das jetzt bestimmt so machen?", fragte ich schnippisch, „Aber stimmt! Irgendwie ist das alles hier so sehr Freundschaft, da würde ich niemals auf die Idee kommen, dass du auf mehr aus bist!" ich hörte den Frust, den Ärger, wirklich alles aus meiner Stimme heraus und hoffte einfach mal, dass Felix nicht merkte, wie aufgewühlt ich war. Zum Glück schien er ziemlich überrascht über meinen Ausbruch und schaute mich mit großen Augen und minimal geteilten Lippen an.
„...Was?", Er schien nicht wirklich zu wissen, was er darauf antworten sollte. Vielleicht, weil er genauso überrumpelt davon war, was ich gerade von mir gegeben hatte, wie ich selbst.

Hatte ich nicht eigentlich nett sein wollen? Irgendwie selbstlos? Und vor allem hatte ich Felix eigentlich nicht die Gedanken, die ich seit dem Aufstehen nicht mehr loswurde, auf dem Silbertablett servieren wollen. Doch jetzt konnte ich unmöglich klein bei geben und sagen, dass es mir leid tat oder so. Ganz egal, wie verletzt Felix gerade aussah und wie sehr das Auffanggefühl gegen meinen Kopf anrückte und versuchte, meine Arme dazu zu bewegen, Felix in den Arm zu nehmen. Klein bei geben konnte ich nicht, also tat ich das Gegenteil.
„Ich habe dir doch gesagt, dass du einen Tag hast, um mich von einer Beziehung zu überzeugen. Aber was ist das hier bitte? Das wirkt alles verdächtig wie eine Freundschaft auf mein und ich frage mich ganz ehrlich, was da in dir vorgeht. Ob du gestern nur irgendwas gespielt hast oder ich einfach nur zu blöd bin, um zu sehen, was du hier zu meiner Überzeugung eingebaut hast. Im Ernst, klär mich mal bitte auf und erklär mir das Schema, nach dem du vorgehst. Denn ich blick's nicht."

Ich hatte erwartet, dass er sauer sein würde. Mich anschreien und dann mit seinem Longboard auf mich einprügeln würde. Doch stattdessen schaute er mich schon beinahe lächelnd aus klaren Augen an und wartete geduldig, bis ich zuende geredet hatte. Jede Unsicherheit von vorhin war wie weggewischt.
„Weißt du Rewi, ich habe kein wirkliches Schema. Gestern habe ich mir überlegt, was sich überhaupt ändern würde, wenn wir zusammen sind und irgendwie ist mir nichts eingefallen außer Küssen und so. Ganz einfach weil eine Beziehung unendlich ähnlich ist zu einer Freundschaft. Dass das alles hier auf dich wirkt wie eine Darstellung unserer Freundschaft, liegt ganz einfach daran, dass eine Beziehung fast genauso aussähe. Und weil ich dachte, du würdest auch gut auf Küssen und Sex verzichten können, habe ich das gelassen. Ich wollte nicht, dass du dich unwohl fühlst, aber ich weiß nicht, wenn ich mir das alles jetzt mal so anschaue wirkt es für mich eher so, als würdest du es eigentlich wollen. Und vielleicht willst du es nur nicht einsehen."

Was hatte er da gerade gesagt? Den Anfang konnte ich noch irgendwie nachvollziehen. Wenn ich so darüber nachdachte, fielen mir jetzt spontan auch keine Pärchenmerkmale außer Knutschen ein. Aber danach? Hatte er im Ernst gesagt, er habe auf mich Rücksicht genommen und wäre deshalb nicht in die Vollen gegangen? Was genau war bei ihm falsch gelaufen? Er musste ganz sicher nicht auf mich aufpassen! Abgesehen davon hörte sich der letzte Teil so weit hergeholt und ausgedacht an in meinen Ohren, dass ich beinahe nichts darauf gesagt hätte, doch das wäre dann eine stille Zustimmung gewesen und immerhin hatte Felix Unrecht. Aber sowas von Unrecht.

„Erstmal: Ich wünsche mir das alles nicht. Ich will das nicht. Aber ich habe dir diesen einen Tag gegeben, weil du mein bester Freund bist und ich dich nicht verletzen wollte. Genau aus diesem Grund ist es auch absolut unnötig, auf mich Rücksicht zu nehmen. Ich brauche deine Rücksicht nicht, ich brauche nichts von dir. Erst recht nicht deinen Schutz. Also verzeih mir, wenn ich davon ausgegangen war, dass du diesen einen Tag voll ausnutzen würdest. Mit allem Drum und Dran. Weißt du, das ist eine so halbe Sache! Genauso wie wenn du auf einen Urlaub sparst, irgendwo das ganze Geld findest aber dann nur die Hälfte mitnimmst, weil du denkst, dass da auch noch andere sind, die sich über Geld freuen. Das ist vielleicht rücksichtsvoll aber ansonsten vollkommen unverständlich!" Das Adrenalin pumpte durch meinen Körper, so sehr hatte ich mich in Rage geredet.

Felix' Mund war noch ein wenig weiter aufgeklappt und weil ich keine merkwürdige Antwort haben wollte, die irgendeinen Kommentar zu meinem Vergleich mit dem Urlaub beinhaltete, drehte ich mich demonstrativ weg und wollte mit einem „Also nutz' gefälligst diese Möglichkeit!" gehen, da hielt Felix mich am Arm fest. Erschrocken zuckte ich zusammen, das war heute gefühlt die erste Berührung (vermutlich nicht nur gefühlt) und vor allem kam sie ziemlich unerwartet.
„Keine halben Sachen mehr, hm?", fragte Felix leise und ich drehte mich von selbst zu ihm um, weil ich irgendwie doch gespannt war, was er jetzt zu sagen hatte. Sein Kopf war gesenkt, der Blick standhaft auf den Boden gerichtet. Wenn ich mich nicht täuschte, waren seine Wangen leicht gerötet, ob nun von der Kälte oder von der Aufregung. Eigentlich war es mir auch egal.

„Das heißt, du überlässt diesen Tag ganz mir?", fügte er noch hinzu und da war dieser Unterton in seiner Stimme, der in mir alle Alarmglocken schrillen ließ, doch ich konnte nicht weg, weil seine Hand noch immer meinen Arm festhielt. Miene Teufelchenstimme sagte mir, dass jetzt der Zeitpunkt wäre, um wegzulaufen und die sichere Weite zu suchen, doch ich wehrte mich gegen diesen Drang. Nichts, was Felix tat, wäre ein Grund für mich wegzulaufen. Pah, ich rannte doch nicht einfach so weg.
Auch nicht, als er langsam den Kopf hob, mich ernst anschaute und diesen Blick haltend näher kam. Immer näher, bis uns nur noch wenige Zentimeter trennten und seine Nähe mich schon beinahe einengte. Doch ich konnte nicht weg. Weil er mich festhielt und mein Stolz genau das gleiche mit meinem Körper tat. Superrewi rannte nicht weg, nichts konnte mir etwas anhaben, nicht einmal der schwindende Abstand zwischen Felix und mir. Obwohl, gerade der nicht. Denn so war ich selbstlos und stark und hielt das Versprechen, das ich Felix gestern gegeben hatte.

Dennoch konnte ich nicht verhindern, dass mein Hals sich zuschnürte, mir langsam der Sauerstoff knapp wurde, weil ich die Luft anhielt. Mein Herz pochte wie wild und in meinem Kopf schrie jede Gehirnzelle, die noch denken konnte „Weg von hier!". Doch zum gefühlt ersten Mal war mein Körper stärker als mein Kopf. Auch wenn mein Stolz da eine nicht gerade kleine Rolle spielte. Der Wille, vor Felix nicht klein da zu stehen war übermäßig, die Angst als Superrewi zu versagen setzte mich unter Druck. Mein ganzer Körper zitterte und ich krallte meine Hände in meine Hose und meine Jacke, das was mir gerade nahe war. Stockend ging mein Atem und ich hielt meinen Blick unverändert auf Felix geheftet. Nahm jede seiner Bewegungen wahr.
Plötzlich drehte er sich weg. Seine klammernde Hand ließ mich los, der Blick löste sich und ich merkte, wie ich automatisch tief durchatmete, als ich nicht mehr von seiner Gegenwart eingeklemmt wurde. Ich genoss meine wieder gewonnene Freiheit, spürte wie die Erleichterung durch meinen Körper fuhr – bis sie beim Klang von Felix' Stimme schlagartig gefror.

„Keine halben Sachen mehr." Die Worte hämmerten in meinem Kopf, als er sich schlagartig wieder zu mir drehte und seine Lippen hart auf meine krachen ließ. Mein Körper gefror im Schock, ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. In mir spielte alles verrückt, alle Seiten kämpften gegeneinander in einer Auseinandersetzung darüber, was ich jetzt am besten tat. Ihn wegstoßen, nichts tun. Erwidern? Nein. Ich wollte den Kuss nicht erwidern. Obwohl er seinen einen Arm besitzergreifend um meine Taille geschlungen und die Hand des anderen Arms meinen Kopf bei Felix hielt. Ich selbst tat nichts, ließ es einfach geschehen, denn Weglaufen war keine Option. Nur einige Momente gab Felix sich damit zufrieden, dann spürte ich seine Zunge, die gegen meine Lippen drückte, Einlass einforderte, doch ich gewährte ihn ihm nicht.
Ich wollte nicht und am liebsten hätte ich es gehabt, wenn Felix einfach aufgegeben hätte, doch er presste erbarmungslos seine Zungenspitze zwischen meine Lippen und zwang mich so, ihn einzulassen. Da war nichts wirklich Liebevolles in diesem Kuss, als er meine Zunge zu einem Gefecht herausforderte.

Und irgendwann konnte ich nicht mehr einfach nur nichts tun. Irgendwann brach der Widerstand in mir und mein Stolz setzte sich wieder durch. Es war schon unschön, von Felix in den Kuss gezwungen worden zu sein, doch es war erniedrigend, wenn er führte, dominierte, machte, was er wollte.
Barsch drängte ich ihn zurück, plünderte seinen Mund und krallte beide Hände in seine Haare. Langsam kehrte das Gefühl der Überlegenheit zurück und als ihm ein oder zwei Mal ein Keuchen entfuhr, ließ es mich besser fühlen, irgendwie stärker. Ich wurde nicht von Felix klein gemacht und wenn doch, dann ließ ich das nicht kampflos geschehen.

Ich wusste nicht, wie lange wir hier so standen. Irgendwann hatte Felix jeglichen Widerstand aufgegeben und ich hatte das Gefühl, etwas von meiner Energie verloren zu haben. Der Kuss wandelte sich von kämpferisch zu beinahe ruhig und wenn ich ehrlich war, ließ ich Felix immer mehr zu, gab mit jedem Moment etwas mehr nach. Er schmiegte sich an meinen Körper, suchte immer mehr meine Nähe und ich gestattete sie ihm. Irgendwie hatten sich vorübergehend alle meine Stimmchen im Kopf verabschiedet und ließen mich für diesen Moment allein. Sodass ich es sogar genoss, auf eine merkwürdige Weise.
Bis der Moment vorbei war und ich die Realität brühwarm auf mich herabprasselte.   

Just One Day #RewilzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt