Ich glaubte, der Albtraum war tot. Das blaue Ungetüm, das sich für Ohnezahn und mich geopfert hatte. Kein Drache hätte bei dieser Übermacht eine Chance gehabt. Während Ohnezahns Wunde an der Schulter, dank seinem heilenden Speichel, erstaunlich schnell verheilte, würde der Albtraum wohl niemals mehr seine Flügel ausstrecken können.
Wir wollten Drachen retten und sie nicht noch mehr Gefahren aussetzen, dachte ich verbittert, was war nur los mit mir? Wieso habe ich die Gefahr erst so spät erkannt?
Von irgendwoher hörte ich es Rascheln.
Warum hätte ich Ohnezahn nicht einfach schießen lassen? Haudrauf ist zäh, er hätts überlebt...- genau wie der Albtraum.
Äste knackten.
Oder wenn ich aufmerksamer gewesen wäre, die Katapulte im Auge behalten hätte,...
Erschrocken blieb ich stehen und presste mich gegen den nächstbesten Baumstamm. Die Rinde drückte unangenehm gegen meinen Rücken und ich hoffte inständig, dass das Moos meine Schritte gedämpft hat.
Instinktiv hielt ich die Luft an, als ich kaum ein paar Sekunden später erneut kleine Äste brechen hörte. Beinahe automatisch hob ich meinen Kopf, um im Notfall einen Drachen rufen zu können. Die Baumkrone über mir erstreckte sich scheinbar endlos über den Himmel; ein grünes Blätterdach, bestehend aus zahlreich gewundenen Ästen und Sprösslingen. Mit einem Mal wurde mir bewusst, wie wenig Sonnenlicht auf den Boden fiel; nur einzelne, tanzende Flecken waren zu sehen. Als würden die Bäume den Himmel ausschließen wollen und nur dem Wind Einlass gewähren. Die kühle Brise, die mein Gesicht striff und die Blätter zum Singen brachte. Hier und da konnte ich weiße Wolkenfetzen gemischt mit blauen Schlieren erahnen.
Gefangen, schoss mir der unsinnige Gedanke durch den Kopf, bevor ich über mich selbst schmunzelte und meine Aufmerksamkeit wieder den Geräuschen zuwendete.
Büsche, die beiseite gedrückt wurden, ein schrecklicher Schrecken, der wohl von seinem ruhigen Plätzchen aufgescheucht wurde. Äste, die zerbrochen wurden.
Langsam bewegte ich mich am Stamm entlang, rutschte weiter und schielte an meiner improvisierten Deckung vorbei in Richtung der stetig näherkommenden Geräuschquelle.
Wieder hörte ich die ungeschickten Wikingerfüße das Geäst durchbrechen.
Ich kniff die Augen zusammen, und konnte in einiger Entfernung bereits schemenhafte Umrisse einer grobschlächtigen Person erkennen, als plötzlich wütendes Drachengebrüll den Wikinger übertönte, dessen Shilouette jetzt wie erstarrt stehengeblieben war.
Fleddr, verfluchte ich in Gedanken den rot-grünen Nadder, nicht jetzt, verdammt!
Angespannt beobachtete ich weiter den Wikinger, der sich immer noch nicht von der Stelle gerührt hat, bis das Naddergekreische immer lauter und durchdringlicher wurde und ich schließlich leise fluchend meine Position hinter dem mächtigen Eichenstamm aufgab. Vorsichtig darauf bedacht keine unnötigen Geräusche zu machen -um weder Drache noch Mensch auf mich aufmerksam zu machen- rannte ich zur Lichtung, an der Ohnezahn noch immer seine Schulter auskurierte und Fleddr und seine Bande uns täglich mit Essen -hauptsächlich Fisch- versorgten, bis Ohnezahn wieder selber jagen konnte.
Erst während ich durch den Wald rannte, fiel mir auf, dass Fleddrs Gekreische von keinem seiner Artgenossen erwidert wurde und es sich somit nicht um einen -wie von mir zuvor vermutet- Beutekampf handelte, was bei Fleddrs Eitelkeit, immer das grösste Beutestück haben zu wollen, keine Überraschung wäre. Ohne lange zu überlegen trat ich aus dem Schutz der Bäume und überquerte die Lichtung prüfend. "Ohnezahn?", rief ich, "Fleddr?"
Kein freudiges Aufjaulen und auch kein überraschtes Gekrächze -welches normalerweise von Fleddr bei meinem Auftauchen eintrat-; die Lichtung war verlassen.Plötzlich realisierte ich, dass das Gebrüll verstummt war.
Irgendwas stimmte hier gewaltig nicht, und die Antwort darauf, der Fakt, der mich schon seit dem Auftauchen des Menschens störte, lag direkt in meiner Hand; aber ich kam nicht darauf.
Suchend blickte ich mich umher und rannte dann intuitiv zurück in den Wald, "Ohnezahn!"
