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Violett's Sicht:
"Violett, drehst du jetzt bitte diese grässliche Sendung ab und legst dich schlafen. Immerhin musst du morgen wieder in die Schule", hörte ich meine Mutter aus dem Nebenzimmer rufen. Sie hasste alles was mit Fantasy zu tun hatte. Ich möchte damit nicht sagen, dass ich bei jedem Vampirroman komplett durchdrehte, aber The Vampire Diaries war nun mal meine absolute Lieblingsserie und ich war kurz vorm Staffelfinale. Ich fand sogar, dass ich der Hauptdarstellerin ein bisschen ähnlich sah. Trotzdem fügte ich mich dem Willen meiner Mutter und schaltete den Fernseher aus, da ich wusste, dass eine Verweigerung ihrer Bitte nur zu Streit führen würde und einen solchen konnte ich im Moment gar nicht gebrauchen.
Meine Mutter und ich waren vor ungefähr zwei Wochen aus unserer Heimatstadt Seattle in das kleine Porterdale in Georgia gezogen. Man muss dazu sagen, dass man das Ganze weniger als Umzug, als als Flucht vor meinem gewalttätigen Vater bezeichnen konnte. Ja, er hatte mich geschlagen und das nicht nur einmal. Gegen meine Mutter hatte er nie die Hand erhoben, doch mich prügelte er regelmäßig krankenhausreif.
Seitdem mein Vater mich das erste Mal geschlagen hatte, hatte sich eine Menge verändert. Ich war längst nicht mehr die fröhliche Teenagerin von früher. Mein jetziges Verhalten grenzte eher an Autismus. Ich sprach kaum ein Wort, war permanent alleine und mittlerweile verbrachte ich beinahe meinen gesamten Tag damit mich in Büchern, Serien und Filmen zu vertiefen, um mich nicht mit der Realität auseinandersetzen zu müssen.
Nachts schlich ich mich aus dem Haus, ich lief durch den Wald und setzte mich für gewöhnlich an einen kleinen Bach nicht weit von unserem Haus. Warum ich das tat wusste ich nicht, aber der Wald zog mich magisch an und ebenso der kleine Fluss, dessen sanftes Plätschern wie Musik für mich war.
Nachdem meine Mutter mir eine gute Nacht gewunschen und ich wie üblich nicht geantwortet hatte, ging ich leise zu dem kleinen Fenster, vor dem ein alter Baum stand. Ich öffnete es und es schwang mit einem leisen Quietschen auf. Langsam manövrierte ich meinen zierlichen Körper von dem sicheren Boden meines Zimmers hinaus auf einen starken Ast des Baums.

Wenig später trottete ich auch schon durch den Wald. Am Fluss angekommen setzte ich mich an sein Ufer und betrachtete die pechschwarzen Wellen auf denen sich Mond und Sterne spiegelten.
Die Stunden vergingen, ich saß ebenso unbewegt im kühlen Gras wie zuvor und lauschte dem lieblichen Spiel des Wassers.
Es musste jetzt schon bald Mitternacht sein, langsam begann ich zu frieren, also stand ich auf und ging noch ein letztes Mal zu dem unendlich fließenden Spiegel hinab. Ich hockte mich hin und begann mit meinen Fingerkuppen sanfte Kreise auf dem vom Wind aufgewirbelten Wasser zu zeichnen. Plötzlich blitzte ein violettes Licht unter der Wasseroberfläche auf. Ich zog meine Hand ruckartig zurück und stand auf. Eine Welle von Licht  durchflutete den nächtlichen Wald, alles war mit einem Mal in das strahlende Violett getaucht. Ich war geblendet von der Intensität des Lichts und stolperte etwas zurück.
Nach einigen Sekunden begann das Licht sich zurückzuziehen und den Wald wieder in seiner gewohnten Dunkelheit zurückzulassen. Der erste Schreck war schnell verflogen und meine Augen gewöhnten sich langsam wieder an die Dunkelheit. Ich hockte mich erneut hin, beobachtete das schwächer werdende Licht, bis es endgültig erlosch. Doch da, wo gerade eben noch das Licht das Flussbett erleuchtete, glitzerte nun etwas anderes im Mondlicht. Ich betrachtete es genau und als es sich nicht bewegte überwand ich mich danach zu greifen. Vorsichtig tauchte ich meine Hand in das kühle Wasser des Flusses, behutsam fuhr ich über die glatt geschliffenen Steine. Schon bald schlossen sich meine Finger um etwas kaltes. Es fühlte sich metallisch an. Langsam zog ich es aus dem Wasser und öffnete meine Hand. Mir offenbarte sich eine silberne Kette, an welcher ein metallisch glitzernder Anhänger hing, in den ein durchscheinender violetter Stein eingefasst war.
Wo war die Kette hergekommen? Bevor das violette Licht aufgeleuchtet hatte, hatte sie bestimmt noch nicht da gelegen. Ich hielt es für seltsam, dass eine Kette einfach so aus dem Nichts auftauchte und dann auch noch leuchtete, aber ich kümmerte mich nicht weiter darum. Ich beschloss meinen Fund gleich anzulegen, da er mir außerordentlich gut gefiel, und so legte ich das kalte Metallband um meinen Hals und verschloss es in meinem Nacken.
Ich hatte meine Hände noch nicht hinter meinem Kopf hervor genommen, da begann der Anhänger wieder zu leuchten, diesmal noch heller als zuvor. Ich sah nichts außer das Violett, das sich schmerzhaft in meine Netzhaut brannte.
Ein Schwindel überkam mich und ich geriet ins Straucheln, bis ich schließlich fiel, doch ich spürte keinen harten Aufprall. Stattdessen spürte ich wie das kalte Wasser des Flusses mich umschloss. Ich versuchte mich am Grund des Flusses abzustützen, da dieser an seiner tiefsten Stelle maximal einen halben Meter tief war, doch ich griff ins Leere. Ich sank immer tiefer und als sich die Kette an meinem Hals plötzlich anfühlte wie ein Anker, der mich immer tiefer zu ziehen drohte, begann ich wie wild mit den Armen zu rudern. Wo war der Grund?
Letztlich wurde auch mein Kopf Unterwasser gezogen. Ich konnte nicht mehr atmen, dennoch versuchte ich gegen das unerklärliche Gewicht der Kette anzuschwimmen. -vergeblich- Ich merkte wie der Sauerstoff immer knapper wurde, bis ich
schließlich in eine tiefe Dunkelheit übertrat.

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