-02-KAPITEL

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Es waren Tage, die sich bedeutungslos aneinanderreihten. Zeit, die verging, ohne zu wissen wieso.

Es war, als hättest du dich verändert, aber niemand um dich herum teilte diese Veränderung. In den Augen der Anderen war ich immer noch ein Nichts. Ein Niemand. Aber das, wird sich bald ändern. Mein Name ist Hicks der Hüne und ich habe eine Entscheidung getroffen.

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"Komm schon Ohnezahn, jetzt zeigen wir den Berkianern mal, was passiert, wenn sie Drachen angreifen!"

Es war eine mondlose Nacht und Ohnezahn glitt beinahe unsichtbar über den Nachthimmel entlang, während ich hinunter auf das brennende Dorf starrte. Flammen reckten sich empor und warfen tanzende Schatten auf die noch bestehenden Häuser. Die Wikinger waren unfähig diese Feuerbrunst zu löschen, ehe sie nicht alle Drachen gefangen oder in die Flucht geschlagen hatten.

Ich lenkte Ohnezahn etwas tiefer und verstand mit etwas Mühe sogar das wütende Gebrüll seines Vaters, der gerade einen Zipperkopf packte, welcher sich ein Schaf hatte schnappen wollen, und auf den Boden drückte: "Grobian, sag den Männern, sie sollen alle herkommen und das Vieh beschützen. Sonst werden wir überrannt und ..."

Den Rest konnte ich nicht mehr verstehen, denn Ohnezahn raste bereits auf eine Gruppe junger Nadder zu, die unter einem Netz gefangen waren und befreite die Drachen mit einem gezielten Plasmastrahl. Die Nadder stoben erleichtert auf und entkamen so den wütenden Wikingern. "Nachtschatten!", brüllte einer und brachte sich mit einem Hechtsprung in Sicherheit.

Ich tätschelte Ohnezahn lobend die Flanke, der sich bereits wieder nach oben schraubte, um einen weiteren Angriff starten zu können. Auch ich hatte bereits ein neues Ziel im Visier; ein gigantischer, blauer Albtraum, umzingelt von blitzendem Metall und scharfen Klingen. Ohnezahn stieß ein furchterregendes Brüllen aus und stürzte sich erneut in die Tiefe, aber ich flüsterte ihm beruhigend ins Ohr, "Langsam Kumpel, wir wollen keinen von den Wikingern verletzen, wir befreien nur den Drachen." Ohnezahn grummelte wenig überzeugt, bremste sein Tempo aber keineswegs, sondern lud in seinem Maul einen Plasmaschuss. Die Wikinger unter ihnen hatten den Nachtschatten natürlich bemerkt und ließen ihre Stellung entsetzt hinter sich. Nur ein Berkianer blieb bei dem Albtraum und hob seine Axt furchtlos in die Höhe, um zu beenden was er angefangen hatte. Der Drache war noch benommen und hatte keine Feuerkraft mehr, sodass er erstarrt am Boden liegen blieb. Vater, dachte ich, warum musst du nur immer so verdammt stur sein?

Ohnezahn streckte die Krallen aus, um den blauen Albtraum aus dem Gefahrenfeld zu zerren - und wenn es nur wenige Meter waren - bis dieser selbst wieder wegfliegen konnte. Aber anscheinend hatte das Oberhaupt von Berk nur darauf gewartet, dass der Nachtschatten näher herangeflogen war. Mit einem gewaltigen Satz sprang er in die Luft und erwischte Ohnezahn mit seiner Axt an der Vorderpfote. Dieser jaulte auf und musste den Albtraum gezwungenermaßen loslassen, welcher aber bereits mit unsicheren Flügelschlägen in den Nachthimmel verschwand. Ich versuchte mich verzweifelt noch flacher auf den Rücken von Ohnezahn zu legen. Ich wollte meinem Drachen helfen, konnte aber auf keinen Fall riskieren, dass mich ein Wikinger sah. Still dankte ich meiner schwarzen Lederrüstung, die ich mir extra hierfür angefertigt habe.

Ohnezahn hatte trotz der Verletzung an seinem Bein wieder an Höhe gewonnen und war somit aus dem Radius der hin und her sausenden Klinge meines Vaters gekommen. Gerade wollte ich mich mit meinem Kumpel zurückziehen, um seine Verletzung zu begutachten, als ich meinen Blick wandte. Nach links. Es war nur ein leichtes Zucken meines Kopfes, aber es reichte um etwas riesiges Graues auf uns zufliegen zu sehen. Ohnezahn hatte es früher bemerkt als ich und sich reflexartig seitlich gedreht, sodass der Felsbrocken direkt gegen seinen weichen Bauch prallte, anstatt mich von seinen Rücken zu schleudern. Ohnezahn verlor die Kontrolle und schlug wirkungslos mit den Flügeln, während wir immer weiter gen Boden fielen. Wie durch ein Wunder schaffte ich es auf dem Rücken des Drachens zu bleiben, und versuchte wieder die Kontrolle zu bekommen, indem ich mit meinem Fuß die Stellung der Schwanzprothese änderte. "Komm schon Ohnezahn! Du schaffst das!", feuerte ich ihn an, aber dieser brüllte nur panisch. Ich hörte Wikinger aufschreien und sah den Boden immer näherkommen; nur noch Sekunden trennten uns voneinander. Und dann würde alles aus sein. Selbst wenn ich den Stürz überleben würde, würden alle wissen was ich getan hatte. Ich schloss die Augen.

Dann schaffte es Ohnezahn irgendwie sich in die Segelstellung zu begeben, bremste mit aller Macht und flog haarscharf über einen Wikinger hinweg. Meine Augen weiteten sich überrascht als wir ausgerechnet auf die Schmiede zurasten. "Ohnezahn!", schrie ich, aber der Drache hatte zu viel Schwung um jetzt noch anhalten zu können. Hinter mir brüllten unzählige Wikinger, und ich hoffte, dass ich immer noch unerkannt war. Ich lenkte mit der Prothese von Ohnezahn den Drachen nach rechts, aber wir prallten trotzdem direkt in das Haus. Ich spürte wie das Holz unter Ohnezahns Gewicht nachgab und hörte es splittern. Der Aufprall presste alle Luft aus meiner Lunge und riss mich aus dem Sattel. Ich wurde zu Boden geschleudert, schnappte nach Luft und bemerkte wie ich unbewusst zu schreien begonnen hab. "HICKS!", dröhnte von irgendwoher die Stimme meines Vaters. Ohnezahn neben mir rappelte sich auf und versuchte mich unter den ganzen Trümmern hervorzuziehen. Mir war schwindlig, aber trotzdem wollte ich mich ebenfalls befreien, als ich eine verschwommene Gestalt von der anderen Seite der Schmiede auftauchen sah. Verzweifelt versuchte ich aufzustehen, und begann mich automatisch zu wehren, als mich jemand an meinem Hemd packte, bevor ich bemerkte dass es Ohnezahn war. "Vater!", schrie ich verzweifelt, tu es nicht. Aber ich schaffte es nicht, die Worte aus meinem Mund zu bekommen und starrte nur fassungslos auf den Wikinger vor mir. Haudrauf der Stoische rannte wütend brüllend auf den Nachtschatten zu, hob seine Axt und warf sie. Vorbei. An mir. Zu Ohnezahn. Wie in Zeitlupe sah ich die Klinge an meinem Gesicht vorbei ziehen, und blickte eine Sekunde lang in meine eigenen grünen Augen, wie sie mich anstarrten, aber in diesem kurzen Moment hätte ich schwören können, es seien Ohnezahns Augen, voller Angst und Verzweiflung. Der Zug an meinem Hemd löste sich in eben diesem Moment, als Ohnezahn schmerzerfüllt aufheulte.

Immer mehr Silhouetten tauchten rufend hinter Haudrauf auf, welcher sich langsam auf mich zubewegte; oder vielleicht kam es mir auch nur so langsam vor. Ich weiß es nicht.