Mir war es egal, ob ich damit potenzielle Feinde anlockte -die es ziemlich sicher gab-, ich wollte einfach die Drachen finden. Ich lauschte nach dem typisch dumpfen Poltern und leichten Beben der krallenbewehrten Füße, wenn sie über den Waldboden trampelten.
Es ist still, dachte ich.Langsam ging ich weiter, rief dabei immer wieder nach Ohnezahn und der Nadderbande.
Zu still.
Im Augenwinkel bemerkte ich eine Bewegung und sofort riss ich den Kopf herum, nur um den Schatten zu sehen, der sich in eben jenen Moment auf mich stürzte.
"Hey,... Ohnezahn... wo warst du denn?"
Ohnezahn gurrte fröhlich und schleckte mich einmal von oben bis unten ab, dann drehte er den Kopf und deutete hinter sich. Verwirrt hob ich den Kopf und blickte an meinem Drachen vorbei, nur um dann einem rot-grünen Nadder gegenüber zu stehen. Fleddr krächzte ungeduldig und verschwand eine Sekunde später bereits wieder im Gebüsch. Schnell sprang ich auf Ohnezahns Rücken und lenkte ihn hinter dem Nadder her. "Fleddr!", rief ich. Doch der Drache war erstaunlich schnell und leichtfüßig; Ohnezahn hatte mit seiner Schulter Mühe Fleddr nicht aus den Augen zu verlieren. Abrubt blieb der Nadder stehen -Ohnezahn hätte ihn beinahe mit seiner Wucht umgeworfen- und dann erkannte ich auch den Grund dafür: Ein Mann schälte sich aus dem Schatten der Bäume, warf Fleddr einen Fisch zu und schwang sich dann auf seinen Rücken, "Gut gemacht, Kleiner.", murmelte er leise. Und dann starrte er mich an und ich starrte -wahrscheinlich mit offenen Mund- zurück, "Was,.. Wer...?"
Der Mann grinste nur schulterzuckend und wendete Fleddr dann mit einer ungeahnter Eleganz -zumindest für einen solch kräftigen Nadder, zwischen all den eng beisammen stehenden Bäumen- und verschwand mit ihm zwischen Stämmen.
Kurz rührte ich mich nicht, dann riss ich die Augen auf und schüttelte meine Schockstarre ab, "Los Ohnezahn! Du kannst sie noch einholen!"
Der Drache brüllte zustimmend und stürmte dann ebenfalls durch das Dickicht, dem markanten Gekrächze Fleddrs folgend. Der Wald lichtete sich etwas, der moosbedeckte Boden wurde von goldenen Sonnenstrahlen umrahmt; an einer Stelle blitzte kurzzeitig etwas auf und blendete mich. Und da wurde es mir bewusst, der Mann vorhin -der vielleicht der selbe war, der nun auf Fleddrs Rücken saß- hätte nicht hier sein dürfen. Ich hab an den ersten beiden Tagen die ganze Insel abgesucht, da gab es nirgens ein Dorf, geschweige denn Strände an denen Boote anlegen hätten können. Nur schroffe Felsklippen. Aber in diesem Moment achtete ich nicht darauf; zu schnell sprang ich von Ohnezahns Rücken, wollte die Lichtung überqueren, an deren Ende der Mann stand, unbeweglich, ohne jeglichen Ausdruck im Gesicht, neben ihm der stolze Nadder, dem ich wohl zu Unrecht einen Namen gegeben hatte. "Hey!", rief ich, "Ist das ihr Drache, er ist näml-" weiter kam ich nicht, denn der Mann begann nur wieder zu grinsen und deutete hinter mich. Auf meinen Drachen.
Denn genau diesem Augenblick, als Ohnezahn knurrend und brüllend die Flügel ausklappte und hochriss und ich kurz innehielt, mich suchend umsah, meinen Drachen noch beruhigen wollte und dann selbst die Gefahr erkannte, in diesem von Thor verdammten Augenblick, schnappte die Falle zu und ich konnte nichts anderes mehr tun, als meinen Mund aufzureissen und zu brüllen. Ich brüllte und weiß nicht mal mehr was in diesem Moment mit Ohnezahn geschah, sah nur verschwommen unzählige Krieger aus den Geäst hervorbrechen. Wie Fliegen umschwirrten sie ihre Beute, wie kleine gerissene Aasgeier. Aber in dieser Sekunde war es mir egal; ich wusste ich nur noch, dass ich schrie. So laut, und voller Schmerzen, wie noch nie zuvor in meinem Leben.
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Wenn einem auffällt, dass das Kapitel noch vom letztem Jahr ist......
Aber gut xD
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Schatten der Nacht
FanfictionDer alte Hicks, der Hicks, der von allen verspottet wurde, ist tot. Seiner Heimat den Rücken gekehrt, seine erste große Liebe zurückgelassen, gibt es einen neuen Hicks. Einen Stärkeren, einen Mutigeren, einen Gerisseren. Und er würde noch einmal ste...