-04- KAPITEL

511 21 2
                                    

Vage nahm ich ein Geräusch war. Ein dumpfes Poltern. Aber sicher war ich mir nicht. Vielleicht war es auch nur der Schmerz, der heiß in meinem Bein pochte. Schwach versuchte ich den Kopf zu drehen, der immer noch seitlich auf den kalten Waldboden gepresst war, aber sofort verkrampfte mein Oberkörper und der Fuß fühlte sich an, als würde er über offener Flamme geröstet. Keuchend sank ich wieder zurück und kämpfte mit der nächsten Bewusstlosigkeit.

Ich wusste nicht mehr viel; wenn ich einmal aufgewacht bin, war meine Sicht verschwommen und aus dem Stimmengewirr einzelne Wörter, geschweige denn Sätze herauszufiltern, war bis dato mit den züngelnden Flammen, die sich von meinem Bein bis hoch in meinen Kopf arbeiteten, unmöglich. Bis das Gerede schließlich ganz verstummte. Aber so konnte ich mich wenigstens selbst denken hören. Langsam zwar, aber immerhin. Und dann dauerte es auch nicht lange, bis ich trotz des Schmerzes, der mit der Zeit wenigstens etwas abgeklungen war, zwei Dinge realisierte. Und die ich mir immer wieder, wie ein lästiges Mantra, ins Gedächtnis rief, die mich immer wieder aus meiner Bewusstlosigkeit rissen. Ich hasste sie, diese Sätze.

Sie haben Ohnezahn überwältigt und ihn mitgenommen. Und mich hier gelassen. Wie ein krankes, verletztes Tier, hat man mich dem Tod überlassen. Ohnezahn war ein Nachtschatten, er war selten, er war wichtig. Ich war ein Wikingerhänfling, ich war klein, ich war schwach, ich war entbehrlich.

Mit geschlossenen Augen lauschte ich weiter, atmete tief ein und aus, versuchte die Schmerzen auszublenden.

Aber da waren nur typische Waldgeräusche, nichts Außergewöhnliches, nichts Lebensrettendes.

Wobei mir jetzt auch ein Schrecklicher Schrecken nicht viel gebracht hätte, wenn selbst ich die Drachenfalle nicht aufbekam. Wenn ich mich -natürlich nur unter quälenden Schmerzen- nach links drehte, kam ich nur knapp an das Fangeisen heran und konnte nicht die nötige Kraft aufbringen, die Falle wieder auseinander zudrücken. Außerdem, selbst wenn ich mich irgendwie aus der Falle befreien könnte, wie weit würde ich wohl mit dem Bein kommen? Ein paar Meter?

Sofort bahnte sich ein Würgereiz an, den ich nur mit Mühe unterdrücken konnte. Zersplittert. Zerfleischt. Zerfetzt. Blut, da war nur noch Blut, wo mein Unterschenkel hätte sein sollen.

Plötzlich hörte ich es wieder. Und dieses Mal war die Geräuschquelle in unmittelbarere Nähe. Der dumpfe Schlag, als hätte ein Wikinger einen Schlag kassiert und war dann bewusstlos zu Boden gegangen. Aber warum waren sonst keine Kampfgeräusche zu hören? Ruckartig riss ich meine Augen auf und schielte umher.

Sie haben Ohnezahn mitgenommen. Und mich zum Sterben zurück gelassen. Warum sollten sie also ausgerechnet jetzt wiederkehren?

Plötzlich hörte ich ein unterdrücktes Fluchen, als im nächsten Moment schon etwas Blutrotes an meinem Gesicht vorbei zischte. "Kaya!", brüllte eine Männerstimme direkt hinter mir. Erschrocken versuchte ich den Kopf zu drehen, bevor ich es quietschen und knacken hörte, und kurz glaubte , es wiederholte sich und mein Bein würde erneut in diesem unsäglichen Schmerz untergehen, als die Falle zuschnappte und ihre Zacken in mein Fleisch und in meine Knochen grub. Aber dann plötzlich war der Druck weg und mein Bein war frei. Ich versuchte es zu bewegen, versuchte mich aufzurappeln; beides misslang. Dann spürte ich warme Hände an meinen Seiten, die mich hochhievten und stützten und ich konnte einem jungen Mädchen in das Gesicht blicken. Verwirrt über diese plötzliche Rettung, vergaß ich sogar kurz den Schmerz, bis ich mit meinem linken Fuß aufsteigen wollte. Ich zischte schmerzerfüllt auf und wäre wohl gleich wieder umgekippt, wenn nicht ein Mann an meine Seite geeilt wäre, und mich nun ebenfalls stützen würde. Wahrscheinlich war er derselbe, der mein Bein aus der Drachenfalle befreit hatte. "Vorsichtig.", brummte er, ehe ich dazu ansetzen konnte etwas zu sagen. Mit der Hilfe der Fremden humpelte ich zum Ende der Lichtung, wo sie mich vorsichtig auf einen Felsen niederließen. Ich zwang mich, den Blick von meinem Bein abzuwenden und blickte stattdessen den Mann an. Überrascht weiteten sich meine Augen und ich wollte schon aufspringen und das Weite suchen, als mich der Reiter von Fleddr am Arm packte und damit zwang auf dem Felsen sitzen zu bleiben. "Du!", keuchte ich und erinnerte mich, wie er nur dastand und zusah, wie ich auf den Boden stürzte und Ohnezahn gefesselt wurde. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken.

"Mir müssen dein Bein verbinden", sagte er schlicht, aber sein Tonfall machte klar, dass er keine Fragen dulden würde. Das Mädchen neben mir ging in die Knie und holte dann aus ihrer Umhängetasche ein kleines Fläschchen, ein paar weiße Tücher und Verbandszeug raus. "Kann jetzt ein bisschen wehtun", lächelte sie mitleidig und schüttete dann den Inhalt der Flasche auf ein Tuch. Ein beißender Geruch ging von der Flüssigkeit auf und ich erkannte, dass es Alkohol war. Der Mann neben mir schwieg nur und blickte gedankenverloren in die Ferne.
Ich sah wieder zu dem Mädchen und überlegte, ob sie vielleicht Kaya war, deren Name der Mann vorhin gerufen hatte. Sie tupfte jetzt vorsichtig mit dem Tuch über meinen Fuß, über die Wunden. Ich keuchte auf und biss mir auf die Lippen, bis ich Blut schmeckte. In dem Versuch mich von dem Schmerz abzulenken, musterte ich das Gesicht des Mädchens, auch wenn ich öfters die Augen zusammenkneifen musste. Einen Augenblick verkrampfte mein Unterschenkel und das Brennen ebbte leicht ab. Muskeln, dachte ich erleichtert, da sind noch Muskeln!

"Du musst lockerlassen.", hörte ich wieder diese unglaublich freundliche Stimme.

Verlegen öffnete ich die Augen, -wann habe ich sie geschlossen?- und versuchte meinen Herzschlag zu beruhigen. Sie war so anders als Astrid. Und das nicht nur von der Art; ihre Haare waren kurz geschnitten und gingen gerade mal zu ihrem schmalen Kinn. Die Augen waren dunkelbraun und matt und funkelten nicht so wie bei Astrid. Die Gedanken an die blonde Wikingerin beruhigten mich irgendwie und so konnte ich den restlichen Schmerz wortlos ertragen, bis das fremde Mädchen -ich schätzte sie auf circa zwölf, dreizehn Jahre- endlich die Bandagen um meinen Fuß wickelte. "Keine Sorge, du kannst dein Bein vermutlich behalten.", lächelte sie und setzte sich dann neben mich.

"Das ich nicht lache!", ertönte plötzlich eine zweite Mädchenstimme, "der hat wie am Spieß geschrien, als er in die Falle getappt ist!"

Ein Mädchen tauchte aus dem Schatten einiger Bäume auf, in dem Arm einen kleinen roten schrecklichen Schrecken. Sofort stachen mir die ähnlichen Gesichtszüge der beiden Mädchen ins Auge, auch wenn die Andere wesentlich längere Haare hatte und etwas älter aussah, etwa in meinem Alter. Sie kam schnell näher und musterte mich verächtlich, "warum helfen wir dem Bengel überhaupt?"
"Kaya, lass ihn doch", meinte das Mädchen seufzend, das sich um meinen Fuß gekümmert hat.
Das Mädchen, Kaya, wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als eine drohende Stimme die Luft zerschnitt: "Das reicht! Alle beide! Raven! Warum verteidigst du den Knirps?"

"Hey!-", wollte ich mich einschalten, aber Kaya fuhr mich an, "du wurdest nicht gefragt, Hänfling!"
Raven blickte dem Mann fest in die Augen und erwiderte erstaunlich fest, "Weil er es verdient!", und nach einer kurzen Sekunde des Schweigens fügte sie hinzu, "und weil er einen Nachtschatten zähmen konnte."
Kaum hatte Raven ihren Satz beendet, fuhr ich schon dazwischen, "Ohnezahn? Wo ist er? Geht es ihm gut? Was habt ihr mit ihm gemacht?"
Und zu meinem Erstaunen lächelte Raven. Sie setzte bereits zu einer Antwort an, aber der Mann schüttelte nur den Kopf. "Kaya, Raven, geht nach Hause und gebt Kund, dass sie den Bengel jetzt holen können."
Verärgert zog ich die Augenbrauen zusammen, "Könnt ihr mir bitte mal erklären, was das alles soll?! Erst lockst du mich in eine Falle, dann-"
Mit einer wegwerfenden Handbewegung ließ der Mann mein Gerede verstummen und wartete noch einige Sekunden, bis die Mädchen -mit dem kleinen Schrecken im Gepäck- außer Hörweite waren. "Du darfst deinen Drachen wiedersehen", dann senkte er bedauernd die Stimme, "denn sie wollen dir eine Chance geben."

Schatten der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt