Chapter 6

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Chapter 6

„Das klingt ja alles ganz einleuchtend, aber eins verstehe ich nicht“, sagte Jake, als ich mit meiner Geschichte geendet hatte. „Warum glaubst du eigentlich, dass Ivon dir das Gift auf’s Brot getan hat? Das hätte jeder tun können!“

„Ivon ist es einfach zuzutrauen, ausgerechnet mir die Schuld in die Schuhe zu schieben. Du hast ja gesehen, womit er seinen ganzen Vormittag verbracht hat! Und zumindest ich kann mir denken, womit er seinen ganzen Nachmittag verbringt!“, verteidigte ich mich.

„Kann ja gut sein“, steuerte Cora bei. „Aber du bist eben eine Person, der man in diesem Fall unheimlich gut die Schuld geben kann. Sieh mal: Du hast so oft Nachsitzen, dass du genug Zeit hattest, das Schloss zu erkunden, außerdem besitzt deine Mutter eine Karte vom Schloss. Da würde nicht nur Ivon auf die Idee kommen, dir die Schuld zuzuschieben.“

„Genau, außerdem sollten wir bei den Tatsachen bleiben. Und Tatsache ist: Wir haben keinen Beweis gegen Ivon in der Hand.“

„Aber Ivon ist gestern stundenlang auf dem Boden rumgekreucht, genau neben meiner Schultasche! Ist das nicht verdächtig genug?“, warf ich beleidigt ein, da mir offensichtlich niemand meine Theorie zu glauben schien.

„Vielleicht war es Zufall. In den Pausen hätte praktisch jeder in den Klassenraum gekonnt.“

„Vergessen wir also Ivon einen Moment und wenden uns noch mal den anderen Hauptverdächtigen zu?“, schlug Jake vor und hob den Zettel hoch, auf dem wir die anderen Angeklagten verzeichnet hatten.

„Hm. Zwei Erwachsene, die in der verdächtigen Zeitspanne unbeobachtet im Schloss waren und ein Schüler, der die Mittagspause mit einem Angestellten im Schloss verbracht hat und danach eben verdächtig lange gebraucht hat, um das Schloss zu verlassen. Etwas älter als wir. Also, ich würde sagen …“

„Oh, Scheiße!“, entfuhr es mir in diesem Moment und ich sprang wie von einer Tarantel gestochen auf. „Ich hab ja Nachsitzen! Ich komme zu spät! Mist, Mist, Mist!“

Fluchend lief ich los, bretterte ins Schloss, fegte wie ein Hurrikan durch die Gänge, schlitterte um die letzte Ecke und knallte mit voller Wucht in jemanden hinein, der unter der Wucht des Aufpralls mit mir erst gegen die Wand und dann zu Boden taumelte.

„‘Tschuldigung“, murmelte ich verlegen und strich mir die zerzausten Haare ins Gesicht, in der Hoffnung, dass man mich nicht erkennen würde.

„Hast du dir wehgetan?“, erkundigte sich der Junge, den ich umgerannt hatte, vorsichtig.

„Geht schon.“ Ich wollte aufstehen, aber er hielt mich fest.

„Was ist denn los?“, fragte er und wollte die Haare, die ich mir gerade ins Gesicht gestrichen hatte, wieder zur Seite machen, doch ich wich vor seiner Hand zurück. Besser, der Junge würde erst gar nicht erfahren, wer ich war, sonst würde er bestimmt ein nerviges Theater veranstalten, und darauf konnte ich jetzt wirklich gut verzichten.

„Ist was mit deinem Gesicht?“ Er klang interessiert, jedoch zugleich besorgt.

„Nichts“, behauptete ich.

„Und warum rennst du durch die Gänge, als wäre der Teufel höchstpersönlich hinter dir her?“

„Ich hab Nachsitzen.“

„Ich auch.“

„Echt?“ Erstaunt sah ich zu ihm auf, bemerkte meinen Fehler jedoch zu spät. Der Junge sah mich nicht komisch an, er lächelte.

„Dich kenne ich doch“, meinte er und in diesem Moment erkannte ich ihn auch. Tatsächlich – vor mir saß der Oberstufenschüler, der gestern mit mir verhört worden war! Unglaublich!

Königreiche - Das verlorene SchwertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt