Das Geschenk

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Es war einer dieser Tage, an denen man sich wünschte, einfach im Bett geblieben zu sein. Andauernd klingelte das Telefon und der Stapel mit Akten auf meinem Schreibtisch, den ich noch bis zum Abend abzuarbeiten hatte, wuchs jede Minute mehr und schien der Zimmerdecke immer näher zu kommen. Eigentlich ein typischer Tag in meinem Leben: Früh aufstehen, fertig für die Arbeit machen, bis zur Mittagspause Akten und Termine abarbeiten, nach einem kleinen Lunch zurück ins Büro und dann bis in den späten Abend weiter arbeiten. Wieder zu Hause gab es vor dem Fernseher noch einen kleinen Snack und irgendwann ging es schließlich ins Bett. Und am nächsten Tag, begann dann alles wieder von vorne. Arbeit - Aus mehr bestand mein Leben nicht. Es war, als wäre ich in einem riesigen Laufrad gefangen, aus dem es kein Entkommen gab. Ich rieb mir die Augen, die inzwischen müde geworden waren, vom ständigen Blick auf die Akten und den Computerbildschirm. Sehsüchtig schaute ich auf die Uhr. Die Mittagspause war in greifbarer Nähe, das gab mir noch einmal genügend Energie.


Draußen war ein herrliches Wetter. Ich saß auf einer Parkbank, aß genüsslich einen Hotdog und ließ mir die Sonne ins Gesicht scheinen. So ließ es sich leben. Dieses Gefühl hatten wahrscheinlich auch Gefangene, wenn sie endlich Freigang hatten. Und wie ein Gefangener fühlte ich mich schon lange und ich nahm mir so oft vor endlich auszubrechen. Doch am Ende blieb ich, da mir einfach der Mut dazu fehlte. Meine einzige Abwechslung, war meine täglichen Besuche im Park. Dafür opferte ich auch einen Großteil meiner Mittagspause, um mit dem Auto hier her zu fahren. Aber der Park gab mir immer das Gefühl von Freiheit und ließ mich wenigstens für einen Moment, mein restliches Leben vergessen. Das war es mir wert und dafür nahm ich gerne die lange Fahrt in Kauf. Ich blickte auf die Uhr. Es war Zeit für den Rückweg. Noch einmal füllte ich meine Lungen mit der frischen Luft, bevor ich den restlichen Tag wieder nur die stickige Büroluft atmen würde. Ich wollte gerade gehen, als jemand an meinem Jackett zupfte.
„Junger Mann, haben sie vielleicht etwas Kleingeld für mich?" Verwundert drehte ich mich um. Hinter mir stand ein altes Mütterchen, in verschlissenen Kleidern, das lange Haar wild zersaust und das Gesicht und die Hände voller Dreck. Ich hatte keine Ahnung woher sie aufgetaucht war, sie stand plötzlich einfach neben mir. Ich nickte und kramte in meiner Geldbörse, fand jedoch kein Kleingeld. Also zog ich einen Fünf Euro Schein heraus und gab ihn ihr. Sie bekam große Augen und bedankte sich immer wieder bei mir.
„Ich habe auch etwas für sie." Murmelnd kramte sie in ihren Taschen und holte schließlich einen kleinen Beutel hervor, aus dem sie etwas heraus zog. Behutsam überreichte sie mir ein kleines Objekt, das anscheinend schon zerbrochen war, denn auf der einen Seite konnte man ganz eindeutig erkennen, dass da schon etwas fehlte.
„Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht, dass ist ein Talisman, ein Glücksbringer!" sagte sie mit einem warmen Lächeln, als sie mein fragendes Gesicht sah, während ich das Metallobjekt betrachtete. „In den Dingen steckt oft viel mehr, als man im ersten Moment erkennen kann. Man sollte sich nie vom Äußeren abschrecken lassen." Ich runzelte die Stirn, aber ich wollte die alte Dame auch nicht beleidigen, also dankte ich ihr für das Geschenk und steckte es ein.

Während ich wieder zurück zum Büro fuhr, musste ich immer noch an die alte Dame denken. Sie war sicherlich einmal ein Schönheit gewesen, das konnte man trotz der alten Kleidung und all dem Schmutz erkennen. Doch warum war sie auf der Straße gelandet? Hatte sie auch einmal einen Job wie ich und hatte sich irgendwann dazu entschieden, nicht mehr so leben zu wollen? Ich würde es wohl nie erfahren. Es war nicht mehr weit zum Büro, nur noch eine Ampel und um die nächste Ecke, dann hätte ich mein Ziel erreicht. Das Signal schaltete gerade auf Gelb, aber ich hatte es nicht eilig, wieder ins Büro zu kommen, also hielt ich an. Und in dem Moment, als die Ampel auf Rot umschaltete, gab es einen lauten Rumms und ich wurde etwas nach vorne geschleudert. Ich blickte mich erschrocken um und sah direkt hinter mir einen kleinen Wagen, aus dem eine junge Frau aufgeregt ausstieg. Ich stieg ebenfalls aus und ging zu ihr.
„Oh man, dass tut mir so leid. Ich war irgendwie abgelenkt." bat sie mich um Verzeihung. Sie war jung und attraktiv, trug ein Kostüm, hatte also wahrscheinlich, wie ich, einen Bürojob. Ob er genauso langweilig war, wie meiner? Ich schaute mir den Schaden an und lächelte sie an.
„Ist ja nichts passiert. Und das ist ja nur eine kleine Beule. Ich glaube die war sogar schon vorher da." versuchte ich sie zu beruhigen und ich konnte ihr auch ein kleines Lächeln entlocken.
„Das ist einfach nicht mein Tag!" seufzte sie und steckte sich eine blonde Strähne hinter das Ohr. „Dabei hatte ich von so einer alten Dame einen Talisman geschenkt bekommen, der soll angeblich Glück bringen. Aber anscheinend nicht mir." Ich horchte auf und kramte in meiner Hosentasche nach meinem Talisman.
„Sieht er vielleicht so ähnlich aus?" Sie blickte erstaunt auf und holte aus ihrer Handtasche ebenso einen Talisman. Natürlich sah er nicht genauso aus wie meiner, doch man konnte erkennen, dass er aus dem selben Material bestand. Auch er hatte ein Bruchstelle und auf einmal überkam mich ein seltsames Gefühl. Ob die zwei vielleicht zusammenpassten? Ich verwarf den Gedanken gleich wieder. Wer wusste wie vielen sie so einen Glücksbringer schon verschenkt hatte. An ihrem Gesicht konnte ich erkennen, dass sie anscheinend den selben Gedanken hatte. Ohne ein Wort mit einander zu wechseln, hielten wir die beiden Teile zusammen. Und sie passten perfekt. Ein seltsames warmes Gefühl durchströmte meinen Körper und ich konnte sehen wie sie leicht errötete.
„Es passieren schon seltsame Dinge, auf dieser Welt." sagte ich und sie nickte zustimmend. Nervös steckte sie sich wieder die Strähne hinter das Ohr.
„Lass es doch so." sagte ich. „Es sieht gut aus." Sie lächelte wieder und ihre tiefblauen Augen begannen zu strahlen. „Hättest du vielleicht auf einen Kaffee?" fragte ich und ich hatte keine Ahnung wie ich darauf kam. Es war, als hätte mir jemand diese Worte in den Mund gelegt.
„Jetzt?" fragte sie und blickte nachdenklich auf die Uhr. Ich nickte.
„Die Arbeit ist später auch noch da." antwortete ich entschlossen. „Außer, du hast keine Lust mit mir einen Kaffee zu trinken. Dann will ich dich natürlich nicht aufhalten." Sie biss sich auf die Unterlippe, blickte noch einmal auf ihre Uhr und nickte schließlich zustimmend.
„Ich würde gerne mit dir etwas trinken gehen." Die Autos hinter uns begannen genervt zu hupen und der eine oder andere wütende Fluch ertönte. Ich sagte ihr, dass sie mir folgen solle und ging wieder zu meinem Auto. Und gerade, als ich einsteigen wollte, sah ich die alte Dame aus dem Park, die mir freundlich zu winkte. Ich winkte ihr zurück und meine Lippen formten ein lautloses Danke. Endlich hatte ich mich, aus meinem Laufrad befreit.


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