10.Kapitel

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  Ich wollte kein Held für niemanden sein

Felix schien ziemlich überrascht. So als hätte er einiges erwartet, aber nicht das. Dass ich ihn anschreien, eine scheuern oder ihn einfach nur ein weiteres Mal verlassen würde, doch nicht, dass ich ihn um Vergebung und eine zweite Chance bitten würde. War das denn so abwegig? Ich knirschte mit den Zähnen, es war sehr deprimierend, dass Man mir scheinbar nicht zutraute, Fehler zugeben zu können. Allerdings wunderte es mich nicht, denn vor zwei Stunden hatte ich mir das selbst noch nicht zugetraut. Jetzt aber... ich fühlte mich so frei, irgendwie klar im Kopf. Ich hatte alle möglichen Barrieren in meinem Kopf eingerissen und tat einfach, was mein Gefühl mir sagte, was das Beste wäre. Nichts und niemand konnte mich aufhalten! Außer vielleicht ein Felix, der mir jetzt jeden Moment die Tür zuschlug und mir an den Kopf schmiss, dass ich der unausstehlichste Mensch der Welt war. Auch wenn es vielleicht stimmte und ich es vermutlich verdient hätte.

Ich war erleichtert, dass Felix nicht so reagierte, wie ich es mir gerade ausgemalt hatte. Was ich dann gemacht hätte, wollte ich gar nicht wissen, fest stand, dass dann nicht einmal Dner mich hätte aufmuntern können. Und der war normalerweise echt ein Meister in so etwas. Ich konnte seinen bohrenden Blick übrigens immer noch in meinem Rücken spüren, vermutlich starb er gerade vor sich hin, weil er unbedingt wissen wollte, was hier gerade passierte. Dabei würde ich es nicht einmal als spannend bezeichnen, weil Felix und ich seit meiner Bitte nicht über das einander anschauen hinaus gekommen waren. Ja, das war tatsächlich ein bisschen traurig, doch ich fand das Schweigen nicht unangenehm. Ich hatte gesagt, was ich sagen wollte, und jetzt wartete ich einfach darauf, was Felix dazu sagte. Das einzige, was unangenehm war, war die Ungewissheit, doch da stand Felix vor mir und er hatte mich noch nicht weggescheucht, das machte alles wieder wett.

Ich fühlte mich gut und das war in dieser Situation ein bisschen seltsam, doch es war so. Mein Körper war vollkommen ruhig, sogar mein Herz klopfte wieder normal und meine Hände hatten aufgehört zu zittern. Ich wusste nicht, ob es an Felix lag oder daran, dass ich mich endlich entschuldigt hatte, doch ich war mir sicher, dass ich mich an dieses Gefühl auf jeden Fall gewöhnen könnte. Es war angenehm, das durfte bleiben.
Und Felix sollte auch bleiben. Ich wollte ihn nicht verlieren, ihn nicht aus meinem Leben löschen oder mich aus seinem zurückziehen. Am liebsten würde ich ihn einfach 24/7 bei mir haben, auch wenn mir klar war, dass das wohl das Unrealistischste war, was passieren würde. Immerhin hatte jeder von uns noch sein eigenes Leben und ich ging davon aus, dass wir uns früher oder später so richtig nerven würden. Ja, sogar Felix und ich würden uns irgendwann so richtig auf den Geist gehen, doch zunächst einmal, musste zwischen uns wieder alles gut werden. So gut es nun eben ging.

Langsam schien es mir, als hätte Felix zu ende gedacht und müsste nur noch überlegen, wie er es formulierte. Wahrscheinlich war ich gerade in der Situation, in der ich sonst meine anderen Gesprächspartner zurückließ. Ich wusste nicht genau, wie lange ich immer zum Antworten brauchte, doch ich war mir sicher, dass es länger war als normal, weil ich einfach alles durchdachte. Konnte ich auch nichts für, war nun mal so.
Ich wurde schlagartig aus meinen Gedanken gerissen, als Felix Anstalten machte, zu antworten. Sofort stieg in mir doch wieder Aufregung auf, das ließ sich wohl kaum vermeiden, wenn man bedachte, in welcher Situation wir hier steckten.

„Weißt du, Rewi... ich denke nicht, dass dieser eine Tag irgendetwas bringen würde", antwortete Felix schließlich mit einem undefinierbaren Unterton in der Stimme. In diesem Moment interessierte mich aber auch nicht, was er zu bedeuten hatte, denn seine Worte – das war definitiv nicht die Antwort, die ich hatte haben wollen. Ich hatte mich doch entschuldigt, was hatte ich falsch gemacht? Haha, dein Ernst, Rewi?
Ich fragte mich wirklich, was ich falsch gemacht hatte? Wahrscheinlich alles, was man so falsch machen konnte. Ich hatte ihn von mir gestoßen, womöglich sehr stark verletzt und dann hoffte ich, alles mit einer Entschuldigung wieder hin zu biegen. Man musste bedenken, dass diese Entschuldigung das erste war, was ich nach ziemlich langer Zeit so wirklich richtig gemacht hatte. Und weil ich das jetzt endlich eingesehen hatte, musste ich um Felix kämpfen.

„Bitte, Felix! Du darfst jetzt nicht einfach nein sagen!", flehte ich. Es war mir egal, dass ich gerade das tat, was ich vorhin bei Dner noch so sehr abgelehnt hatte. Ich hatte mich nicht erniedrigen wollen und jetzt tat ich es ganz von selbst. Doch es war mir egal, denn es ging hier nicht um irgend wen sondern um Felix. „Überleg' es dir bitte nochmal. Ich werde es wieder gut machen. Alles was ich falsch gemacht habe. Ich will mich ja verbessern, ich habe gemerkt, wie viel ich versaut habe." Ganz ehrlich, ich erkannte mich selbst kaum wieder. So hatte ich mich noch nie erlebt, dass ich mich so in eine Sache reinkniete, dass ich einfach so meine Schwäche zugeben konnte, ohne mich überwinden zu müssen. Es musste an Felix liegen, anders konnte es nicht sein. Er machte mich nun einmal stark und genau deshalb durfte ich ihn nicht verlieren. So traurig es auch war, dass es mir erst so spät aufgefallen war.

Dafür nahm ich mir vor, jetzt umso mehr darum zu kämpfen, um ihn zu kämpfen, ganz einfach weil er es mir wert war. Nicht, weil Dner es mir geraten hatte, weil es irgendjemand anderes als richtig erschien, sondern ganz einfach, weil ich es selbst wollte.
„Rewi, lass mich doch mal ausreden!", ermahnte mich Felix und holte mich so aus meinen nach meinem Geschmack bereits viel zu schnulzigen Gedanken, „Ich wollte damit nur sagen, dass ich mir bestimmt nicht nochmal einen Tag antun werden, an dem einer von uns dem anderen etwas beweist. Davon habe ich genug." Er machte eine Pause, schien ein wenig zu überlegen, dann trat er beiseite, so als wolle er mir Platz machen. „Willst du nicht vielleicht lieber reinkommen? Drinnen können wir besser reden und da ist es auch gemütlicher als hier so zwischen Tür und Angel. Außerdem macht mir Dner gerade ein bisschen Angst."

Verwundert drehte ich mich zum Auto um und musste auch erst einmal ein paar Mal blinzeln, um mich zu versichern, dass es wirklich Dner war, der da praktisch an der Scheibe klebte und versuchte, so viel wie möglich von dem, was hier bei uns passierte, mitzubekommen. Eh ja, da konnte ich verstehen, wieso Felix reinwollte. Ich drehte mich also wieder zu meinem (Ex- ?) besten Freund und nickte ihm zu, bevor ich an ihm vorbei hinein ging und mir die Schuhe auszog. Ich ging einfach mal davon aus, dass Felix nicht den ganzen Dreck von draußen bei sich im Wohnzimmer haben wollte, selbst wenn es... nun ja, bei Leuten, mit denen man sich nicht so verstand oder so zog man sich ja nicht die Schuhe aus, weil es in gewisser Weise persönlich war... Ja, ich hörte auf, das verstand man wahrscheinlich sowieso nicht und ich machte mir mal wieder unnötige Gedanken.

Wir setzten uns auf die zwei Sofas, jeder auf sein eigenes natürlich, um den Abstand zu bewahren. Zwar hätte ich mich am liebsten direkt neben Felix gesetzt, doch ich befürchtete, dass er das noch nicht wollte und dann musste ich meine Bedürfnisse mal hinten anstellen.
„Also willst du mir keine zweite Chance geben?", brach ich schließlich die Stille, als wir schon eine Weile schweigend da gesessen und den Boden bzw. die Decke angestarrt hatten. Felix seufzte leise und ich fragte mich automatisch, ob ich ihn jetzt schon irgendwie nervte oder so. Himmel, ich musste aufhören so schnell an mir selbst zu zweifeln, das war ja nicht auszuhalten mit mir im Moment.

„Das habe ich doch gar nicht gesagt. Ich will nur nicht, dass wir anfangen, uns gegenseitig irgendetwas beweisen zu wollen. Wir versuchen schon genug, uns selbst etwas zu beweisen." Wo er Recht hatte, hatte er Recht. Und diese Worte passten genau auf mich, es war seltsam, unheimlich aber irgendwie... nahm es mir ein wenig die Hemmungen, die ich hatte, vollkommen ehrlich zu Felix zu sein, was den Grund für mein unausstehliches Verhalten betraf. Wenn er fragte, und das würde er ganz sicher, warum ich so gehandelt hatte, würde ich ihm die Wahrheit sagen. Musste ich, sonst würde diese ganze Sache mit dem Freundschaft wieder aufbauen gar keinen Sinn machen. Ich wollte dieses Mal alles richtig machen. Ehrlichkeit war da ein Teil von.
„Okay. Aber was soll ich sonst machen, um dir zu zeigen, dass ich es wirklich ernst meine und... naja, alles halt." Darauf antwortete er erst einmal nicht. Ich hoffte mal, dass es nicht daran lag, dass er sich etwas möglichst Fieses überlegte aber wenn ich ehrlich war, traute ich das Felix nicht so ganz zu.

Je länger er brauchte, desto unruhiger wurde ich. Mein rechtes Bein wippte aufgeregt auf und ab und ich war drauf und dran, mich auf meine Hände zu setzen, damit sie nicht mehr die ganze Zeit so juckten, weil sie irgendwas machen wollten.
„Ich will ja nicht, dass du dir ein Bein ausreist oder so", antwortete er, „Sag mir einfach, warum du so warst. Warum du dich so verhalten hast, warum es so lange gedauert hat, bis du deine Augen aufbekommen hast." Hatte ich nicht schon prophezeit, dass er danach fragen würde? Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass er das quasi als... Einsatz für eine zweite Chance nutzen würde. Aber ich hatte es ihm ja sowieso sagen wollen, dann spielten der Umstand und der Zeitpunkt eigentlich kaum eine Rolle. Also los ging es.

„Das hört sich jetzt alles ganz komisch an", begann ich, brach dann aber erst einmal ab, weil ich mich an die Szene erinnerte, in der ich es Dner gesagt hatte. Ihn hatte ich gebeten, es Felix nicht zu sagen und jetzt saß ich hier. Aber er hatte es ja eigentlich ganz gut aufgefasst, vielleicht sollte ich einfach noch einmal genau das Gleiche sagen? Es würde kaum einen Unterschied machen.
Also begann ich wie schon bei Dner zu sagen, dass alles damit anfing, dass ich perfekt sein wollte, über die Superhelden bis hin zu der Tatsache, dass ich gedacht hatte, Felix würde mich schwach machen und davon abhalten, mein Ziel zu erreichen.

Die ganze Zeit wusste ich nicht, wo ich hinschauen sollte. In Felix' Gesicht konnte ich nicht gucken, das wäre zu merkwürdig gewesen, außerdem wollte ich den Ausdruck nicht sehen und erst recht nicht die ganzen Gefühle, die sich in seinen Augen widerspiegeln würden. Stattdessen klammerte ich mich mit dem Blick am Wohnzimmer Tischbein fest und erzählte alles, was mir gerade so einfiel und sich nicht komplett bescheuert anhörte.
„Und... natürlich denkt man sich immer, das jeder einen so hinnehmen sollte, wie man ist und jeder auf seine Weise perfekt ist, aber weißt du... ich wollte nun mal kein Held für niemanden sein. Ich wollte etwas bedeuten, nicht nur irgendwer sein, der in der Masse untergeht und darüber hinaus habe ich dann eben unglaublich viele wichtige Werte vergessen."

Es war wirklich eigenartig, jetzt wirklich mit Felix darüber zu sprechen. Die ganze Zeit hatte ich mir alle Mühe gegeben, es vor ihm geheim zu halten und jetzt plauderte ich es einfach aus. War das jetzt ein Zeichen der Besserung oder nicht? Ich brauchte grad Mal Dr. Dner und seine schlauen Ratschläge. Ich musste ihm später unbedingt dafür danken, dass er mich bis hierher gebracht hatte. Alleine säße ich immer noch zuhause und würde die ganze Welt verdammen. Aber wie gesagt, das musste bis später warten.
„Und woher kam dann der Sinneswandel?", fragte Felix, nachdem ich vergessen hatte weiter zu sprechen und einfach nur noch äußerst intelligent in den Raum hinein gestarrt und nachgedacht hatte. Ich war ja voll bei der Sache, das merkte sicher auch Felix, denn ich konnte seinen prüfenden Blick auf mir spüren, doch ich wagte es dennoch nicht, ihn anzuschauen. Jetzt noch nicht.

„Ich habe Paluten ein wenig... sagen wir, vor den Kopf gestoßen. Nett ausgedrückt. Daraufhin kam Dner, hat mich zusammengefaltet, das ich nur noch so klein mit Hut war", ich machte die passende Geste mit den Fingern meiner rechten Hand, „und dann hat er mir geholfen zu überlegen, wie ich jetzt am besten vorgehe. Also eigentlich ist die Tatsache, dass ich hier bin, auf seinem Mist gewachsen."
„Dann muss ich mich wohl bei ihm bedanken." Täuschte ich mich, oder hörte ich da ein Schmunzeln aus Felix' Stimme heraus? Automatisch hob ich den Blick, um mich zu vergewissern und tatsächlich: Ein leichtes Lächeln zierte seine Lippen und ich konnte nicht widerstehen, ihn eine Weile einfach nur anzuschauen. Das tat ich gerne, es beruhigte mich irgendwie immer und ich konnte mich selbst immer weniger verstehen. Wie hatte ich nur denken könne, ohne ihn wäre ich besser dran? Vollhorst.

Vielleicht hätte ich mir Gedanken darüber machen sollen, warum ich mich überhaupt so abhängig fühlte von Felix. Warum ich ihn um keinen Preis gehen lassen wollte und warum ich ohne ihn so zerbrochen war. Aber ein Rewi übersah gerne mal das Offensichtliche und blieb lieber mit den Gedanken in einem Umkreis, der nicht weiter als Hier und Jetzt reichte. Und das war nun einmal momentan hier in Felix' Wohnzimmer. Wo ich am liebsten für immer geblieben wäre, wenn auch nicht mit mindestens zwei Meter Abstand zu Felix. Das störte mich ein wenig, doch solange er überhaupt da war, fühlte ich mich schon gut.
Es war seltsam für mich, dass ich so etwas empfand. Wenn nicht sogar so ziemlich das erste Mal, vorher hatte ich es nie wahrhaben wollen, aber im Moment war ich offen für alles, ließ es einfach auf mich zu kommen und deshalb war es mir vollkommen egal was hier gerade warum wie lief. Hauptsache war, dass Felix mich nicht hasste, was ich ihm wirklich hoch anrechnete. Ich an seiner Stelle hätte es getan, aber vielleicht hatte das ja mit Ich habe mich in dich verliebt zu tun und ich verstand es nur deshalb nicht. Oder gerade deshalb.

Wann und wie ich mich plötzlich neben Felix befunden hatte, konnte ich nicht sagen. Mein Kopf war Watte, da waren sanfte Lippen auf meinen. Ein Gefühl, das sich so neu und fremd aber willkommen anfühlte, dass es mir einen Schauer über den Rücken jagte. Mich mehr davon wollen ließ.
Alles war verschwommen, ich nahm nichts mehr um mich herum war, schaffte es kaum mehr, einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Wenn ich noch Kontrolle über meinen Körper gehabt hätte – ich wusste nicht, was ich dann getan hätte. Mein Wahrnehmen begrenzte sich auf den Körper, der sich an mich drückte, dessen Arme um meinen Oberkörper geschlungen waren und der mich all dies spüren ließ.

Ich war mir sicher, dass Felix keinen Tag benötigt hätte, mir zu beweisen, dass er eine Beziehung wert war, wenn ich nicht am Anfang so blind gewesen wäre. Nicht so dumm gewesen wäre. Wahrscheinlich konnte ich von Glück sprechen, dass es am Ende noch alles so gekommen war, wie es jetzt war. Fest stand, dass ich glücklich damit war, was es geworden war. Ich hatte ein Held für jemanden sein wollen, scheinbar war ich es jetzt.

The End !!!

Just One Day #RewilzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt