7.Kapitel

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  „You told me I will lead the life I love"

„Ich habe mich in dich verliebt."
Wirkte das nicht eigentlich wie ein Satz, der wahre Freudenstürme auslöste und Menschen dazu verleitete ihre von der Werbung und gephotoshoppten Schönheitsbildern manipulierte Ansicht über Normalität und Benehmen hinter sich zu lassen und sich kreischend und knutschend in die Arme zu fallen, sodass die ganze Welt heil und rosa wirkte? Zumindest hatte ich mir das immer so vorgestellt. Nicht bei mir selbst, ich schätzte mich einfach nicht als den Typen ein, der jemandem erst diese Worte ins Gesicht knallte oder daraufhin die gegenüber stehende Person ansprang und in Grund und Boden knutschte vor lauter überquellender Gefühle.
Generell hatte ich aber auch nie erwartet, dass ich jemals in so eine Situation geraten würde. Ich fand, dass Worte eigentlich ein bisschen überflüssig waren. Natürlich unterhielt ich mich gerne mit Menschen und döselte nicht gerne alleine vor mich hin, doch wenn es um Gefühle ging...

Von mir würde wahrscheinlich niemals jemand etwas wie diesen Satz von mir zu hören bekommen. Taten sprachen viel besser als Worte, die schon so ausgelutscht waren, dass es den meisten Menschen gar nicht mehr auffiel, wie oft benutzt und alt sie eigentlich waren, statt romantisch. Pff, Romantik, die schaffte man doch nicht durch solche läppischen Worte, die sich eigentlich jeder Penner aus den Fingern saugen könnte. Sagen konnte man was man wollte, es war immer etwas ganz Anderes, ob man es auch so meinte.
Auch wenn ich gerade riskierte einfach nur richtig übertrieben philosophisch und Möchtegern lebenserfahren zu wirken, in meinem Kopf schwirrten nun einmal all die Möglichkeiten, die noch in Frage gekommen wären umher doch keine von ihnen war plausibel für mich. Alle waren unehrlich. Da hätte ich nicht gemeint, was ich sagte.

Es war vermutlich nicht immer gut, ehrlich und vollkommen offen zu Menschen zu sein. Und einfach schon gar nicht. Wer riskierte schon gerne, jemanden zu verletzen, den er mochte? Doch das machte ich dann lieber, als dieser Person etwas vor zu lügen. Wie allseits bekannt war, hatten Lügen kurze Beine und wenn dann rauskam, dass man die ganze Zeit nur eine Rolle gespielt hatte, war die Wut im Nachhinein noch größer.
Ja, ich war mir sogar ziemlich sicher, dass ich mit dieser Art noch oft anecken würde und dass es wohl nicht immer gut enden würde, selbst wenn ich es hoffte. Das beste Beispiel hatte sich gerade noch abgespielt.

Und er war gegangen.
Einfach weg. Und ich spürte jetzt schon die unglaubliche Einsamkeit, die sich in mir ausbreitete. Wenn ich vorhin, als Felix noch neben mir gesessen hatte, gedacht hatte, ich wäre allein, einsam, dann hatte ich echt keine Ahnung. Dann hatte ich wirklich keine Ahnung davon, was es bedeutete, wenn der beste Freund ging. Wahrscheinlich für immer und das auch noch, weil ich ihn verjagt hatte. Obwohl, eigentlich war er ja gar nicht einfach so gegangen. Eigentlich hatte er mir noch etwas mit auf den Weg gegeben, aber ich verdrängte es bereits, weil es... schmerzte. „Dann leb' du dein Leben und werd' glücklich. Mach was du willst." Immer leiser hallten seine Worte in meinem Kopf wieder. Diese Worte, die seinen ganzen Frust beschrieben aber ihn in gewisser Weise stark wirken ließen.

Es waren noch immer zwei verschiedene Paar Schuhe, die Felix und ich anhatten. Natürlich hatte ich mir überlegen müssen, wie ich es sagte, wie ich ihn am wenigsten verletzte, doch dass Felix es geschafft hatte, mich gehen zu lassen... seine Gefühle hinten an zu stellen und zu gehen ohne ein bettelndes Wirt. Ich konnte mir vorstellen, dass es eine ziemlich schwere Entscheidung gewesen war, immerhin war da noch „Ich habe mich in dich verliebt" und die Tatsache, dass wir jetzt schon so lange beste Freunde gewesen waren. So etwas warf man nicht einfach weg, doch er ließ mich ohne viel drum herum gehen.

In gewisser Weise, als ich so darüber nachdachte, erschien es mir aber auch als feige. Warum hatte er nicht um unsere Freundschaft gekämpft, mir widersprochen und gesagt, dass er mich nicht verlieren wollte? So wie ich ihn nicht verlieren wollte aber es trotzdem hatte? Hatte ihm unsere Freundschaft so gar nichts bedeutet? Er kämpfte nicht darum, versuchte nicht, mich davon abzuhalten, ihn weg zu schicken. Noch dazu kam „Ich habe mich in dich verliebt", diese Worte, die schon beinahe der Anfang vom Ende gewesen waren. Ich konnte mir vorstellen, dass sie eigentlich wunderschön klangen. Bestimmt konnten sie auch Menschen glücklich machen, doch wieso hatte Felix nicht gewusst, dass es bei uns beiden nichts bringen würde? Ich fragte mich, wie er auf die Idee gekommen war, mir das zu sagen. Hatte er denn keinen Sinn dafür, sich in mich hinein zu versetzen? Er hätte doch sicher auch keine Freudensprünge gemacht in meiner Situation und wäre ich er gewesen, ich hätte es einfach für mich behalten.

Natürlich sagten immer alle, dass man es Menschen sagen sollte, dass sie geliebt wurden, doch mal im Ernst, wie von ihnen taten es wirklich? Bestimmt nicht einmal die Hälfte, denn in manchen Situationen oder Konstellationen war es eben nicht angebracht und vor allem nichts, was man einfach so machte. Wenn du deinem besten Freund gestandst, dass du in ihn verliebt warst, dann konnte man eben nicht mehr so weiter machen, wie vorher und genau deshalb zählte ich Felix und meine Situation in die Art von Konstellationen in denen man seine Gefühle herunterschluckte und verdrängte in der Hoffnung, dass sie verschwanden. Außer natürlich man war etwas beschränkt, dachte also nicht weit genug, um zu ahnen, dass die Freundschaft daran zerbrach oder sie bedeutete einem einfach nichts mehr. Ich hoffte einfach mal, dass Felix das nicht getan hatte, weil er mich hatte loswerden wollen.
Doch wenn ich ehrlich war zu mir selbst wusste ich, dass Felix unsere Freundschaft wohl etwas bedeutet hatte. Dass ich ihm etwas bedeutet hatte, denn sonst wäre er nicht so emotional geworden.

Er war jetzt vielleicht nicht so ein emotionaler Klotz wie ich, doch war er auch keine Heulsuse oder Memme, weshalb ich ihm schon abkaufte, dass er wirklich betroffen war. Dennoch blieb die Frage, warum er nicht gekämpft hatte. Er hätte ja immerhin so tun können, als hätten sich seine Gefühle über diesen Tag voller sensibler Aktionen seitens Rewi in Luft aufgelöst. Ob ich ihm geglaubt hätte wäre dann die Frage, doch da wäre wenigstens der gute Wille gewesen und... uhm, ich merkte, wie ich Felix schon wieder die Schuld in die Schuhe schob. Aber in gewisser Weise trug er sie ja auch, oder?
Vielleicht hatte ich mich nicht von meiner besten Seite gezeigt, doch das bedeutete ja noch lange nicht, dass es meine Schuld war. Denn ich trug keine Schuld, ich hatte nichts falsch gemacht. Das war Felix gewesen mit „Ich habe mich in dich verliebt" und seiner ganzen Aktion mit der Rücksicht.

Am liebsten würde ich gerade einfach wegrennen, mir mein Longboard schnappen und den Kopf vollkommen frei bekommen. Dieses hallen aus meinem Kopf bekommen, an nichts denken und diese Leere genießen. Aber da war Felix mit seiner mir so unendlich vertrauten Stimme, der mir sagte, ich würde mein Leben machen, auch ohne ihn. So als sei es ihm beinahe egal. Da war „Ich habe mich in dich verliebt" und das Auffanggefühl.
Und viel stärker als alle anderen war da diese Wand in mir, die mir verbot zu gehen, wegzulaufen. Helden liefen nicht weg, erst recht nicht vor ihren eigenen Gefühlen. Auch wenn das gar nicht mal unbedingt stimmte, wahrscheinlich liefen sie vor genau eben diesen weg und das war ihr Fehler. Ich wollte nicht so voller Fehler sein, ich wollte alles richtig machen und das mit Felix war doch richtig gewesen. Oder?

Zum ersten Mal, seit Felix die Wohnung verlassen hatte, bewegte ich mich. Aber auch nur, um mich auf die Couch zu legen und mit einer Hand unter dem Kopf an die Decke zu starren. Ich versuchte weiterhin, meinen Kopf frei zu kriegen, ich wollte endlich meine Ruhe haben und nicht dauerhaft Angst haben müssen, dass ich irgendetwas vollkommen falsch gemacht hatte. Doch das unwohle Gefühl wollte mich einfach nicht verlassen und wurde durch meine Wut über diese Tatsache nur noch verstärkt. Vielleicht sollte ich einfach den Kopf in den Sand stecken, auch wenn das ungefähr das Gleiche wäre, wie wegzulaufen, weshalb ich mich dagegen entschied. Ganz abgesehen davon, dass Suizid keine Möglichkeit war.

Fernsehen erschien mir unglaublich attraktiv. Noch nie hatte ich etwas Unterhaltsameres erlebt als den Fernseher. Er lenkte mich ab, sagte nichts, als ich mir eine ganze Tüte Chips reinzog und dabei immer mehr zu verwahrlosen drohte. Und das innerhalb von ein paar Stunden! Als Paluten nach Hause kam, bekam er jedenfalls einen Nervenzusammenbruch. Keine Ahnung warum, schließlich lungerte ich öfters Mal wie so ein Hartz IV Empfänger aus Fack ju Göhte im Wohnzimmer rum und müllte alles zu.
„Was machst du hier bitte?", fragte er geradezu entsetzt und ich drehte mich schwerfällig zu ihm um. Mein ganzer Körper erschien mir so ausgelaugt.
„Was hast du denn erwartet, was ich hier mache?", fragte ich zurück und wendete mich dann wieder dem Fernseher zu. Diese so genannten Reality Shows spiegelten echt mein Leben gerade wieder. Vielleicht sollte ich RTL einladen, ich würde die Einschaltquoten sprengen, schon allein, weil es hier um einen Youtuber ging. Gut, ich übertrieb.

Mein Leben war lange nicht so wie in einer dieser schrecklich billigen Reality Shows, die sich manche Leute anschauten, um sich beduseln zu lassen und nebenbei besser zu fühlen, weil die deutlich unterbelichteten Leute in diesen Shows einem das Gefühl vermittelten intelligent zu sein. Ich konnte mir vorstellen, dass das für manche ein ungewohntes Gefühl war.
„Ich habe vor allem erwartet, dass Felix auch noch hier ist. Dass du vorm Fernseher hängst wundert mich nicht, aber wo hast du deinen besten Freund gelassen?" Seine Stimme war schneidend und irgendwie war das ungewohnt. Palle war doch sonst immer nett! Grummelnd lehnte ich mich kopfüber nach hinten über die Sofalehne, um ihn anschauen zu können.
„Ex bester Freund. Alles zuende. Finito. Und jetzt lass mich, ich muss einer Freundschaft hinterher trauern." Demonstrativ richtete ich mich wieder auf.

„Hinterher trauern? Du hast darum zu kämpfen, immerhin hast du es versaut!", rief Paluten schon beinahe und ich traute meinen Ohren nicht ganz, als ich das hörte. Einerseits wurde Paluten nie laut, andererseits hatte er mir gerade vorgeworfen, alles kaputt gemacht zu haben und das ließ ich ganz sicher nicht auf mir sitzen.
„Woah, halt du dich mal aus Sachen raus, von denen du nichts verstehst!", mahnte ich ihn mit erhobener Stimme, nachdem ich wütend aufgestanden war, „Woher willst du denn bitte wissen, dass ich es war? Felix hat es kaputt gemacht mit seinen Gefühlen und seiner mangelnden Weitsicht. Ich habe versucht es zu retten, aber er hat es nicht geschafft, diese Möglichkeit zu nutzen. Also hör auf mir Sachen vorzuwerfen, die überhaupt nicht stimmen."

Mein Gegenüber verdrehte die Augen und stemmte wütend die Hände in die Hüften. Irgendwie hatte er schon beinahe Ähnlichkeiten mit meiner Mutter bei einer unserer Auseinandersetzungen, doch die Situation war zu ernst, als dass ich darüber hätte lachen können. Es war nämlich gar nicht lustig, mit Palle zu streiten, wie ich feststellte.
„Ich weiß auf jeden Fall von deinem unglaublich unmoralischen Vorschlag, dich innerhalb eines Tages zu überzeugen. Und ich kenne dich gut genug, um zu ahnen, dass du eh nicht vor hattest, ihm irgendeine Chance zu geben. Also, wofür hast du das gemacht, huh? Dein krankes Ego, dein Selbstbewusstsein, das noch eine Schüppe oben drauf haben wollte, damit es irgendwo in den Himmel schießt? Man Rewi, du bist manchmal einfach nur so unglaublich egoistisch, dass ich dich am liebsten schlagen würde, aber im nächsten Moment wird mir wieder klar, dass du dich eigentlich nur die ganze Zeit selbst belügst und wer weiß warum? Um dich selbst besser zu fühlen? Um dich zu schützen? Ganz ehrlich, dann tust du mir schon wieder leid."

Seine Worte brachten mich zur Weißglut. Ich konnte quasi spüren, wie sich in mir alles aufbraute, meine Wut geradezu brodelte und ich ihm am liebsten sofort meine Meinung geigen würde, ohne mich irgendwie zurück zu halten, doch es war immer noch Paluten, der da vor mir stand und wenn ich daran dachte, dass ich heute schon Felix verloren hatte, hielt ich mich etwas zurück. Denn einen weiteren guten Freund wollte ich nicht verlieren. Paluten war immerhin mein Mitbewohner und bewahrte mich somit vor der endgültigen Einsamkeit. Dennoch wollte ich sein Mitleid nicht.
„Hörst du dir mal selbst zu? Eigentlich hast du doch absolut keine Ahnung davon, was in mir vorgeht. Also kümmer' dich gefälligst um deinen eigenen Kram, okay? Ich will dein Mitleid nicht, ich will deinen Rat nicht. Halt dich einfach aus meinem Leben raus."

Darauf antwortete er nicht, er drehte sich einfach nur um und verschwand durch die Tür. Fast wie Felix und ich spürte ein unwohles Gefühl in mir aufsteigen. Hoffentlich hatte ich ihn nicht auch noch vergrault.   

Just One Day #RewilzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt