„All this time I pictured you standing next to me"
Geschockt riss ich die Augen auf, löste mich schon beinahe gewaltsam von ihm und brachte ein oder zwei Meter Abstand zwischen uns. Um diese Enge loszuwerden und irgendwie an Luft zu kommen, meine Lungen fühlten sich vollkommen leer an, sodass ich schon beinahe hechelte, zumindest kam mir das so vor. Regungslos starrte ich Felix an, versuchte irgendwie meinen Kopf frei zu bekommen, damit ich wieder klar denken konnte, doch der Nebel, der sich dort vorübergehend eingenistet hatte, schien kaum weichen zu wollen.
Was genau war da bitte gerade passiert? Und wie zum Teufel hatte mein Körper bitte darauf reagiert? Ich zitterte jetzt noch immer, spürte mein Herz in der Brust bollern und hatte das merkwürdige Bedürfnis, mich auf eine Bank setzen zu müssen. Aber benennen konnte ich letzteres nicht.
Während ich mich selbst wieder unter Kontrolle brachte warf ich immer wieder vereinzelte Blicke zu Felix. Aus purer Neugier, ich wollte wissen, wie er reagierte, wie es ihm ging, und ob er gerade genauso in den Seilen hing wie ich.
Im Gegensatz zu mir schien er nicht sonderlich geschockt oder Ähnliches. Wenn ich seine geröteten Wangen, die schon beinahe leuchtenden Augen und das angedeutete Lächeln auf seinen Lippen richtig deutete, fühlte er sich sogar gut. Natürlich, du Dummkopf, er ist schließlich der mit den Gefühlen! Innerlich schlug ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. Natürlich war er nicht entsetzt, natürlich fühlte er sich nicht genauso ausgelaugt wie ich, schließlich war das hier sein Wunsch gewesen, oder? Zumindest konnte ich mir vorstellen, dass es sein Wunsch gewesen war.
Und für mich hatte er dann darauf verzichtet. Eine kleine Stimme in mir rief, dass ich ihm vielleicht dankbar sein sollte, dass er so voraussehend gewesen und mich hatte vor diesem Kuss bewahren wollen, doch der Großteil meines Kopfes schrie mich non-stop an, dass ich jetzt unter keinen Umständen nachgeben durfte, kein bisschen durcheinander wirken durfte, da ihn das in der Annahme bestätigen würde, ich bräuchte seinen Schutz. Pff, als wenn. Vielleicht sprang ich nicht wie ein pinkes Einhorn fröhlich über die Wiese nach dem vergangenen Ereignis, doch ich war ganz sicher nicht in irgendeiner Weise hilfsbedürftig oder brauchte sein Mitleid, und das sollte ich ihm auch noch genügend demonstrieren.
Betont lässig richtete ich mich auf, steckte die Hände in meine Jackentasche und schaute ihn (hoffentlich) mehr oder weniger gleichgültig an. Ich hoffte einfach mal, dass ihn dieses Auftreten überzeugte, ansonsten würde ich mir andere Maßnahmen überlegen müssen.
Ich wusste nicht genau, ob ich seine Reaktion richtig deutete. Mein Kopf war noch immer verworren und vermittelte das Gefühl, so viel Verstand zu haben wie ein Schwamm, doch wenn ich mich nicht vollkommen täuschte sah Felix tatsächlich etwas zusammengesunken aus. Also das war seine Reaktion und das war doch eigentlich mein Ziel gewesen, oder?
Dennoch kam ich nicht umhin, meine gerade Haltung ein wenig sinken zu lassen und den Kopf minimal schief zu legen, um ihn besser anschauen zu können. Wieso sah er denn jetzt so niedergeschlagen aus? Och ne. Ich spürte schon wieder, wie das Auffanggefühl in mir hinaufkroch und sofort schob mein Kopf Panik. Am allerwenigsten durfte ich jetzt den netten Freund mimen! Dabei sah er gerade echt traurig aus und es würde mir eigentlich keinen Abbruch geben, wenn ich ihn wenigstens kurz in den Arm nehmen würde...
Aber nein, ich wollte ihn ja auf Abstand halten. Er sollte nicht einmal annähernd einen Grund haben, zu denken, dass ich seine Nähe wollte. Schließlich wollte ich nirgendwo Hoffnungen entstehen lassen, wo keine waren. Und da war ja keine Hoffnung, oder? Zumindest war ich mir ziemlich sicher, dass da keine sein sollte.
Nach einem letzten Blick auf sein schon beinahe trauriges Gesicht drehte ich mich um, stellte mein Longboard wieder auf den Boden und rief schon abfahrfertig zu ihm nach hinten, ohne mich umzudrehen: „Ich denke wir sollten dann mal wieder." Erst als ich darauf wartete, dass Felix reagierte und neben mir auftauchte, fiel mir auf, dass ich eigentlich genau so reagiert hatte, wovon ich mich seit unserem Streit abgehalten hatte. Ich lief weg. Vor Felix, vor einem Gespräch und ich war drauf und dran, mich wieder umzudrehen und ihn selbst vor ein klärendes Gespräch zu stellen, damit er mich nicht überrumpeln konnte, da fuhr er schon mit leicht gesenktem Kopf an mir vorbei, ohne den Blick zu heben.
Das Gefühl, das mich bei dieser Reaktion überkam, war seltsam, verwirrte mich auf eine Weise, die ich wirklich so gar nicht einordnen konnte. Ignoriert werden war echt nicht so Bombe. Naja, eigentlich störte mich nicht einmal die Tatsache, dass er mich ignorierte, an sich, sondern ganz einfach dass ich mich jetzt wie der Bösewicht fühlte. In meinen Augen hatte ich nichts falsch gemacht. Eigentlich müsste er doch froh sein, dass ich nicht mit ihm darüber sprechen wollte, oder? Immerhin hatte ich ihm somit nicht sein Recht genommen, diesen Tag voll und ganz auszunutzen und ganz im Ernst: Nichts würde ich im Moment lieber tun. Aber das konnte ich nicht bringen, aus bereits bekannten Gründen, bei denen Stolz ganz oben an stand. Wie sah das denn auch aus? Erst tönte ich ganz groß, dass er mein Angebot auch ganz ausnutzen sollte und dann zog ich den Schwanz ein, wenn er es wirklich tat? Nein, das konnte ich nicht tun. Ich würde diesen Tag hier noch überleben. Und wie es dann weiter ging? Ich wusste es nicht.
Den ganzen Rückweg schwiegen wir uns nur an. Es war eine ziemlich unangenehme Stille, denn auch wenn wir beim Longboarden normalerweise auch nicht die ganze Zeit am reden waren, schien es mir ein wenig so, als schwebten viel zu viele ungesagte Dinge zwischen uns durch die Gegend und machten diese Stille unglaublich unangenehm. Zudem kam noch dazu, dass wir uns unmittelbar bevor der Kuss passiert war noch gestritten hatten und irgendwie... ich fühlte mich unwohl. Wirklich ganz unwohl und wünschte mir wie schon die ganze Zeit seit gestern Nachmittag Felix' und meine alte Freundschaft zurück. Oder eine Zeitmaschine, mit der ich bis gestern zurück reisen und Felix so davon abhalten konnte, mir zu gestehen, dass er in mich verliebt war. Ich würde gar nicht erst diesen Streit anfangen von wegen wer zieht ins Youtuberhaus? und ganz einfach sagen, dass Felix sich diese ganzen Hirngespinste und so aus dem Kopf schlagen sollte, denn natürlich wollte ich ihn hier haben. Hätte ich es doch nur von Anfang an richtig gemacht, dann hinge ich jetzt nicht in dieser provisorisch verbesserten Situation.
Denn auch wenn ich meine Idee vom Prinzip her ziemlich gut fand und auch der Meinung war, dass sie uns hätte weiter bringen können, blieb da eben dieser Konjunktiv in hätte uns weiter bringen können. Irgendwie hatte ich nicht einkalkuliert, dass Felix so die Krise kriegen würde bzw. sich das alles hier in diese Richtung bewegen würde, in die es gerade den Pfad eingeschlagen hatte. Und ich hatte auch nicht den blassesten Schimmer, wie ich Felix aus dieser wirklich dauerhaften negativen Stimmung rausholen konnte, die ihn nicht mehr losließ, seit die post – Kuss – gute Laune verflogen war. Irgendwie schien er ganz und gar nicht mehr begeistert von meiner Idee aber wenn ich ehrlich war, hatte von Anfang eigentlich nur ich erkannt, dass das die einzige gute Möglichkeit gewesen war. Was wäre denn auch bitte stattdessen infrage gekommen? Wie gesagt, ich hatte ihm nichts vorspielen und ihn auch nicht sofort abschießen wollen, da war diese Lösung die beste gewesen.
Und jetzt saßen wir im Kino. Nebeneinander, schweigend. Jeder hatte seine eigene Popcorntüte in der Hand und spachtelte vor sich hin, während er dem Film folgte. Allerdings musste ich zugeben, dass ich für meinen Teil irgendwie Schwierigkeiten damit hatte, dem Film wirklich durchgehend zu folgen. Immer wenn Felix' Ellbogen ausversehen meinen streifte oder ich seinen Blick auf mir spürte, sah ich wieder sein niedergeschlagenes Gesicht von vorhin vor mir. Und Gütiger, er tat mir nun mal leid. Dann konnte ich ihn auch nicht richtig aus meinen Gedanken verbannen, immerhin war er einfach die ganze Zeit neben mir. Auch als wir vorhin wieder bei mir in der Wohnung gewesen waren, war er mir nicht von der Seite gewichen. Dann hatten wir uns eben einfach nur aufs Sofa gesetzt und angeschwiegen, Felix schien es nicht allzu viel auszumachen. Viel mehr störte ihn glaube ich die Tatsache, dass das alles hier nicht nach seiner Vorstellung verlaufen war. Dass ich ihm nicht nachgegeben hatte nach seiner Aussage, dass sich eine Beziehung ja nicht sonderlich von einer Freundschaft unterscheiden würde.
Aber warum, warum wollte er dann überhaupt eine Beziehung? Wenn eine Freundschaft doch schon praktisch alles bot, was man so brauchte in einer Beziehung (abgesehen von Knutschen und Sex und so einem Kram, bei dem man sich die ganze Zeit mit Liebe vollsülzte)? Hätte er es dann nicht einfach dabei belassen können, was es war?
Und jetzt spürte ich ihn die ganze Zeit neben mir, sah vor meinem inneren Auge schon unsere Freundschaft den Bach runtergehen und das ganz einfach, weil Felix nicht dazu fähig war, aus meiner Idee etwas Gutes zu machen. Gut, vielleicht hatte ich es mit meiner allgemeinen Abwehrhaltung auch nicht gerade vorangetrieben, doch ich hatte nicht das ganze Projekt gesprengt.
Ich wagte einen kurzen Blick zur Seite, wo Felix saß, den Blick starr auf den Bildschirm gerichtet und etwas Popcorn essend. Wie von selbst runzelte sich meine Stirn. Ich verstand nicht, wie aus unserer Freundschaft hatte so etwas werden können. Wieso hatte ich es nicht geschafft, diese Freundschaft so zu erhalten, wie sie war? Sie war gut so und dann... war alles nicht mehr gut gewesen. Dann waren Gefühle dazu gekommen und wieder einmal wurde ich in meiner Annahme bestätigt, dass zu viele Gefühle unter Freunden nichts brachten. Manche waren wichtig, Vertrauen. Loyalität. Aber alles was darüber hinaus ging war in meinen Augen nicht förderlich und ich erfuhr ja gerade am eigenen Leib, dass ich damit Recht hatte. Das hier war definitiv nicht förderlich und erst recht nicht gut.
Wir hatten es nicht geschafft. Wir hatten es nicht geschafft, unsere Freundschaft zu retten und diese Tatsache frustrierte mich noch mehr als der Bruch unserer Freundschaft an sich. Oder der Grund dafür, dass es so gelaufen war.
Ich konnte mir nicht vorstellen, es nicht geschafft zu haben.
Das traf es wahrscheinlich auf den Punkt und am liebsten würde ich mir selbst eine scheuern und mich dann in irgendeiner Ecke verstecken, weil ich nicht mehr rauswollte. Wie sah das denn bitte aus? Rewi schaffte es nicht einmal, seine Freundschaft zu erhalten. Ganz unabhängig davon, dass Peter Parker auch seine Freundschaft mit Harry verloren hatte, bei den beiden hatte das einen komplett anderen Hintergrund. Soweit ich wusste hatte ich Felix Vater nicht umgebracht und Felix würde auch nicht daran sterben, was auch immer nach heute kam. Zumindest ging ich davon aus.
Sollte ich noch einen letzten Rettungsversuch starten? In meinem Kopf spielte ich verschiedene Szenarien ab, was ich jetzt tun oder wie es jetzt weiter gehen könnte, doch keins kam mir plausibel genug vor.
Vielleicht sollte ich es einfach so hinnehmen wie es war. Freundschaft zerstört, Idee scheiße umgesetzt – man, ich kam mir gerade so unendlich pessimistisch vor, doch ehrlich gesagt sah ich auch keinen Lichtblick mehr. Was würde es mir schon bringen um die Freundschaft zu kämpfen, wenn Felix eine Beziehung wollte?
Ich wollte zwar Felix nicht verlieren, ganz einfach weil er mein bester Freund war und so aber eine Beziehung... nein, beinahe alles in mir sträubte sich dagegen. Und wenn das der Preis war, dass ich mal nicht selbstlos war, dann musste ich ihn wohl oder übel zahlen, denn ich wollte mich nicht durch eine Beziehung quälen. Auch wenn sie mit Felix war.
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Just One Day #Rewilz
FanfictionTypisch Rewilz halt ne ? ^^ Quelle und alles weitere im Prolog ;)