Kapitel 3

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"Hallo, Katharina. Setz dich." Ich zog den einzigen freien Stuhl zurück und setzte mich neben das kleinen Mädchen, das wohl ihre Tochter war. Sie aß ungestört weiter.

"Katharina, das sind Markus, mein Mann, und Josephine, unsere Tochter." "Hallo." So verlegen wie ich war, brachte ich kaum einen Ton heraus. Markus nickte mir nur kurz zu und widmete sich dann wieder seinen Kartoffeln.

Die ganze Situation war so merkwürdig und für einige Minuten breitete sich eine Stille aus. Nicht die Art von Stille, in der man den Moment stillschweigend genießt, sondern die Art, die einem merkbar unangenehm ist und niemand wirklich weiß, was er sagen soll.

Die einzige, die sich Mühe gab, eine Konversation zu starten, war Amanda.

"Und wie findest du dein Zimmer? Ist es nicht wunderschön? Ich hab extra einen Berater ins Haus geholt, der dein Zimmer kurz vor der Ankunft eingerichtet hat. Ich hoffe wirklich, es hat deinen Geschmack getroffen."

"Es ist wirklich schön. Danke."

"Das freut mich."

Und schon wieder wurde es still. Gelangweilt stocherte ich in meinem Gemüse herum.

"Was ist? Schmeckt es dir nicht?"

"Doch, es schmeckt wirklich gut. Ich hab nur keinen Hunger. Das ist alles."

"Oh, okay."

Ich fragte mich echt, warum sie überhaupt so verzweifelt versucht, ein Gespräch aufzubauen. Immer mehr bekam ich das Gefühl, dass sie Mitleid mit mir hatte und das regte mich nur noch mehr auf.

Ich hasse es, wenn mich Leute mitleidig ansehen. Als ob ich nicht selbst wüsste, dass meine Situation scheiße war. Nein, sie müssen mir in jedem ihrer Blicke zeigen, wie bemitleidenswert ich bin.

Aber das stimmt nicht. Egal, was passiert ist. Ich bin sicherlich nicht bemitleidenswert, also wär es wirklich nett von ihr, wenn sie mich einfach in Ruhe lassen würde.

"Markus bringt euch morgen zur Schule. Sei um Viertel vor acht fertig."

"Okay."

Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Sie schien wohl selbst gemerkt zu haben, dass ich keine Lust darauf hatte, mit ihr zu reden, denn für den Rest des Abendessens sagte sie nichts mehr, was ich wirklich zu schätzen wusste.

Hin und wieder sah Josephine zu mir hinüber und musterte mich neugierig. Sie war vielleicht acht Jahre alt und das Ebenbild ihrer Mutter. Ihre kleinen goldenen Engelslöckchen gingen ihr bis zu ihren Schultern und ihre Augen waren genauso strahlend blau wie die ihrer Mutter.

Sie trug ein rosafarbenes Kleid, eine weiße Strumpfhose und passende weiße Schuhe. Sie ist wahrscheinlich gerade erst in die Schule gekommen und hatte schon bessere Tischmanieren als die meisten Erwachsenen, die ich kannte.

Aufrecht saß sie vor ihrem Teller, aß brav alles auf, wartete, bis ihre Eltern fertig waren, und bedankte sich und half dann dabei, den Tisch abzuräumen - die perfekte Tochter.

Ich wollte nutzlos daneben stehen und war gerade dabei, meinen Teller in die Küche zu tragen, als Amanda mir meinen Teller abnahm.

"Du musst bestimmt müde sein. Es war ein langer Tag. Geh in dein Zimmer und ruh dich aus. Wir machen das schon."

Ich nickte und tat, was sie mir gesagt hat. Ich hatte definitiv nicht die Absicht, mich mit dieser Frau jemals anzulegen. Abgesehen davon war ich wirklich müde und sehnte mich nur zu sehr nach einem Bett.

Zurück in meinem Zimmer sah ich wieder mein Handy aufblinken:

Hey, Kopf hoch. Das wird schon. Schick mir mal ein Bild von deinem Zimmer. Ich kann's kaum erwarten, zu sehen, wo du jetzt wohnst :).

Nachdem ich ihr das Foto geschickt habe, vibrierte mein Handy auch schon wieder.

Wow, Kathy! Bist du dir sicher, dass sie nicht zwei Töchter damals hatte, die sie verlassen hat? Ich würde mich nicht darüber beschweren, in so ein Zimmer einzuziehen. Ich hab schon immer gewusst, dass wir eigentlich Schwestern sind ;).

Sogar in den schlechtesten Momenten, kann sie mich wieder zum Lächeln bringen.

Das Zimmer ist wirklich unglaublich, das stimmt. Wär da nicht noch der Rest der Familie. Wir haben gerade gegessen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie peinlich das war. Sie hat immer wieder verzweifelt versucht, ein Gespräch anzufangen.

Naja, wenigstens scheint sie es gut zu meinen. Hätte schlimmer kommen können. 

Ja, ich weiß. Trotzdem fühlt sich alles komisch an. Ich war schon bei Corinna und Tobias das fünfte Rad am Wagen, aber hier fühl ich mich wie ein Einbrecher.

Sie ist deine Mutter. Du gehörst zu der Familie, auch wenn es sich noch nicht so anfühlt. Mach dir keinen Kopf. Das wird schon mit der Zeit. Ich muss jetzt schlafen gehen. Herr Holmstedt hat schon wieder einen Test angekündigt. Sei du mal froh, dass du den los bist. Achja und viel Spaß morgen an deiner neuen Schule. Vergiss nicht, mir alles zu erzählen :).

Viel Glück! Mach ich, das weißt du doch. Bis dann :)

Ich packte meine restlichen Taschen aus und legte schon mal zur Seite, was ich morgen anziehen würde. Ich hatte keine Ahnung, in welche Kurse ich kommen würde, und hatte auch noch keine Bücher. Dementsprechend sah meine Tasche ziemlich leer aus.

Ich putzte mir die Zähne, zog mich um und stellte meinen Wecker. Endlich lag ich in meinem Bett, konnte aber nicht so recht einschlafen. Es war so ungewohnt, in einem ganz fremden Zimmer zu liegen.

Alle möglichen Gedanken schwirrten in meinem Kopf umher und es dauerte bestimmt über eine Stunde, bis ich mich endlich beruhigt hatte und schließlich eingeschlafen war.

Briefe an DichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt