„To live your life just one day by one"
Donnernde Schritte im Treppenhaus rissen mich aus der Starre, in die ich verfallen war, nachdem mir klar geworden war, dass Paluten gerade genauso geflüchtet war wie Felix zuvor. Und zwar, weil ich ihn ebenso vergrault hatte, irgendwie sogar beleidigt hatte und das war fast so schlimm, wie Felix zu sagen, dass seine Gefühle absolut keine Zukunft hatten. Dass er mit mir keine Zukunft hatte und dies das Ende war. Aber nur fast. Ganz einfach, weil ich mit Felix noch enger befreundet war – gewesen war. Das waren wir jetzt ja nicht mehr und der Gedanke schmerzte mich, weshalb ich die Augen schloss.
Jedoch nicht für lange, da sich die laute Person von eben aus dem Treppenhaus wieder bemerkbar machte. Mit lautem Poltern wurde die Tür geöffnet und wenige Momente später merkte ich, dass jemand im Raum war.
Ich konnte den Atem der Person hören und bekam dadurch eine leise Ahnung davon, wer da stand. Doch ich würde den Teufel tun und mich umdrehen, um nachzuschauen. Es war auf jeden Fall nicht Paluten, ich war mir ziemlich sicher, dass der nicht so schnell wieder auftauchen würde und er atmete anders. Das konnte eigentlich nur einer sein.
„Rewi, hat dir eigentlich schon einmal jemand gesagt, was für ein unglaublich dummer, hirnrissiger, behinderter und generell vollkommen hirnamputierter Spast du bist?", ertönte Dners sichtlich wütende Stimme nach ein paar weiteren Sekunden des Schweigens. Ich hatte es geahnt, doch das verhinderte nicht, dass ich ein wenig mehr in das Polster des Sofas sank. Hätte Paluten nicht lieber zu Simon gehen können? Der würde jetzt nicht so ausrasten wie Dner und wenn doch würde mir das nicht so viel ausmachen.
Eigentlich teilte ich meine Freunde nicht ein. Also es gab für mich nur Felix als meinen besten und irgendwie engsten Freund, aber es gab so viele andere noch, die ganz nah an dieser Position waren, weil ich ihnen auch vertraute und sie auch gute Freunde von mir waren. Deshalb gab es keine Schubladen mit „gute", „lala" und „beste" Freunde. Ich wog eigentlich eher immer ab, mit wem ich was machte oder etwas Bestimmtes erzählte.
Daher würde ich nicht direkt sagen, dass ich mit Dner oder Paluten besser befreundet war. Der Unterschied zwischen den beiden war ganz einfach, dass ich mich mit Paluten fast nie stritt, weil er ein wirklich friedlicher Mensch war und man sich mit ihm einfach nicht so leicht in die Haare kriegen konnte wie mit Dner. Denn Dner... wir stritten uns andauernd. Und leider konnte er das viel zu gut, weshalb ich mir meistens nach einem Streit vorkam wie ein Papier, das mal eben durch die Schreddermaschine geschickt wurde.
Nicht, dass ich Angst hätte vor Dner oder so, ich würde es eher Respekt nennen. Meine anderen Freunde respektierte ich natürlich auch, doch bei Dner war es eben diese Art Respekt, bei der man auf das Urteil vertraute und so. Man kannte das eben, diese Personen bei denen man glaubte, dass sie mit dem, was sie sagten Recht hatten. Meinem Helden – Ich gefiel das nicht unbedingt, weshalb ich auch manchmal einfach nur richtig sauer war auf Dner. Das Traurige war, dass Dner eigentlich gar nicht nach Außen so wirkte und ich immer das Gefühl hatte, der einzige zu sein, mit dem sich Dner so oft anlegte. Doch ich merkte schon, dass es jetzt wieder soweit war und stellte mich darauf ein, den Kopf möglichst zuzumachen. Damit er mir nicht irgendwelche Flausen in den Kopf setzen oder mich verwirren könnte. Denn ich durfte in dieser Auseinandersetzung um keinen Preis schwach werden, immerhin ging es hier um meine Ehre, darum, dass ich Recht gehabt und es eben nicht falsch gemacht hatte, wie es mir Paluten vorgeworfen hatte.
Ich wollte gar nicht wissen, woher Dner so schnell die Story kannte, vermutlich hatte Paluten heute den Tag mit ihm verbracht, weil er ja nicht zuhause gewesen war. Selbst wenn ich Paluten eigentlich nicht so wie einen Plaudertypen einschätzte, wahrscheinlich hatte er Dner gerade eine Kurzfassung geliefert und ich sah jetzt schon kommen, dass diese geprägt war mit persönlichen Gefühlen und Wahrnehmungen, die mich vollkommen als den Bösen darstellten und in das schlechteste Licht unter dieser Sonne stellten. Irgendwie sah ich jegliche Hoffnungen auf einen eventuell doch noch den Umständen entsprechend angenehmen Abenden den Bach runter gehen.
Doch ich straffte meine Schultern, stand auf und stellte mich Dner.
„Was willst du, Dner?", fragte ich betont gleichgültig, versuchend, ihm das Gefühl zu vermitteln, mir ginge hier gerade alles am Arsch vorbei und er könnte seine Sachen gleich packen und aufgeben. Wie zu erwarten klappte es nicht so ganz und ich ärgerte mich, dass ich in letzter Zeit praktisch überall scheiterte.
„Am liebsten würde ich dich verprügeln oder dir einfach nur eine reinschlagen dafür, dass du so ein unglaublich ignorantes Arschloch bist", entgegnete er kühl. Irgendwie schien er plötzlich ganz anders, so ruhig und besonnen. Als wüsste er die Situation vollkommen einzuschätzen. Scheinbar hatte er sich wieder einigermaßen im Griff und stand jetzt aufrecht am anderen Ende des Raumes. Genau dort, wo Paluten auch gestanden hatte, wo Felix auch her gelaufen war, als er die Wohnung verlassen hatte. Unwillkürlich zuckte ich bei der Erinnerung zusammen. Kurz flammte vor meinen Augen das Bild, wie Dner ebenfalls ging, weil ich mich verteidigt, das Richtige getan hatte, auf. Nur für ein paar Sekunden doch mir selbst war es schon zu viel. Warum waren sie mir nicht einfach alle egal? Dann würde ich nicht solchen Schwächen erliegen.
Ich schob alle Gedanken an Dner, der ging, beiseite und versuchte sie fern zu halten, indem ich mir immer wieder ins Gedächtnis rief, dass ein Dner nicht so leicht zu verscheuchen war.
„Warum bin ich denn der Arsch? Was hat dir Palle erzählt, huh? Dass ich Kinder schlage oder Felix aus der Wohnung geprügelt habe, weil ich unter Aggressionsproblemen leide und dringend mal eine Therapie bräuchte?" Zu meiner Verwunderung blieb Dner vollkommen ruhig. Es schien ihn kein Stück zu jucken, was ich ihm vorwarf, was ich ihm an den Kopf knallte segelte einfach an ihm vorbei. Er schaute mich einfach weiterhin eindringlich an, schon beinahe mitleidig. In mir brodelte wieder die Wut auf, wie oft hatte ich heute schon Mitleid wegschieben, von mir stoßen müssen, von meinen eigenen Freunden, die meinten, ich bräuchte ihre Hilfe oder sie müssten auf mich Rücksicht nehmen.
Lange sagte er nichts, schaute mich einfach nur weiterhin an und es wirkte schon beinahe ein wenig so, als würde er darauf warten, dass ich noch etwas sagte. Die Stille war unangenehm, drückte auf mich und ließ meine Schultern nach unten sinken. Meinen gegenüber schien es vollkommen kalt zu lassen, was hier für eine Spannung herrschte. Ich kämpfte und er stand einfach nur da und tat gar nichts. In mir spielten alle Gefühle verrückt und ich wusste nicht, wie lange ich sie noch unter Kontrolle halten konnte, bevor einfach alles aus mir herausbrach und ich sagte, was in mir vorging.
„Glaubst du ihm das? Glaubst du ihm diesen Mist, von wegen ich habe alles zerstört? Einfach so, obwohl du kein bisschen die Story kennst?" Meine Stimme klang so unendlich brüchig, dass ich mich schon dafür schämte. So sollte ich nicht klingen, doch ich konnte es nicht verhindern. Mein Körper war auf dem besten Weg, sich komplett meinem Kopf zu entziehen und das wollte ich verhindern. Doch ich wusste nicht, ob ich es schaffen würde.
Alle Muskeln in mir waren bis zum Zerbersten angespannt, gleichzeitig aber so schlaff, dass sie zuckten. Es schien mir, als würde ich langsam aber sicher die Kontrolle verlieren und je mehr meine Angst davor wuchs, desto mehr verstärkte sich das Zittern, das ich nur dadurch vor Felix verbergen konnte, indem ich die Finger ins Polster des Sofas krallte.
„Ich glaube nicht nur Paluten, ich habe einfach nur eine ziemlich genaue Vorstellung von dem, was sich da vermutlich heute abgespielt hat. Und was in dir vorgeht." Er wirkte so schrecklich... ruhig. Ich kannte das kaum von ihm, wenn wir stritten war er auch immer aufgebracht und das hier war doch ein Streit oder? Ich war vollkommen durcheinander, warum verhielt er sich so? Kam mit diesem auf irgendeine Weise verständnisvollen Gesichtsausdruck auf mich zu und setzte sich auf das Sofa schräg zu meinem?
Er war vollkommen ruhig und ich verlor die Kontrolle mit jeder Sekunde, in der diese Erkenntnis mehr in mein Bewusstsein tropfte. „Weißt du, ich glaube, dass du dich die ganze Zeit selbst belügst", begann er mit seiner so schrecklich besonnenen Stimme, „Nein, das habe ich ja schon gesagt, ich meine viel eher, dass du alles verdrängst. Alles was dich in irgendeiner Weise schwach wirken lässt. Auch wenn es einfach nur Gefühle sind. Was treibt dich an, vor etwas weg zu laufen, was dich eigentlich so stark machen könnte? Du redest dir so viel Mist ein, das stimmt doch alles gar nicht. Warum läufst du weg vor etwas, das du nicht verhindern kannst und was vor allem zu dir gehört? Es macht dich nicht besser, wenn du dir einredest stark zu sein. Es macht dich zu dem ignoranten Arschloch, das du gerade bist, das Felix und Paluten verjagt hat. Deine Gefühle machen dich erst zu dem Menschen, den wir mögen. Deine Macken sind das, weshalb wir uns alle mit dir angefreundet haben. Warum ich dich mag, obwohl wir so oft zoffen. Warum Paluten mit dir zusammen ziehen wollte."
Er machte eine kleine Pause, wie um das, was er gesagt hatte, auf sich wirken zu lassen. Ich selbst... wusste gar nicht mehr, was hier vorging, was in mir vorging. Ich schaffte es nicht einmal mehr einen ordentlichen Gedanken zu basteln, weshalb ich einfach nur stumm da saß und darauf wartete, dass Dner fortfuhr. „Weißt du, Rewi, wenn du diese nicht perfekte Seite von dir verdrängst und uns gegenüber stattdessen immer nur der Arsch bist, kannst du keine einzige Freundschaft halten. Denn niemand ist perfekt und will etwas mit jemandem zu tun haben, der perfekt ist. Perfekt ist langweilig, unsympathisch, eben diese Seite, die du glaubst an dir gefunden zu haben und die dich scheinbar zu einem besseren Menschen macht." Seine Worte wirkten auf mich wie... ich fand keinen Ausdruck dafür. Alles in mir spielte verrückt und ich schwankte zwischen Selbstzweifeln und dem Willen, Dner gehörig meine Meinung zu pfeifen und ihm zu sagen, wie wenig Ahnung er von mir hatte. Doch gerade bekam ich kein Wort heraus, da alle Körperfunktionen versagt hatten.
„Ist dir eigentlich aufgefallen, wie zerbrechlich du ohne Felix wirkst?", fragte Dner nach einer längeren Pause leise. Mein Magen drehte sich um. Nicht Felix ins Spiel bringen. Er konnte über mich herziehen, er konnte von Paluten und sich selbst erzählen, doch dass er Felix einbrachte zog einen Riss durch mein Inneres. Schon allein die Erwähnung seines Namens war wie ein Stoß in die Magengrube. Und der Zusammenhang, das, was er gesagt hatte – unaufhörlich begannen die Worte in meinem Kopf zu pochen, wollten mich nicht in Ruhe lassen, ließen mich tatsächlich zerbrechen.
Nicht nur meine Schultern sackten nach unten, mit meinem ganzen Oberkörper kippte ich nach vorn, auf meine Oberschenkel. Umklammerte meine Beine mit den Armen und vergrub das Gesicht an meinen Knien.
Was hatte ich getan? Was zum Teufel hatte ich getan?
Ich hatte meinen besten Freund von mir gestoßen, ich hatte meine Stütze aufgegeben. An Felix hatte ich mich immer lehnen können, er hatte mich aus meiner Einsamkeit geholt und aufrechterhalten. Und was hatte ich getan? Ich hatte ihn von mir gestoßen, dabei hatte er mir nur gezeigt, wie viel ich ihm bedeutete. Mit meiner Art hatte ich ihn vergrault, es war meine Schuld, sowas von meine Schuld und Felix hatte nur das este gewollte. Alles, was Dner gesagt hatte hallte immer wieder durch meinen Kopf, sickerte zu mir durch und ließ das zerbrechen, was noch ganz gewesen war. Was war denn dann die ganze Zeit mein Ziel gewesen? Ein Arsch zu sein und alle Leute zu verjagen, die mir etwas bedeuteten? Ich hatte mir eingeredet, Gefühle seien schlecht, würden mich schwach machen, dabei hielten sie mich oben. Dann hatte ich mit Felix meine Stütze von mir gestoßen. Und war jetzt allein, brach zusammen wie ein Kartenhaus bei einer kleinen Windböe und flog wie die trockenen Blätter im Herbst durch die Luft, ohne jeglichen Halt oder irgendeine Kontrolle.
Felix war der Ast gewesen, an den ich mich immer hatte klammern können, der mich gehalten hatte und ich hatte mich freiwillig gelöst. Ich war vollkommen bescheuert gewesen. Und diese Erkenntnis machte mich krank. Wieso hätte ich mich so sehr selbst belügen sollen? Verdammt, wie hatte ich mich so in mir selbst irren können, besaß ich überhaupt einen Funken Verstand? Wahrscheinlich war ich genau der, den man am allerwenigsten einen Helden nennen würde, ganz einfach, weil ich nicht fähig war, an etwas Anderes zu denken, als mein eigenes Wohl.
Ich hatte mir immer eingeredet, alles für andere zu tun. Selbstlos zu sein. Doch darüber hinaus hatte ich nicht gemerkt, wie sehr ich eigentlich die ganze Zeit nur für mich gehandelt hatte. Hatte nicht gemerkt, wie sehr ich Felix eigentlich brauchte, wie sehr mein Körper ihn brauchte. Als besten Freund, als Stütze, als die Person, die mir meine Einsamkeit besser nehmen konnte als irgendwer sonst.
Hatte ich es überhaupt verdient, dass es mir anders erging als jetzt? Hatte ich es verdient, dass meine Freunde sich nicht abwandten und zu mir hielten, obwohl ich all diese schlechten Eigenschaften hatte? Natürlich sagte Dner, dass sie mich mochten eben wegen meiner Macken. Doch... was wenn es meine größte Macke war, die anderen verhindern zu wollen und so eben zu dem zu werden, von dem ich immer dachte, es wäre Superrewi?
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Just One Day #Rewilz
FanfictionTypisch Rewilz halt ne ? ^^ Quelle und alles weitere im Prolog ;)