Ich weiß nur noch, wie ich mich zu meinem Drachen umdrehte und die Axt in seiner Schulter stecken sah. Ohnezahn gurrte traurig und blickte mich mit seinen grünen Katzenaugen hilfesuchend an. Mein Bein steckte immer noch unter einem Holzbalken, aber ich war nah genug, um den Griff der Axt fassen zu bekommen. Plötzlich begann das Gewicht auf meinem Bein nachzulassen, und einem Moment später spürte ich die warme Hand meines Vaters auf meiner Schulter. "Töte ihn und mach mich stolz, Sohn." Ich starrte wie paralysiert auf die Wunde, als ich vorsichtig die Axt aus Ohnezahns Schulter zog. Mach mich stolz. Ich spürte die Blicke aller Wikinger auf mir ruhen, aber ich konnte mich nicht bewegen. Seltsamerweise schienen alle Geräusche verstummt, kein Drache brüllte mehr, und überhaupt schien sich keiner mehr um das Dorf zu kümmern. Ein fürchterliches Fiepen breitete sich immer lauter werdend in meinem Kopf aus, nur unterbrochen von Ohnezahns hektischen Schnauben. Sofort wurde ich in die Wirklichkeit zurückgerissen und versuchte die Axt mit meiner zitternden Hand nicht fallen zu lassen. Dann wandte ich mich um, schüttelte die Hand von meiner Schulter und musterte alle Wikinger, insbesondere meinen Vater. "Nein." Alle sogen überrascht die Luft ein und für den Bruchteil einer Sekunde verkrampfte mein ganzer Oberkörper und ich dachte, es war keine Luft mehr vorhanden, ich würde ersticken und ich wollte atmen, aber irgendetwas hinderte mich daran. Mein Vater hatte mich am Kragen gepackt, "Wie bitte?!", der Drache schien kurzzeitig vergessen und genau in diesem Moment nutzte Ohnezahn seine Chance, schoss einen Plasmastrahl direkt vor die Füße meines Vaters, welcher durch die Druckwelle von den Füßen geschleudert wurde. Ich wurde ebenfalls auf den Boden gedrückt, aber noch bevor sich mein Vater - oder irgendein anderer Berkianer rühren konnte, wurde ich schon von Krallen gepackt, die mein Hemd zerfetzten, und mich nach hinten zerrten. Kurz schrie ich auf, wehrte mich aber nicht gegen Ohnezahn, welcher mich jetzt zurück durch die zerstörte Wand zog und dabei immer wieder Plasmaschüsse abfeuerte, wodurch eine dichte Rauchwand entstand. Leben kam wieder in die Berkianer, aber der Rauch versperrte ihnen die Sicht und als sie schließlich aus der Schmiede stürmten, schnitt ihnen ein blauer, brennender Albtraum den Weg ab. Ohnezahn kauerte sich auf den Boden und jaulte traurig. Er versuchte seine Wunde an seiner Schulter mit Spucke zu bedecken, was er nur notdürftig schaffte. Blut tropfte auf mein Gesicht, da ich immer noch in Ohnezahns Klauen lag. "Ohnezahn...", flüsterte ich und starrte ihn angstvoll an. Plötzlich hob er den Kopf und knurrte wütend, er faltete seine Flügel auseinander, was bei dem Rechten jedoch nur halb klappte. Und just in diesem Moment als der Albtraum blutig am Boden lag und von schier allen Berkianer -angeführt von Haudrauf- überrannt wurde, stürzte eine Nadderhorde nieder und packten Ohnezahn und zogen ihn hinauf. Immer noch unfähig mich zu bewegen, baumelte ich in den Pfoten meines Drachen und wurde ebenfalls immer weiter hinaufgetragen. Erneut hörte ich Haudrauf meinen Namen schreien und ich wusste nicht, was ich fühlen sollte. Aber als plötzlich kein Blut mehr mein Gesicht hinunterrann, glaubte ich, es war Erleichterung.


Schatten der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt